Jetzt singt sie auch noch? Naja, nicht ganz. Greta Thunberg ist zwar der Gast auf dem neuen Song von The 1975, aber sie spricht darin lediglich. Natürlich über die globale Erwärmung und die Maßnahmen, die wir schleunigst dagegen unternehmen sollten. „We need to call it what it is: an emergency“, sagt die Aktivistin innerhalb des knapp fünfminütigen Stücks, das im Juni in Stockholm aufgenommen wurde. Später folgt eine weitere Diagnose: „All political movements in their present form have failed / but homo sapiens have not yet failed / Yes, we are failing / But there is still time to turn everything around.“ Die Musik dazu ist eine weitere Variation des Stücks The 1975 (***), das bisher auf allen drei Alben der Band den Auftakt gemacht hat, jeweils in leicht abgeänderter Form. Auch für ihre vierte Platte wird das so sein, der Titel des Werks wird Notes On A Conditional Form sein. Das Album ist nach A Brief Inquiry Into Online Relationships der zweite Teil der Serie Music For Cars. Greta Thunberg verrät nicht, ob sie ein Fan der Band ist, zeigt sich aber „dankbar, dass ich die Gelegenheit bekomme, mein Botschaft auf eine neue Weise an ein großes Publikum zu vermitteln. Ich finde es großartig, dass sich The 1975 so stark gegen den Klimawandel engagieren. In diesem Kampf sollten wir Menschen aus allen Sparten der Gesellschaft einbinden, und zwar schnell.“ Alle Einnahmen aus der Single gehen an Extinction Rebellion.
Auch DIIV sind demnächst mit einem neuen Album am Start, das in Los Angeles mit Produzent Sonny Diperri aufgenommene Deceiver wird am 4. Oktober erscheinen. Als Vorspeise gibt es jetzt die neue Single Skin Game (***1/2). Zachary Cole Smith (Gesang, Gitarre), Andrew Bailey (Gitarre), Colin Caulfield (Bass) und Ben Newman (Schlagzeug) sind gerade ihrer ganz persönlichen Krise entkommen, die sie auf ihrem dritten Album entsprechend thematisieren werden. „2017 habe ich ein halbes Jahr in verschiedenen Entzugskliniken verbracht. Ich habe mit anderen Süchtigen zusammengelebt, und da ich mich selbst gerade von meiner Abhängigkeit befreien wollte, stellten sich Fragen wie: Wer sind wir? Was ist das für eine Krankheit, an der wir leiden?“, sagt Zachary Cole Smith. „Unsere letzte Platte handelte schon davon, sich wieder zu erholen, aber ehrlich gesagt war ich davon nur halbherzig überzeugt. Stattdessen habe ich mich damals dafür entschieden, in meiner Krankheit zu leben. Mit Skin Game schaue ich jetzt darauf, wo der Schmerz wirklich herkommt. Ich analysiere die persönlichen, körperlichen, emotionalen und politischen Erfahrungen, die der Sucht für Millionen von uns immer wieder neue Nahrung geben.“ Der Song ist als ein fiktiver Dialog konzipiert, lässt im Gesang ein paar Shoegaze-Einflüsse und im Sound eine gute Dosis von Sonic Youth erkennen. Ähnlich wie bei Greta wirkt auch hier ein Mix aus alarmierender Bedrohung und dem Hinweis darauf, das eigene Schicksal selbst in der Hand zu haben: „I can help you / it’s how I help myself“.
Ähnlich eifrig wie DIIV (damals für Is The Is Are) wurde 2016 Angel Olsen gefeiert (damals für My Woman). Jetzt steht ihr neues, ingesamt viertes Album vor der Tür. All Mirrors kommt ebenfalls am 4. Oktober heraus und wird jetzt mit dem Titelsong (****) angeteasert. Auch hier steht die Introspektive im Vordergrund. „In jeder Hinsicht, von den Aufnahmen über die Texte bis hin zu meiner eigenen Weiterentwicklung, geht es auf dieser Platte darum, sich seiner dunkelsten Seite zu stellen und die Möglichkeit für neue Liebe wiederzufinden. Man sollte auf den Wandel vertrauen können, auch wenn man sich selbst gerade fremd vorkommt“, umreißt Angel Olsen das zentrale Thema. Den Titel wählte sie, „weil wir alle Spiegel voneinander und füreinander sind“, sagt sie. „Diese Metapher reicht sogar noch weiter: Es gibt immer ein Element der Projektion in unserer Betrachtung von Menschen und Gegebenheiten, auch darin, wie wir uns selbst gegenüber diesen Menschen und in Situationen mit diesen Menschen sehen.“ Entsprechend schillernd und komplex klingt All Mirrors dann auch. Die Gitarre könnte direkt aus Twin Peaks entnommen sein, die Stimme beginnt ätherisch wie Kate Bush oder Lana Del Rey, wird dann aber erstaunlich kraftvoll. Der immer mächtiger werdende Beat lässt im Zusammenspiel mit den Streichern (an den Aufnahmen war ein 14-köpfiges Orchester beteiligt) an Massive Attack denken. Das ist sehr schön und sehr spannend und kann im neuen Jahr in München (29.1.), Berlin (30.1.) und Hamburg (5.2.) auch live erlebt werden.
