Down With Another One (****) heißt die neue Single von William Fitzsimmons. Man kann das auf die Tatsache beziehen, dass er – nach sieben Alben und handgezählt 120 veröffentlichten Songs (wenn man Liveversionen, Remixes etc. mitrechnet) – einfach ein weiteres neues Lied gemacht hat. Beim notorisch melancholischen Amerikaner hat der Titel aber natürlich noch eine andere Bedeutung. „Es geht um einen Mann, der sich damit abfindet, dass er unfähig dazu ist, eine vertrauensvolle Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten, oder die Art von Partner und Person zu sein, die er so verzweifelt sein möchte.“ Das Lied ist ein weiterer Vorgeschmach auf das Album Ready The Astronaut, entsprechend ist der Sänger im animierten Video von Zach Bell auch in der Rolle eines Weltraumreisenden zu sehen, was durchaus einen inhaltlichen Bezug zu Down With Another One hat: „Es fühlt sich an, als sehe man einem Mann mit Flügeln dabei zu, wie er ins Meer stürzt. Es geht um die Kapitulation vor dem Scheitern, während wieder eine Beziehung im Sterben liegt – und um die Frage, ob er vielleicht doch eines Tages in der Lage sein wird, zu fliegen.“ So erwartbar das Thema ist, so überraschend sind einige der Zutaten dafür, etwa die elektronischen Elemente zu Beginn, später die ziemlich schroffe E-Gitarre oder das recht kraftvolle Schlagzeug. Wer Herzschmerz immer wieder so gekonnt in Szene setzt, darf sich ruhig noch ein bisschen länger diesem Thema widmen, wie auch der Künstler selbst findet: „Ich werde immer wieder gefragt: Wirst du jemals fröhliche Musik schreiben? Es gibt eine Million gute Antworten darauf, etwa die von Ani DiFranco: ‚Wenn ich glücklich bin, dann will ich einfach leben, und nicht darüber schreiben.‘ Das stimmt alles. Als ich meine Job-Beschreibung erhielt, stand da einfach drauf: ‚Du musst über die schlimme Scheiße schreiben.‘ Das wurde zu meiner Verantwortung. Das klingt vielleicht etwas egoistisch, aber das ist einfach mein Beruf. Es ist das, was ich mache, und ich bin gut darin“, sagt William Fitzsimmons. „Ich schreibe also ‚traurige Musik‘. Wenn sie jemand so kategorisieren will, ist das okay. Wenn man sich aber ein bisschen eingehender damit beschäftigt, erkennt man, dass darin viel mehr passiert.“
Vielleicht das Gegenprogramm haben You Me At Six im Gepäck: Adrenaline (***) heißt ihr nächster Einblick in das gerade veröffentlichte Album Suckapunch. Sänger Josh Franceschi sagt über das Lied: „Es geht darum, dass wir verstehen und akzeptieren, dass in jedem Menschen das Potenzial für eine gespaltene Persönlichkeit stecken kann. Wir arrangieren uns mit dieser Abhängigkeit voneinander.“ Der Sound macht das, was man von You Me At Six (laut Daily Star “the hottest band in rock right now“, allerdings bezog sich diese Aussage darauf, dass sie als Gimmick zur Albumveröffentlichung eine Gewürzsoße in limitierter Auflage herausgebracht haben) erwarten darf: Viel Rock wird mit etwas Elektronik verschmolzen, im Refrain werden die Regler in Richtung „Hymne“ geschoben und im letzten Drittel darf es noch ein bisschen härter werden, ohne die Grenzen der Radio-Tauglichkeit zu verlassen. Wer noch mehr Adrenalin braucht, kann ja Wetten darauf abschließen, ob die für Juni geplanten Deutschland-Konzerte von You Me At Six zustande kommen.
Bleiben wir in Deutschland, wo Bosse neuerdings Das Paradies (****) heraufbeschwört, unverkennbar auch als Gegenprogramm zur Pandemie, die gerade alle Konzerte und praktisch auch alle weiteren Popkultur-Vergnügungen verhindert. „Das Paradies ist eine geträumte Idealvorstellung. Es geht darum, dass die Leute einfach gut und entspannt miteinander leben“, sagt Aki Bosse über den Song. „Es gibt in diesem Paradies niemanden, der einsam ist oder hinterher hängt, weil die Leute empathisch sind und gut miteinander.“ Die gesungene Utopie sollte „Protest, aber nicht Lichterkette und nicht Flugblatt“ werden, sagt er, und das ist wunderbar gelungen. Der Song ist kraftvoll und klar genug, um nicht naiv zu sein und so universell, dass wohl selbst Leute, die das Wort „Gutmensch“ als Beleidigung benutzen, sich darin wiederfinden könnten. Nicht zuletzt verweist Das Paradies auch auf die eigenen Ideale und die Erfahrung, dass wir sie gelegentlich vergessen oder gar verraten. Für das Video hat Bosse lauter Menschen und Initiativen eingeladen, die Gutes tun, darunter sind Enno Bunger, Bela B. und Marcus Wiebusch.
Kummer könnte natürlich auch ein Lied von den ägerlichen Folgen der Pandemie singen, musste er doch allerlei Konzertpläne zu seinem ersten Soloalbum Kiox beerdigen. Immerhin ist der Kraftklub-Mann für den WDR live aktiv gewesen, genauer gesagt für die Machiavelli Sessions zusammen mit dem WDR Funkhausorchester. Zusammen haben sie Schiff (*****) gespielt, und das Ergebnis ist atemberaubend, weil das Drama dieses Songs in der Umsetzung (im Wortsinne) mit Pauken und Trompeten ebenso herauskommt wie die Zerrissenheit beim Blick auf die Heimat – und es in dieser „Begleitmusik zum Untergang“ nicht zuletzt eine spannende neue Facette gibt. „Ein leichtes Schaudern beim Blick auf die da draußen“ und„Atme tief ein, atme tief aus“, das ist ja in diesen Tagen fast schon Punk.
Zombies hat Corona bisher zwar noch nicht hervorgebracht, UNS scheinen das aber ändern zu wollen. Das Trio aus Berlin hatte vor einem Jahr eigentlich sein Abschiedskonzert gegeben und sich nach zehn Jahren (und dem grandiosen Album Alles Was Wir Machen Ist Kunst als Schwanengesang) aufgelöst. Jetzt gibt es von Sebastian, Sebastian und Jens doch noch ein neues Lied, es heißt Komm (****) und ist, wie man der ersten Zeile entnehmen kann, „eine Intervention“. Der wenig erbauliche Appell lautet: „Komm, lass das Gewimmer / gib nicht auf / es wird noch schlimmer.“ Aufgenommen wurde das alles unter Wahrung des Kontaktverbots, alle drei ehemaligen Bandmitglieder haben zuhause ihre Instrumente eingespielt, Tobias Siebert hat das alles dann zusammengefügt. Das Resultat hat viel von Kraftwerk und zugleich eine enorme Wucht, es ist hörbar ernst gemeint und ermöglicht doch Spaß mittels Pogo, Energie und Slogans. „Die allergrößte Lüge ist: Ich kann nicht mehr“ – auch das hat natürlich einen wunderbar doppelten Boden, wenn man bedenkt, aus welcher Position heraus UNS hier musizieren.