Es wäre vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen, würde man behaupten, die schwedische Künstlerin und Designerin Karin Bergöö Larsson (1859-1928) hätte den Grundstein für den Erfolg von Ikea gelegt oder die Prinzipien von Bauhaus vorweggenommen. Aber unbestreitbar ist, dass sie einen gehörigen Anteil daran hat, dass Schweden bis heute einen sehr guten Ruf hat, wenn es um Produktdesign und Inneneinrichtung geht. Bergöö Larsson war ursprünglich Malerin und widmete sich dann dem Design, von Kleidung wie Kittelschürzen bis zu Möbeln wie einem Schaukelstuhl. Sie integrierte in ihre Entwürfe auch englische und japanische Einflüsse und schuf so einen sehr eigenen Stil. Ihr Atelier und Labor war dabei vor allem ihr eigenes Haus: Jedes Zimmer wurde zum Kunstwerk, um die Idee zu transportieren, dass schön und praktisch gestaltete Dinge im Haushalt auch das Leben schöner machen. Ihr ist die neue Single der New Pagans gewidmet, Karin Was Not A Rebel (****). So ungewöhnlich dieses Sujet ist, so schlüssig ist die Begründung der Band aus Irland, die zuletzt auf Europatournee mit Skunk Anansie und im Vorprogramm von Frank Turner in Deutschland zu sehen war: Ihr neues Album soll Menschen würdigen, die selbstbewusst, eigenständig und oft ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung dennoch einflussreich sind. Passend dazu wird die am 17. Februar erscheinende Platte Making Circles Of Our Own heißen, und es liegt auf der Hand, dass New Pagans dieses Credo auch selbst verfolgen. Nach dem Debütalbum The Seed, The Vessel, The Roots And All haben sich Sängerin/Texterin Lyndsey Mcdougall und ihre Mitstreiter offensichtlich noch mehr vorgenommen, sich nicht mehr reinreden zu lassen. Die neue Single vereint Edge und Eingängigkeit, scheint manchmal Republica in Richtung Art-Rock zu verschieben und manchmal auf die Muncie Girls zu verweisen, nachdem sich die erste Wut etwas gelegt hat. Gemeinsam mit Karin Was Not A Rebel erscheint Fresh Young Overlook als Doppel-A-Seite und ist so etwas wie eine Abrechnung mit der Musikindustrie. Die Band hat die in den Glens of Antrim in Irland aufgenommene Platte diesmal obendrein selbst produziert. Man darf davon ausgehen, dass Karin Bergöö Larsson dieser Ansatz gefallen hätte: Man kann nur man selbst sein, wenn man sich emanzipiert – und im besten Falle dann darin das Glück finden.
Die höchste Chartplatzierung ihrer mehr als 30-jährigen Karriere haben Fury In The Slaughterhouse im vergangenen Jahr mit Now erzielt, das bis auf Platz 2 in Deutschland kam und den mehr als 4 Millionenen verkauften Tonträgern der Band aus Hannover noch einmal etliche hinzugefügt hat. Auch die dazugehörige Tour war ein Erfolg, sodass die Gebrüder Wingenfeld und ihre seit 2017 wieder vereinten Bandkollegen offensichtlich reichlich Schwung aufgenommen haben. Im Juli 2023 soll bereits der nächste Longplayer folgen, Hope wird dann das 14. Studioalbum im Fury-Katalog sein. Den ersten Vorgeschmack gibt es schon jetzt mit der ebenfalls betont optimistisch betitelten Single Better Times Will Come (***). Noch immer wollen sie krampfhaft auf cool, jung und amerikanisch machen (was nicht cool ist), noch immer können sie aber auch gute Refrains, zudem gibt es hier eine erstaunliche Tanzbarkeit und ein starkes Finale. „Es heißt, wer singt, hat keine Angst, und wer keine Angst hat, glaubt an das Gute und hofft auf eine bessere Welt – und deswegen möchten wir mit Hope daran erinnern und Hoffnung bringen“, sagt Gitarrist Christof Stein-Schneider. Ein bisschen mehr Zuversicht und Furchtlosigkeit kann ja nicht schaden in diesen Tagen, auch mit einer umfangreichen Open-Air-Tour im Sommer wollen Fury In The Slaughterhouse diese Botschaft verbreiten. Wer noch einmal nachverfolgen möchte, wohin die Kraft der Musik diese Band bereits gebracht hat, wird in diesen Tagen übrigens auch fündig: Am 10. Dezember ist bei 3sat erstmals die Dokumentation Won’t Forget These Days zu sehen.
