Als The Jeremy Days zum letzten Mal neue Musik veröffentlicht haben, war Helmut Kohl der Bundeskanzler, Bayer Uerdingen spielte noch in der Fußball-Bundesliga und Menschen wie Birdy, Bella Hadid und Shirin David waren noch gar nicht geboren. Das zeigt die Dimension der Nachricht, dass die Hamburger Band ein neues Album ankündigt, das am 25. März veröffentlicht und Beauty In Broken heißen wird. Der Titelsong (***1/2) ist jetzt als Vorbote erschienen, glänzt mit Gelassenheit, Verzicht auf Modernismen, einer an Crowded House erinnernden Eleganz in der Strophe und einem guten Refrain mit einem hymnischen, kämpferischen Element à la U2. Die Geschichte dieses Comebacks beginnt im Jahr 2018, als The Jeremy Days erstmals nach dem 1996 erfolgten Split wieder ein Konzert gaben. Da entstand bei Dirk Darmstaedter (Gesang, Gitarre), Jörn Heilbut (Gitarre), Louis C. Oberlander (Keyboards) und Stefan Rager (Schlagzeug) der Gedanke, dass da vielleicht doch noch etwas Besonderes ist, dass es weiterhin eine Nachfrage für ihre Musik gibt und vor allem, dass man doch wieder miteinander auskommen kann. Die erste Single thematisiert dann auch das Potenzial der Zerstörung, aus der Neues erwachsen kann, was vielleicht umso reizvoller und haltbarer ist, weil darin auch die Erfahrung von Defekt, Zerrüttung und vermeintlichem Ende steckt. Entsprechend kombiniert auch das Video Bilder von damals und heute. „I won’t ask / I don’t want too much / there’s a sense / there’s a beauty in broken“ – diese Zeilen spielen dann auch sehr gekonnt damit, dass sie für eine Liebesbeziehung ebenso passen wie für das Miteinander in einer Band.
COIN steht der Moment, in dem man froh ist, die anderen in der Band los zu sein, noch bevor, aber das Trio aus Nashville scheint mit Macht daran zu arbeiten. Zum einen sind Chase Lawrence, Ryan Winnen und Joe Memmel überaus fleißig, was einen Band-Burnout vielleicht beschleunigen könnte: 2021 spielten sie eine ausverkaufte 26-Städte-Tournee in Nordamerika, in diesem Jahr stehen unter anderem eine Tour als Opener für 5 Seconds Of Summer in Großbritannien sowie Festivalauftritte an. Zum anderen scheinen sie sehr stark auf Erfolg fixiert zu sein, was Stoff für Konflikte bieten dürfte, sollte es einmal nicht mehr so gut laufen wie beispielsweise mit der letzten Single Chapstick, mit der sie 7 Millionen Streams, die Top 10 der AAA und Top 20 der Alternative Radio Charts erreichen konnten. Auch die neue Single Cutie (***) wird gut ins Radio passen, wozu die helle Stimme ebenso beiträgt wie die dezente Tanzbarkeit und ein sehr moderner Refrain. „Es gibt immer drei Versionen von uns – die tatsächliche, die oberflächliche und die digitale“, sagen COIN zu diesem Song, der wohl ein weiterer Vorgeschmack auf das vierte Album sein dürfte, das indes noch nicht offiziell angekündigt ist. „Diese Identitäten verändern sich ständig, jede beeinflusst die andere. Wie können wir wissen, welche davon ‚echt‘ ist? Wie kann ich von jemandem erwarten, dass er sich auf meine eigene Selbstwahrnehmung beschränkt? Cutie beschäftigt sich mit Kontrolle, Veränderung und Verwirrung. In dem Song geht es um eine künstliche Intelligenz, die zum ersten Mal eine Mandarine probiert. Werft die Zutaten in den musikalischen Mixer!“
Eine sehr ordentliche Erfolgsbilanz hat auch Arlo Parks vorzuweisen, und mit der neuen Single Softly (****1/2) soll sich das fortsetzen. Für das Debütalbum Collapsed In Sunbeams gab es zwei Grammy-Nominierungen, den BRIT Award als beste neue Künstlerin, den Mercury Prize und den BBC Introducing Artist Of The Year Award sowie eine Top 3-Platzierung in den britischen Albumcharts. Billie Eilish, Florence Welch, Michelle Obama, Angel Olsen, Phoebe Bridgers und Massive Attack gehören zu den Leuten, die ihre Bewunderung für diese Musik zum Ausdruck gebracht haben. Das Lied erzählt von einer Beziehung kurz vor dem Aus: „Es geht darum, wie man schon versucht, sich für den Schlag einer Trennung zu wappnen und sich an die Tage zu erinnern, an denen sich alles noch strahlend anfühlte“, sagt Arlo. Der Sound dazu ist erstaunlich sanft, in der Stimme steckt die sich anbahnende Trübsal, der nervöse Beat sorgt für die nötige Energie, das Klavier setzt spannende Akzente. Ein wenig kann man da an eine melancholische Lily Allen denken. Das Video zu Softly haben Linden Zhang und Hannah Knight beigesteuert und dabei eine schöne Entsprechung für den Inhalt des Tracks gefunden. „Wir fühlten uns instinktiv von der warmen, verschwommenen Nostalgie der 1960er Jahre angezogen. Uns gefiel die Idee, dass etwas universell Romantisches im Laufe des Films langsam entzogen wird“, erzählt das Regie-Duo. „Wir haben die Farben der Ziegel, der Verkleidungen und der Türen an die Malerei der Jahrhundertmitte angelehnt, um diese Romantik in alles einzubacken. Die Produktion selbst war eine große Herausforderung, da alles mit der Kamera aufgenommen wurde und jedes Teil des Sets auf Rädern gebaut und von mehreren Produktionsmitarbeitern bedient wurde.“ Der Aufwand hat sich gelohnt: Das Ergebnis ist wunderschön und wunderschön kreativ.
