Es ist vielleicht eine besonders deutsche Eigenart, dass man über Humor nicht einfach lachen kann. Man muss ihn analysieren. Auch dann, wenn er im Fernsehen stattfindet. Erst recht, wenn man auf einem Podium sitzt. Und unvermeidlich, wenn dieses Podium auch noch bei einem Branchentreff wie dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland steht.
Spaßdefizit im Programm? lautet die Frage, die dort diskutiert wird. Die Viererrunde auf dem Podium ist zwar nicht unbedingt typisch für das Humor-Angebot im deutschen Fernsehen. Niemand repräsentiert das klassische politische Kabarett à la Neues aus der Anstalt, auch Vertreter der Kategorie Cindy aus Marzahn fehlen, ebenso wie eine Abordnung der nach wie vor beliebten Comedy-Serien von Die dreisten Drei bis Ladykracher oder Stand-Up-Formaten wie dem Dauerbrenner Quatsch Comedy Club. Trotzdem entwickelt sich eine kurzweilige, sehr amüsante Debatte.
Immer wieder kann man auch den Satz „Jetzt mal im Ernst“ hören – und dann versucht sich das Quartett sogar an Antworten auf die großen Fragen des TV-Humors.
Gibt es ein quantitatives Spaßdefizit? Nein, sagt Christian Sieh, beim NDR zuständig für das Satiremagazin Extra 3. Er erkennt stattdessen sogar eine Übersättigung. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das noch mehr werden soll. Es gab eine große Nachfrage, und deshalb wurde ganz viel produziert. Eigentlich müsste das jetzt sein wie beim Schweinezyklus, also eher weniger werden.“
Gibt es ein qualitatives Spaßdefizit? Oh ja, meinen alle. „Über schlechte Comedy kann ich nicht lachen“, attestiert Sieh, aber er sieht trotzdem eine Menge davon im TV. „Ein guter Witz fällt einem nicht alle zwei Minuten ein. Man kann nicht 24 Stunden Programm mit Witzen füllen“, lautet seine Erklärung für das oft niedrige Niveau.
Gibt es ein personelles Spaßdefizit? Wie man’s nimmt, lautet der Tenor. Sieh verrät, dass es im NDR mittlerweile sogar eine Teamleiterin Humor gebe, die unter anderem den Tatortreiniger gegen Widerstände durchgesetzt habe. Reinhard Bärenz von MDR Sputnik glaubt, dass man sich um Nachwuchs keine Sorgen machen müsse. Es gebe immer genug junge Leute mit komischem Talent: „Humor braucht die richtige Persönlichkeit“, sagt er „wir brauchen da keinen Ausbildungszweig“.
Ist das Publikum überhaupt reif für richtig guten Humor? Nein. Man würde den Zuschauern ja gerne bessere Comedy bieten, aber die seien leider meist nicht daran interessiert. „Was die Macher lustig finden, wird vom Publikum oft nicht verstanden“, erklärt Bärenz dieses Dilemma. „Je anspruchsvoller der Humor ist, desto später rückt die Sendung in den Abend hinein“, hat Moderator Michael Bollinger erkannt. Sieh kommt zu einem ähnlichen Schluss, auch für seine eigene Sendung: „Es gibt ein breites Angebot im deutschen Fernsehen. Das Problem ist nur: Es guckt ja keiner. Ich weiß, dass wir intelligenten Humor machen. Ich weiß aber auch, dass wir nicht massentauglich sind.“
Sehr wenig davon ist neu, nichts davon ist überraschend. Aber da ist ja auch noch Jan Böhmermann, laut Programmheft des Medientreffpunkts Mitteldeutschland mit der Berufsbezeichnung „Satiriker“ nach Leipzig gekommen und bis kurz vor dieser Debatte Chefreporter der Harald-Schmidt-Show. Er ist der Grund dafür, dass alle Stühle im Studio 5 besetzt sind, viele davon mit Studentinnen. Und er ist der Grund dafür, dass die Debatte um das Spaßdefizit viel witziger ist als fast alles, was im Fernsehen als Comedy angeboten wird. „Spaß ist, wenn mein Publikum lacht“, heißt seine lapidare Antwort, als nach einer Definition von Humor gesucht wird, und das macht er an diesem Nachmittag in Leipzig zum Prinzip.
Man darf durchaus vermuten, dass ein Stückchen Ernst enthalten ist, wenn man ihn sagen hört: „Ich hätte gerne mit meiner guten Freundin Monika Piel über den Gottschalk-Sendeplatz gesprochen. Aber sie wusste nicht, wer ich bin.“ Und man muss definitiv bedauern, dass das so ist. Gebt diesem Mann eine Talkshow! (und zwar nicht bloß eine halbe bei ZDFkultur) – diese Forderung würden wohl die meisten hier unterschreiben.
