Künstler | Genetikk | |
Album | MDNA | |
Label | Outta This World | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Es gibt natürlich schlimmere Musik als Genetikk. Es ist auch nicht fair, alles was an (Deutsch-)Rap falsch ist, an Rapper Kappa und Produzent Sikk auszulassen. Auch auf MDNA vereinen sie sehr gute Beats und Backing Tracks mit markanten Raps und dem einen oder anderen cleveren Reim. Aber auch wenn hier Technik und Handwerk teilweise weit über dem Niveau der Konkurrenz liegen, bleibt aber dennoch eine Attitüde, die dieser Musik in Zeiten von Klimawandel, Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien jede Möglichkeit nimmt, irgendwie akzeptabel zu sein.
Der Albumtitel MDNA steht für „Mass Destruction New Age“, was einerseits eine Anspielung auf D.N.A. ist, ihr gefeiertes Album aus dem Jahr 2013, und andererseits zeigt, dass Genetikk durchaus erkannt haben, dass wir uns möglicherweise an einer Zeitenwende befinden und in den Abgrund blicken. Auch das Intro unterstreicht das, ein Sprecher kündigt darin zu pompösen Streichern eine „neue Erfahrung“ für Hörer*innen an, diese Prophezeiung hat aber auch eine gefährliche Nähe zu postfaktischem Geschwurbel von unterschwelliger Kontrolle, Manipulation und „einer anderen Wahrheit“. Später rückt auch German Angst! (Der Traum ist aus), das mit einem Sample von Ton Steine Scherben die Corona-Situation beleuchtet, unerfreulich nahe an Querdenker-Idiom. Kappa schwafelt von „Freedom statt zu dienen“ und einem unsichtbaren, abstrakten Gegner, der angeblich unterdrückt und zensiert: „Mutter Natur hat Vater Staats Knie im Nacken.“ Das ist nicht nur dumm, sondern auch eine ziemlich schmerzhafte Vergewaltigung der Ideale, für die Rio Reiser und seine Mitstreiter*innen tatsächlich standen.
Eine Ego-Tour wie in Rap Or Die, das mit Zeilen wie „Nimm meinen Namen aus deinem Mund und mach Platz für meinen Schwanz“ von der vermeintlich vollständigen Hingabe an das eigene Metier handelt, oder den uninspirierten Diss-Track Antiassimiliert hätte man da jedenfalls kaum gefunden, auch keine hohle Einforderung von Gangster-Loyalität wie in Wo du warst.
Das ist vor allem ärgerlich, weil MDNA durchaus seine Momente hat, etwa durch die Wahl interessanter Samples wie in Kintsugi, das durch einen Frauenchor irgendwo zwischen Soul, Blues und Gospel bereichert wird, oder dem vergleichsweise assoziativen Faces, das eine jazzige Atmosphäre bekommt. Die Bläser im Album-Abschluss Patriot sind überraschend und fast so wirkungsvoll wie der Monsterbass, die stimmungsvolle Musik in Supernova würde zu Moby passen, das ebenfalls eher getragene Regen könnte fast als eine Fortsetzung von A-N-N-A durchgehen, ein Vierteljahrhundert nach dem Freundeskreis (und deutlich langweiliger). Wenn Genetikk mal nahe am Selbstmitleid-Modus agieren wie in Wein & Wasser, klingt das immerhin noch viel besser als beispielsweise bei Haftbefehl, auch die Kategorie von „leichtfüßig und romantisch à la Cro“ beherrschen sie, wie Vielleicht deutlich macht, unter anderem mit den Versen: „Vielleicht ist es wie bei Milhouse und Lisa / bestimmt füreinander, auch wenn ich dich nicht verdient habe.“
Das Problem dieser übermorgen erscheinenden Platte ist, dass sie Rap ist, ohne die Konventionen, Codes und Klischees von Rap auch nur ein einziges Mal zu hinterfragen. So inszeniert sich Kappa in Dank God als auserwählt, unantastbar und unerreicht. Wenn er in Requiem rappt, er habe „mehr Eier als ’ne Legebatterie“, fängt das schon tierisch an zu langweilen – dabei ist man da erst beim vierten von 18 Tracks auf MDNA. In Weck mich nie mehr auf geht es womöglich um eine verstorbene Person, der man nur noch im Traum begegnen kann, auch die schwelgerischen Streicher passen zu diesem Gedanken. Aber die Position als mega-harter Chabo verhindert es, dass hier die Emotionalität und Intensität entstehen können, die man da normalerweise erwarten würde. Der Tiefpunkt der Platte ist Kirschblüte, der Femizid nicht als gesellschaftliches Problem thematisiert, sondern als Wunschtraum und sexuelle Fantasie. Wenn ein weiterer Diss-Track fragt Wo ist die Message, dann muss die Antwort bei Genetikk leider wie bei fast allen Konkurrenten lauten: Es gibt keine Botschaft außer „Ich bin der Größte“, und diese Botschaft ist erstens unfassbar eindimensional und zweitens ziemlich bescheuert.
„Genetikk verlangt uns alles ab, und dem Publikum wahrscheinlich auch. Wir können es weder uns noch euch ersparen. Dafür sind wir nicht hier“, teilt das Duo mit, auch in diesem Zitat schwingt eine Mischung aus Märtyrer und Macker mit, die man in diesem Genre so häufig finden kann. Es ist der blinde Fleck im (Deutsch-)Rap: Dir geht es scheiße, weil du dich scheiße benimmst und dich in einer Szene bewegst, in der solches Benehmen als Standard eingefordert wird. Die Härte der Welt, die du kritisierst, und die Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen, gegen die du dich auflehnst, werden nicht besser, indem du dich in dieser Welt wie ein maximal egoistischer Idiot verhältst und versuchst, lediglich selbst eine Position zu erreichen, aus der heraus du dann andere diskriminieren kannst. Wenn der Gegner nicht nur besiegt, sondern immer auch gedemütigt werden muss, ist niemals ein Ende von Konflikt, Hass und Rache möglich. Gewalt statt Dialog, Aggressivität statt Verständnis, Wettbewerb statt Empathie, Materialismus statt Achtsamkeit, Sexismus statt Respekt – all das kann innerhalb der traditionellen Rap-Koordinaten nicht funktionieren, aber es wird von Genetikk propagiert, und zwar ohne ironische Schutzschicht wie etwa bei der Antilopen Gang. „Genetikk muss man lieben oder hassen, dazwischen ist nicht viel Platz“, heißt es im Presseinfo zu diesem Album. Ich nehme dann mal Letzteres.