Die musikalischen Ähnlichkeiten von Fury und Loikaemie gehen gegen Null, die Aktivitätskurve gleicht sich aber ziemlich. Die 1994 in Plauen gegründeten Oi-Punk-Helden haben sich nach langer Pause 2019 wieder zusammengetan. Das Comeback wurde zwar zunächst von Corona ausgebremst, nimmt jetzt aber Fahrt auf. Mit Lumpenmann gab es zuletzt den ersten neuen Song seit 15 Jahren, jetzt legen Thomas, Eddie, Paul und Bruno mit Tief im Herzen (****) nach. In der zweiten Hälfte des neuen Jahres soll dann auch Album #5 folgen. Aufgenommen wurde es im September 2021 in den Off The Road Studios in Leipzig, wo Thomas seit mittlerweile rund 20 Jahren lebt. Produziert hat Kurt Ebelhäuser mit Michael Wern. „Tief Im Herzen hat einen autobiographischen Text und soll aufzeigen, wie es ist, wenn man schon immer das Gefühl hatte, dass keiner an einen glaubt. Doch genau aus diesem Zustand kann man Kraft schöpfen und einfach auf sich selbst vertrauen. Am Ende zeigt sich, ob man es allen zeigen konnte und etwas übrigbleibt, auf das man zurückschauen kann. Thomas kann von diesen Situationen ein Lied singen (haha) und wenn wir zurückblicken und auf das schauen, was wir heute haben, können wir sagen, dass wir immer an uns geglaubt und viel geschafft haben. Oi!“, teilen Loikaemie dazu mit. Das neue Lied vereint Wut im Bauch, Stolz und Tempo, der Text erinnert daran, dass manche Vorurteile (leider) niemals verschwinden, manche Überzeugungen aber (glücklicherweise) auch niemals enden.
Auch We Were Promised Jetpacks vollbringen gerade das Kunststück, gleichzeitig nach hinten und nach vorne zu blicken. Die Schotten hatten erst im September das Album Enjoy The View veröffentlicht. Drei der Songs haben sie jetzt neu interpretiert, nämlich Fat Chance, If It Happens sowie All That Glitters. Zudem haben sie die beiden erstgenannten Tracks remixen lassen (If It Happens vom Manchester Orchestra, Fat Chance von Zoe Graham) und noch den Andy-Monaghan-Remix von Nothing Ever Changes dazugepackt. Zusammen ergibt das die EP A Complete One-Eighty, die am 9. Dezember erscheinen wird. „Wir dachten, dass es großartig zu sehen wäre, was andere Leute aus einigen dieser Songs machen könnten, und wir freuen uns sehr, dass wir das Glück hatten, dass Andy, Manchester Orchestra und Zoe Graham ihnen ihren eigenen Stempel aufdrücken und sie zu etwas machen, was wir nie hätten tun können“, sagt Sänger Adam Thompson. Wie gut die Idee mit den eigenen Neuinterpretationen (man könnte auch sagen: We Were Promised Jetpacks haben sich praktisch selbst gecovert) klappt, zeigt All That Glitters in der EP-Fassung (***1/2): Der Song wechselt fast unvermittelt von akustisch zu monströs und wuchtig à la Muse, am Ende kommt noch etwas Elektronik hinzu, sodass eine völlig Verwandlung und eine zweite Inkarnation des Songs entsteht, die ebenso stark ist wie die ursprüngliche.
Bei Singer-Songwritern geht man ja gerne davon aus, dass sie in ihren Lieder ihr Herz ausschütten. Bei Huw Evans alias H. Hawkline war das auf den bisher erschienen Alben In The Pink Of Condition (2015) und I Romanticize (2017) eher nicht so. „Ich denke, dass ich nicht so gut darin bin, meine Verletzlichkeit zu zeigen. Deshalb habe ich bisher immer versucht, echte Gefühle zu verschleiern oder zu abstrahieren, entweder textlich oder durch die Musik“, hat er erkannt. Für die neue Platte Milk For Flowers, die am 10. März 2023 erscheinen wird, will er das ändern und kündigt mehr persönliche Texte an. Erste Kostprobe ist der Titeltrack (****), der mit Zeilen wie „I have a guilt / and that guilt is mine“ tatsächlich schon stark Richtung Generalbeichte geht, getragen von einem dominanten Klavier und einem sehr straighten Beat. Milk For Flowers hat H. Hawkline in seiner Heimatstadt Cardiff geschrieben und mit Produzent Joe Jones in den Rockfield Studios in Monmouthshire aufgenommen. Als Gäste sind unter anderem Davey Newington (Boy Azooga) am Schlagzeug, Stephen Black (Sweet Baboo) am Saxophon und John Parish (PJ Harvey, Aldous Harding) an den Bongos dabei.