Schon in drei Wochen startet die Tour von Thees Uhlmann, der Tomte-Frontmann ist dann mit neu formierter Band (die er im Video gleich prominent mit ins Bild nimmt) und seinem dritten Soloalbum Junkies und Scientologen unterwegs, das von Simon Frontzek und Rudi Maier produziert wurde und am 20. September in die Läden kommt. Opener und zugleich erste Single ist Fünf Jahre nicht gesungen (****), das es jetzt schon gibt, und das eine ziemlich klare Ansage im Sinne von „Ich bin wieder da“ und „Es ist höchste Zeit“ darstellt. „Jetzt geht es los hier. Jetzt ist Schluss mit Vertröstungen und Entschuldigungen“, sagt Thees Uhlmann und vespricht: „Wenn Sie schlechte Laune haben, dann wird das genau Ihr Song sein. Und wenn Sie gute Laune haben, dann werden Sie sich freuen, wie schön es ist, keine schlechte Laune zu haben, aber auch gut, wenn bei den anderen so ein Song dabei raus kommt.“ Diese Ambivalenz ist natürlich prägend für sein Werk und wird hier umgesetzt mit einem Riff, das an Foreigners Cold As Ice denken lässt, sowie herrlichen Zeilen wie „Ein Stift und ein Zettel / und der Rest ergibt sich / das Leben ist kein Highway / es ist die B73.“ Daraus spricht nicht nur der Rückblick auf die wohl auch für ihn selbst überraschend lange Wartezeit (die durch das Erscheinen seines Debütromans geprägt war, aber nach Angaben des Künstlers auch von einer kleinen kreativen Flaute), sondern auch die Erkenntnis: Man kann sich den Kopf zerbrechen, man wird trotzdem nicht schlau aus der Welt und dem Leben – aber man darf natürlich dennoch niemals aufgeben, es weiter zu versuchen.
Der Blick auf (und die Verwunderung über) die Welt beschäftigt auch Sebastian Krumbiegel. Die Demokratie ist weiblich (***1/2) heißt seine neue Single, zugleich Vorbote für die gleichnamige EP, die ab 20. August verfügbar sein wird. Für das Video hat der Leipziger reichlich Prominenz versammelt, etwa Iris Berben, Herbert Grönemeyer, Jan Delay, Olli Dittrich, Smudo, Hella von Sinnen, Hartmut Engler und Til Schweiger. Das Timing zielt recht direkt auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ab, die Botschaft lautet: Aktiv sein gegen rechts, eintreten für Menschlichkeit, sich klar darüber sein, dass Demokratie (vor allem im Osten) kein Gottesgeschenk ist, sondern eine Übereinkunft, deren Gültigkeit immer wieder erkämpft werden muss, und fragiler sein kann, als viele (vor allem im Westen) das meinen. „Mein Vater, Jahrgang 1936, sagte mir vor Jahren schon: Junge, mach doch mal ein Lied über die Demokratie! Das geht nicht, sagte ich. Viel zu sperrig und zu theoretisch. Darüber kannst du keinen Popsong schreiben. Jetzt hat sich in den letzten Monaten und Jahren einiges verändert. Nicht nur in der politischen Landschaft ist der Ton rauer geworden, auch ganz allgemein, im täglichen Miteinander scheinen wir gerade zu verlernen, anständig oder eben respektvoll miteinander umzugehen. Ich habe schon immer versucht, meine Bühne für mehr zu nutzen als für Herz und Schmerz und jetzt hab ich doch ein Lied geschrieben, das sich mit diesem vermeintlich sperrigen Thema beschäftigt“, erklärt der Prinzen-Sänger. Das Problem der Sperrigkeit lässt sich bei Wörtern wie „Humanität“ im Text zwar nicht gänzlich lösen, aber nicht nur als Message ist das gelungen: Der Sound mit Wurlitzer-Akkorden und einem Arrangement, das man beinahe als Easy Listening bezeichnen könnte, verhindert jeden Eindruck von Verkrampftheit oder Klugscheißen, nicht zuletzt spricht auch aus diesem Sound die Hoffnung, dass die allermeisten von uns im Herzen gut sind und Gutes für ihre Mitmenschen wollen.