Künstler | George Ezra | |
Album | Staying At Tamara’s | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Was ist bloß mit George Ezra passiert? Hat er Sex gehabt? Drogen genommen? Im Lotto gewonnen? Die Erleuchtung gefunden? Auf seinem zweiten Album Staying At Tamara’s klingt der 24-jährige Engländer viel, viel, viel besser gelaunt als auf dem Debüt. Und die Erklärung dafür ist, dass die Antwort wahrscheinlich Ja lautet, und zwar auf alle eingangs erwähnten Fragen.
Als Entsprechung des Lottogewinns hat sich sein 2014 nach einigen Mühen im Entstehungsprozess veröffentlichtes erstes Album erwiesen. Wanted On Voyage war mit mehr als drei Millionen abgesetzten Exemplaren das drittmeistverkaufte Album des Jahres in Großbritannien. Der damals 20-Jährige erreichte Platz 1 der UK-Charts und bekam vier Nominierungen für den BRIT Award.
Mit Sex ging das im Laufe der zwei Jahre währenden Welttournee, die dann folgte, womöglich auch einher. Die Erleuchtung hat sein früher Erfolg allerdings zunächst erschwert. „Am Ende wirst du wieder ausgespuckt“, erinnert sich George Ezra an das Gefühl, als es die Konzertreise vorbei war und er wieder so etwas wie einen Alltag in Hertford führen sollte, wo er immer noch im Haus seines Vaters wohnt. „Deine Freunde sind von Montag bis Freitag bei der Arbeit, also wartest du, bis sie Feierabend haben, damit du ins Pub gehen kannst. Sie gehen aber ins Pub, um nach einem anstrengend Arbeitstag zwei Biere zu trinken, und das war’s dann. Es ist für sie eine Art Belohnung. Aber wenn man den ganzen Tag nichts getan hat, bringt einen das nach einer Weile ziemlich runter“, hat er erkannt.
Die Lösung für ihn war, wie schon bei der ersten Platte: Raus aus England, frischer Wind, neue Eindrücke. Er ging wieder auf Reisen, nutzte Airbnb und landete in Barcelona, wo ihn kaum jemand kannte, auch nicht seine Gastgeberin. „Es war buchstäblich ein Bett im Zimmer einer Wohnung, die einem Mädchen namens Tamara gehörte. Im siebten Stock mit eingeschlagenen Fenstern im Treppenhaus. In einem Zimmer wohnte ein Mädchen aus Argentinien etwa in meinem Alter. In einem anderen ein älteres Paar aus Deutschland. Die Dusche war wacklig. Die Wohnungstür schloss nicht richtig. Es war ein ständiges Kommen und Gehen von Leuten“, beschreibt er die Szene, die zum Nährboden seines zweiten Albums wurde. „Es entpuppte sich als die beste Erfahrung, die ich hätte machen können. Tamaras Freunde waren alle Künstler, Designer, Modestudenten und sie sind einfach viel cooler als wir. Sie sagen Sachen wie: ‚Wollen wir Abendessen gehen? Dann treffen wir uns 23 Uhr!‘ Ich brauchte zwei Wochen, um mich darauf einzustellen und zu entschleunigen.”
Der Album-Auftakt Pretty Shining People ist der Song, der diesen Sinneswandel dokumentiert. „What a terrible time to be alive / If you’re prone to overthinking“, heißt es in der ersten Strophe noch, in der sehr bewussten Erkenntnis, wie undankbar so ein Lamento aus dem Mund es Popstars klingt. Es folgt aber die Lust auf Veränderung und Optimismus, die Erkenntnis, dass man diese Neigung, über alles viel zu sehr zu grübeln, vielleicht auch ablegen kann. Das Mittel dazu ist die Musik: George Ezra hat auch auf dieser Platte hörbar Spaß am Singen, deshalb klingt der extrem gut gelaunte Refrain des Openers auch nicht aufgesetzt.
„Alles hatte seinen Ursprung in dieser Wohnung, und davor muss ich meinen Hut ziehen“, erklärt er den Sinn des Albumtitels Staying At Tamara’s. Nach dem Aufenthalt in Barcelona ging es zwar zurück nach Großbritannien, wo er mit Songwriting-Partner Joel Pott (ehemals Athlete) und Produzent Cam Blackwood (London Grammar, Florence + The Machine) weiter an dem Material arbeitet. Doch auch dabei gab es mehrere Ortswechsel, um Routinen zu vermeiden und den Geist von Abenteuer, Freiheit und Spontaneität zu wahren.
