Future Franz – „Normal“

Künstler Future Franz

Future Franz Normal Review Kritik
Future Franz hat alles an „Normal“ selbst gemacht.
Album Normal
Label Abficker
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Es gibt hier keine Vorwarnung und auch kein vorsichtiges Heranführen. Gleich in der ersten Sekunde dieses Albums, bevor irgendein Instrument erklingt, hört man die Stimme von Future Franz. Und sie singt folgende Zeilen: „Und ich schieße eine Feuerwerksrakete in die Luft / aus meinem Arsch / sie ist gefüllt mit Scheiße / es regnet auf euch / auf grandiose Weise.“ Die Musik spielt dazu eine leiernde, seifige, unmotivierte RnB-Ballade namens Feuerwerk, und man ahnt bereits: Das hier wird besonders.

Was einen in den insgesamt neun Liedern und 27 Minuten dieses Debütalbums erwartet, sieht man dennoch nicht kommen. Es wird nicht viele Platten geben in diesem Jahr, die einen so in den Bann ziehen wie Normal, sei es aus Begeisterung oder weil man sich permanent fragt: Meint der das ernst? Ist das Trash? Ist das cool?

In der Single Raucher täuscht eine Keyboardmelodie gute Laune vor, im Text bekennt Future Franz, dass er weiß, wie bescheuert, hässlich und tödlich Rauchen ist, aber dass er dennoch weiter raucht, manchmal sogar gerne. „Warum ist es mir egal, dass ich daran verrecke? Bin ich dumm? Oder selbstzerstörerisch?“, fragt er sich. Mit Frier‘ mich ein nimmt er, begleitet von einer Schrammelgitarre, ganz offensichtlich die Larmoyanz auf die Schippe, die man bei praktisch jedem Singer-Songwriter findet. In Nacktfoto gibt es, zu viel Auto-Tune und diversen anderen Stimmeffekten, die Aufforderung, ihm ein Nacktfoto zu senden und das Versprechen, er werde auch zurück schreiben.

All das ist so irritierend, weil es so offensichtlich ist. Es gibt keine lyrischen Codes, sondern gnadenlose Ehrlichkeit. Wiederholt verweigert Future Franz den Reim, den man erwarten und der deutlich machen würde, dass das hier Absicht ist und sogar Mühe darin steckt. Durch diese Methode wirken seine Texte spontan, manchmal amateurhaft, aber eben auch unberechenbar und authentisch. Sie sind ein direkter Ausdruck seiner Gedanken, nicht stilisiert und auch nicht nachbearbeitet mit dem Ziel, ihn cleverer, cooler oder glamouröser erscheinen zu lassen als er ist.

Gleichzeitig wird auf Normal deutlich, dass hier jemand ganz genau weiß, was er tut. Das Unbeholfene in diesen Texten ist kein Mangel an Kompetenz, sondern ästhetisches Mittel. Bestätigt findet man diesen Eindruck beim Blick auf die Biographie von Future Franz. Hinter diesem Namen steckt der Stuttgarter Daniel Strohhäcker alias Äh, Dings. Unter diesem Namen hat er beispielsweise Tilt von Maeckes produziert und auch für die Orsons gearbeitet. Auf seinem Solodebüt macht er alles selbst, neben Komposition und Produktion auch Videos, Artwork und Livekonzept.

Diese Mischung aus handwerklichem Können und Lust darauf, dieses an entscheidender Stelle eben zu verweigern und zu unterlaufen und eine Musik zu machen, die auf reizvolle Weise beschädigt ist statt perfekt und damit austauschbar, lässt an Christian Steiffen denken, mehr noch an Helge Schneider, ebenso wie die Mischung aus Punk und Dada, die man hier finden kann.

Man sollte deshalb allerdings nicht den Fehler machen, Normal für eine alberne Platte oder einen Witz zu halten. Das beste Beispiel für diesen Effekt ist Smartphone. Mit etwas Motivation könnte man daraus einen Reggae machen, auch wenn es zu dem hier besungenen Thema wahrscheinlich sowieso kein passendes Genre gibt: Es geht um Gewaltfantasien, die ausgelebt werden, weil dieses Hobby neuerdings gesellschaftlich akzeptiert ist. „Gestern Nacht habe ich geträumt, ich hätte meinen Friseur zersägt / ganz Berlin macht das so“, ist eine der Zeilen. Das Lied zeigt am Ende jedoch, dass dieses Szenario nicht bloß gaga ist, sondern womöglich eine Botschaft enthält, die lauten könnte: Diese Welt sorgt dafür, dass ganz viel Scheiße in uns steckt, verhindert mit ihren Konventionen aber, dass wir ein Ventil finden, um diese Scheiße wieder loszuwerden.

Auch in Idiot verändert sich die Wahrnehmung von albern zu moralisch, wenn man genauer hinhört. Future Franz beginnt mit dem Hinweis auf seine Tollpatschigkeit, die zur Erkenntnis „Ich bin ein Idiot“ führt, schließlich allerdings zur Schlussfolgerung, dass wir alle Idioten sind – und genau deshalb nicht bemerken, dass wir aus Unvernunft, Bequemlichkeit und Selbstüberschätzung heraus unseren Planeten zerstören. Besser wird’s nicht kann als Abschied von jeglicher Erwartungshaltung und Plädoyer für bescheidenen Realismus gelten beim Blick auf Finanzen, Aussehen und den Spaß, den man womöglich noch im Leben haben wir – oder eben nicht. In diesem Besser wird’s nicht liegt deshalb letztlich eine fast tröstende Kraft.

Den Abschluss des Albums bildet Allein. Ein Chor der Außenseiter singt darin mit viel Ironie „Jeder von uns ist allein“, und auch darin kann man ein ganz ernsthaftes Anliegen erkennen, nämlich den Appell daran, die kleinen Dinge zu schätzen. Es ist das ideale Schlusswort für diese Platte, denn auch damit unterstreicht Future Franz noch einmal: Wenn sein erstes Album eins nicht ist, dann normal.

Spektakuläre (und eklige) Special Effects bietet das Video zu Feuerwerk.

Äh, Dings bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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