Altmodisch waren The Coral schon zu Zeiten ihrer ersten EP im Jahr 2001. Mit der neuen Single After The Fair (****) leben sie diese Eigenschaft auf denkbar herrliche Weise aus: Der Song ist ein nostalgisches Kleinod, auch das dazugehörige Video (Regie: James Slater) wirkt wie aus einem anderen, besseren Zeitalter. Mit Postkartenästhetik wird darin Llandudno vorgestellt, das größte Seebad in Wales, mittels eines gemächlichen Spaziergangs mit ein paar Möwen als Gaststars. Keyboarder Nick Power spielt im Lied die akustische Gitarre. „Nick ist wirklich gut im Fingerpicking. Ich wollte, dass es nach Lindsay Buckingham klingt, um es ein bisschen von diesem offensichtlichen Folk-Charakter abzusetzen“, sagt Sänger James Skelly über den Song, der den Abschluss des neuen Albums Move Through The Dawn (kommt am 10. August heraus) bilden wird. „Wir haben immer ein kleines Archiv von älteren Liedern, mit denen wir arbeiten. Dieses stammt aus der Phase von Butterfly House, aber es hat einfach perfekt als Schlusspunkt für die neue Platte gepasst“, sagt Nick Power. Als Einflüsse für Move Through The Dawn benennen die Engländer übrigens Phil Spector, Bob Marley, ELO und die Travelling Wilburys. Man darf sich freuen.
Schon auf fast 280.000 Aufrufe bei YouTube kommt A Crown For The Wonderboy (***1/2), die erste Single von Earthly Powers, dem ebenfalls am kommenden Freitag erscheinenden neuen Album von Phillip Boa And The Voodooclub. Das passt zum zuletzt wachsenden Erfolg (inklusive einer Top-10-Platzierung für den 2014 veröffentlichten Vorgänger Bleach House) dank einer treuen Fangemeinde und einer beachtlichen kreativen Form auch im fortgeschrittenen Karriere-Stadium. Der neue Song bestätigt das: Die Gitarren haben viel Kraft, das Schlagzeug scheint sich fast zu überschlagen vor lauter Vorwärtsdrang, der Refrain hat Klasse, der Text nimmt digitale Widersprüchlichkeit und die Unfähigkeit, auch mal die eigenen Limits und Schwächen akzeptieren zu können, ins Visier. Sein insgesamt 19. Album, produziert mit David Vella in London und seiner Wahlheitmat Malta, sieht Phillip Boa als „eine Reminiszenz an diese Kunstform, wohlwissend, dass sie vom Aussterben bedroht ist“. Das darf man wohl als Versprechen werten.
Die passende Beschreibung für Sans Soleil (***1/2) liefern Delta Sleep aus der Nähe von Brighton netterweise selbst: „Teils Math-Rock, teils Emo, aber nicht in dem von den Brüdern Kinsella inspirierten Midwest-Emo-Style. Es ist eher eine Mischung aus Minus The Bear und The Progress. Falls dich dieser Vergleich in irgendeiner Weise anspricht, werden dich Delta Sleep mit dem Song ziemlich nostalgisch stimmen können.“ Das Lied ist so komplex und kraftvoll, wie man es von ihnen kennt, passend zu Zeilen wie „Found myself between routine and heartache“ ist auch eine hymnisch-tröstliche Komponente, wie man sie sich von Biffy Clyro vorstellen könnte, nicht zu verkennen. Das Stück ist ihrem zweiten Album Ghost City entnommen, das am 10. August in die Läden kommt. Ohne Sonne, wie der Titel des Vorab-Tracks andeutet, dürften sie dabei kaum gewesen sein. Denn die Band hat gemeinsam mit Produzent Mark Roberts in Italien aufgenommen. Das hatte mehrere willkommene Effekte, wie Sänger und Gitarrist Devon Yuceil erzählt: „Wir haben einige Shows auf dem Weg nach Italien gebucht und mit der Gage konnten wir dann das Studio zahlen. Wir haben außerdem gut eine Woche jeden Tag das neue Material live spielen und proben können; eine Luxussituation, die eher selten bis nie vorkommt.“ In Rom entstand auch ein Teil des sehr sehenswerten Videos zu Sans Soleil, in dem der türkische Schauspieler Mehmet Günsür (er ist der Onkel von Yuceil) die Hauptrolle spielt.