Wie gut das funktioniert hat, beweist etwa Don’t Matter Now. Es gibt darin einen Hip-Hop-Beat (!) als Fundament, die Bläser und auch die Offbeat-Gitarre sorgen für eine große Leichtigkeit (im Ausmaß ungefähr von Shaggy). Sugarcoat demonstriert ebenso die neue Entspanntheit und deutet im Text an, dass dazu vielleicht auch Kiffen beigetragen hat (damit wären wir dann beim „Drogen genommen“ aus der Reihe der eingangs erwähnten Ursachen). Die große Lässigkeit von Hold My Girl erwächst vor allem daraus, auch die kleinen Dinge im Leben schätzen zu können wie den Moment, in dem der bescheidene Wunsch „Give me a minute to hold my girl“ erfüllt wird.
In diese Reihe passt auch Shotgun mit seinem grandiosen Groove, zu dem George Ezra spätestens im Refrain nur noch das schöne Leben, die gute Zeit feiert. „Eigentlich versuche ich unentwegt, Paul Simons Graceland nachzueifern, sowohl beim ersten Album als auch bei diesem hier“, gesteht er. „Shotgun ist der Song, wo ich es hinbekommen habe und die Leute sagen werden: ‚Das ist Graceland!‘ Aber das ist total okay.“ All My Love ist erstmals näher am erdigen Sound des Debütalbums, vor allem durch das getragene Tempo und die Kraft der Stimme, die hier stärker im Zentrum steht (und noch immer ein wenig an Darius Rucker denken lässt). Get Away betont: Es ist wichtig, an etwas zu glauben, und sei dieses „Etwas“ auch nur ein Traum.
In Paradise blickt George Ezra auf den Drang, verstorbenen Promis in sozialen Netzwerken posthum alles Gute zu wünschen. „Man kann Empathie und Anteilnahme empfinden, ohne das Bedürfnis zu haben, es zur Schau zu stellen. Und dieser Drang, immer alles kommentieren zu müssen? Das ist nicht, warum ich hier bin, weder im öffentlichen Kontext noch im Zusammenhang mit meinem Songwriting“, sagt er. Der Song dazu ist erstaunlich: Die komplett auf Eingängigkeit getrimmten ersten Takte könnte man sich mit dem fordernden Beat und dem plakativen Call & Response-Gesang problemlos von Right Said Fred vorstellen, danach gibt es aber genug schöne Details und kluge Variationen, um das Ergebnis nicht plump werden zu müssen.
Saviour ist der einzige Schwachpunkt von Staying At Tamara’s. Der Song ist etwas ambitionierter und theatralischer als der Rest, der Boom-Chika-Boom-Rhythmus und die Frauenstimmen im Hintergrund (von Johanna und Klara Söderberg alias First Aid Kit) sollen womöglich auf Johnny Cash und June Carter verweisen, aber das Lied ist weder bedrohlich noch tiefgründig. The Beautiful Dream beschließt das Album sehr innig und stimmig und ist als Liebeserklärung („No one else is such a beautiful dream to me“) ebenso geschmackvoll wie glaubwürdig. Davor gibt es in Only A Human noch zwei Zeilen, die Botschaft und Geist dieses Albums vielleicht am besten rüberbringen: „You can run, you can jump / I’ll fuck it up“, singt George Ezra da. Das soll wohl heißen: Wir alle verkacken ab und zu. Aber das macht uns nicht weniger wertvoll, sondern allenfalls ein bisschen mehr liebenswert.
Cheerleader hat sich George Ezra im Video zu Paradise als Verstärkung geholt.
Im April und Oktober gibt es Konzerttermine:
09.04.2018 Berlin – Huxleys Neue Welt
14.04.2018 Köln – Live Music Hall
22.-24.06.18 Hurricane- & Southside-Festival
11.10.2018 Frankfurt – Jahrhunderthalle
12.10.2018 Leipzig – Haus Auensee
19.10.2018 Berlin – Verti Music Hall
28.10.2018 Köln – Palladium