Böhmermann genießt diesen Auftritt auf ungewohntem Terrain, und gerade die seltsamen Rahmenbedingungen machen diese Podiumsdiskussion für ihn zu einer idealen Bühne. Er ist der Einzige, der von Beginn an die Absurdität der Situation thematisiert: Vier Clowns sitzen da und sollen als ganz seriöse Experten über Wesen, Kritik und womöglich gar Zukunft des Humors dozieren.
In Moderator Michael Bollinger findet er ein dankbares Opfer. Der ehemalige Radiomacher, mittlerweile Intendant einer selbst gegründeten Kleinkunstbühne, hört sich gerne reden – besonders gerne über sich selbst. Schon zum Auftakt dichtet er Goethe um („vom Geiste befreit ist das deutsche Fernsehen“), danach verheddert er sich hoffnungslos im Versuch einer Verbrüderung mit dem Publikum (alle werden geduzt) und gleichzeitigem Zwang zur Akademisierung der Debatte (ewig lang reitet er auf einer angeblich notwendigen Nachwuchsförderung rum, auf die keiner eingehen will). „Ich alter Hase erzähl euch mal, wie es geht“ – dieser Ansatz bringt zunehmend schmerzverzerrte Gesichter auf dem Podium (und im Publikum) mit sich. Spaß geht anders.
Böhmermann hebelt all das geschickt aus. Er ist vorlaut und aggressiv und hat keine Angst davor, sich angreifbar zu machen (beispielsweise mit dem Bekenntnis, dass er bei Mario Barth lachen kann). Von Anfang an nimmt er die Rolle des Saboteurs ein. „Wie? Man sollte sich vorbereiten?“, fragt er ketzerisch, als MDR-Mann Bärenz seinen ersten Wortbeitrag um eine Audio-Einspielung anreichert (eine reichlich misslungene Privatradio-Persiflage, die Bärenz selbst noch immer rechtfertigt: „Wir fanden es lustig, aber nach sechs Jahren wegen Erfolglosigkeit eingestellt.“).
Böhmermann ist Selbstdarsteller – und er ist deshalb so gut, weil er keine Schere im Kopf hat. Gefühlt gibt es bei diesem Mann keinen Filter zwischen Hirn und Mund. Das macht seine Beiträge so bissig. Das führt auch dazu, dass er trotz etlicher Spitzen gegen die Zuschauer in Leipzig immer wieder verschwörerische Blicke ins Publikum werfen und sich sicher sein kann: Die Leute sind auf seiner Seite.
In Sieh hat er einen perfekten Mitstreiter, gelegentlich spielen sie sich die Bälle zu, meist über den verdutzt in der Mitte sitzenden Bollinger hinweg. Erstaunlich: Böhmermann funktioniert nicht nur als Sidekick, sondern auch mit Sidekick.
Bei allem Klamauk hat er aber auch ein paar essentielle Beiträge zu bieten. Er wird sehr ernst, wenn es um die Unfähigkeit der ARD geht, ihre Inhalte online-gerecht aufzubereiten. Auch sonst ist die Bürokratie wohl der bisher größte Feind seiner Karriere gewesen. „Humor ist im Öffentlich-Rechtlichen besonders schwierig. Nichts ist der ARD fremder als Humor. Denn zum Humor gehört Anarchie, und die ist ihrer ganzen Organisationskultur fremd.“
Böhmermann plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen („Es sind tendenziell Nerds, die sich mit Humor professionell und erfolgreich beschäftigen“) und glänzt mit Anekdoten über Harald Schmidt („Eine Redaktionskonferenz bei Schmidt dauert vier Stunden, davon dreieinhalb Stunden Monolog von Harald. Im Rest der Zeit holen die Mitarbeiter Schnitzel und nicken“). Er erzählt auch, dass Spaß hinter den Kulissen zum sehr seriösen Geschäft werden kann. Und er betont, dass es heutzutage keinen Sinn mehr macht, Formate oder Gags aus dem Ausland abzukupfern, weil die Originale auch hierzulande im Netz verfügbar sind. „Man muss sich dem internationalen Wettbewerb stellen und sich selber Sachen ausdenken“, lautet seine Schlussfolgerung.
Ein Spaßdefizit, um noch einmal kurz zum Thema zu kommen, kann Böhmermann übrigens nicht feststellen. Seiner Ansicht nach gibt es „sehr viele lustige Sendungen im TV. Viele sind nicht lustig gemeint, sind aber trotzdem sehr lustig. Vor allem im MDR.“ Andere Shows seien komisch gemeint, würden aber nicht funktionieren. „Die entwickeln dann eine eigene Tragik, die auch auf ihre Art komisch ist. Komiker im BR ist so ein Beispiel. Der beste Beweis: Die ARD kann Meta-Comedy.“
Einen anderen Beitrag von mir zu diesem Event gibt es bei news.de.