Vor ein paar Wochen hatten ein paar Leute noch spekuliert, Die Ärzte könnten der geheime Headliner beim Kosmonaut Festival sein. Wie falsch das war, offenbart sich spätestens jetzt: Rodrigo Gonzalez hatte etwas ganz anderes zu tun. Er hat nämlich am neuen Album von Abwärts gearbeitet, das am 28. September erscheinen und Smart Bomb heißen wird. Den Titelsong, zugleich die erste Single (***), gibt es jetzt als Vorgeschmack. Frank Z., Rodrigo Gonzalez, Björn Werra und Martin Kessler nehmen darin die vermeintlich präzise Zerstörungskraft moderner Kriegswaffen in den Blick, Rüstungskonzerne und Finanzwirtschaft kriegen auch gleich ihr Fett weg. Ein metallischer Bass sorgt für die entsprechende Unbarmherzigkeit, der Text ist so sarkastisch, wie man sein muss, wenn man über Töten wie im Computerspiel mittels Drohnenkrieg und Überwachungstechnik singt. Zeitgemäß sind diese Themen natürlich leider immer noch, erst recht von einer Band, die schon vor fast 30 Jahren den Computerstaat besungen hat. Smart Bomb zeigt: Milder sind Abwärts seitdem jedenfalls nicht geworden.
Ebenfalls Ende September kommt Politics Of Living heraus, das neue Album von Kodaline. Die dritte Platte der Band aus Irland war schon mehrfach verschoben worden. „Wir hatten das Gefühl, dass wir uns die Zeit nehmen mussten, um das bestmögliche Album aufzunehmen. Wir sind sehr glücklich damit und können es kaum erwarten, dass die Leute es zu hören bekommen“, sagt Sänger Steve Garrigan. Entsprechend viele Vorab-Tracks gibt es bereits. Zu den Singles Brother und Follow Your Fire, das in den englischen Charts die Top20 erreicht hat, gesellt sich nun Shed A Tear (**1/2) hinzu. Allzu politisch geht es darauf natürlich nicht zu, das wäre auch höchst überraschend bei einer Band, die sich im Mainstream sehr wohl fühlt und für das neue Album als Songwriter unter anderem Steve Mac (Ed Sheeran), Steve Harris (Kaiser Chiefs, Santana), Two Inch Punch (Rag’n’Bone Man, Sam Smith), Jonas Jeberg (Kylie Minogue) und Spike Stent (Madonna, Depeche Mode, Harry Styles) sowie als Produzenten Johnny McDaid (Snow Patrol, Robbie Williams) engagiert hat. Shed A Tear erweist sich passend dazu als recht pathetische Ballade mit der eindringlichen Stimme von Garrigan, getragenem Beat, Klavierfundament, Gospelchor und Eighties-Gitarre im Hintergrund. Wer Zuspruch in harten Zeiten sucht, vor allem im Radio, könnte darin wohl wirklich ein bisschen Trost finden.
Einerseits Andererseits hieß vor fast zehn Jahren das Debütalbum von Chefket alias Şevket Dirican. Gemeint war damit auch das Neben-/Mit-/Gegeneinander von deutscher und türkischer Kultur, das er in sich vereint. Das Thema ist natürlich hoch aktuell, sein drittes Album Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes) wird sich bei Erscheinen am 17. August deshalb sicherlich besonderer Aufmerksamkeit erfreuen können. Die erste Single Gel Keyfim Gel (***) gibt es jetzt schon, inklusive Gastauftritt von Marsimito, der erstmals auf Türkisch rappt. Übersetzt heißt der Titel so viel wie „Läuft bei dir“, man verbindet damit vor allem Momente des Chillens, des bewussten Genießens der eigenen Zufriedenheit. Entsprechend entspannt ist der Sound, entsprechend stolz präsentiert sich im Video die Green-Berlin-Crew. „Lass uns ein Kunstwerk bauen / bevor wir daraus Scherben machen“ – das ist ein ziemlich empfehlenswertes Motto.