Wallis Bird scheint die Veränderung nicht unbedingt zu fürchten, sondern eher herbeizusehnen. What’s Wrong With Changing? (***) heißt ihre neue Single, die zugleich der erste Ausblick auf ihr siebtes Album Hands ist, das am 27. Mai erscheint. Das Lied schwingt sich sehr gekonnt zu einem ziemlich erstaunlichen Drama auf und steckt voller kleiner Überraschungen, nicht nur im Vergleich zu ihrem bisherigen Schaffen. Der Titel der Platte hat für die in Berlin lebende irische Singer-Songwriterin nicht nur deshalb eine besondere Bedeutung, weil sie bei einem Unfall als Kind die Finger ihrer linken Hand verlor (die dann wieder angenäht werden konnten). Sie findet auch das Wort ’Hands‘ für sich betrachtet schon ungemein faszinierend. „Weil Hände Sicherheit vermitteln, aber auch Gewalt zufügen können. Hände ermöglichen Sinneswahrnehmungen, die mit zu den schönsten gehören, die man erleben kann, zum Beispiel, wenn man einem geliebten Menschen durch die Haare streicht. Zum ersten Mal Dinge bei der Produktion aus der Hand gegeben zu haben – das ist eine weitere Bedeutungsebene, die erst Wochen später zu mir kam.“ Sie hat diesmal nämlich intensiv mit Philipp Milner (eine Hälfte von Hundreds) zusammengearbeitet, der wohl seinen Anteil daran hat, dass man auf What’s Wrong With Changing? und auch auf Hands insgesamt recht viele Synthesizer und Beats hören kann – und sogar so etwas wie einen Rap, der gut zur Kämpferinnenpose im Clip passt.
Auch Rolling Blackouts Coastal Fever haben die erste Kostprobe ihrer neuen Platte am Start. Endless Rooms wird das am 6. Mai erscheinende Album heißen, und nimmt man The Way It Shatters (****) zum Maßstab, darf man von den Australiern wieder viel Schwung, Witz und Eingängigkeit erwarten – und durchaus auch Haltung. „Es geht darum, dass die eigene Lebenssituation das Ergebnis eines absoluten Zufalls ist. Ob man zufällig im wohlhabenden Australien geboren wird oder zufällig in einem Kriegsgebiet in Syrien: Das ist einfach die Art und Weise, wie sich die Splitter verteilen, wenn etwas kaputt geht. Wenn man dieses Glück mit dem Stolz auf sich selbst oder sein Land verwechselt, wird man verwirrt und weiß nicht mehr, worauf es ankommt. Dann werden diejenigen, die auf der anderen Seite der Glücksskala stehen, völlig ausgegrenzt und als nicht würdig betrachtet“, sagt die Band, bestehend aus Fran Keaney, Joe White, Marcel Tussie und den Brüdern Tom und Joe Russo. Die Letztgenannten hatten an der Entstehung von Endless Rooms besonderen Anteil, denn die zwölf Songs wurden in einem Lehmziegelhaus etwa zwei Stunden nördlich von Melbourne aufgenommen, das von der Großfamilie Russo in den 1970er Jahren gebaut worden war. Rolling Blackouts Coastal Fever haben dabei erstmals selbst produziert und mit ihrer Arbeitsweise, die sie als „Chasing down songs in a room together“ beschreiben, offensichtlich wieder ziemlich spektakuläre Ergebnisse erzielt.