Künstler | Gerry Cinnamon | |
Album | Erratic Cinematic | |
Label | Kobalt | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Zimt schmeckt würzig, herb und etwas süß. Er wächst natürlich. Und er wird gerne mit Alkohol gemischt. Es ist deshalb ziemlich einleuchtend, dass sich der 1985 geborene Gerry Crosbie den Künstlernamen Gerry Cinnamon (zu Deutsch also: Gerhard Zimt) gegeben hat. Schon 2010 hat er eine EP mit einer Band namens The Cinnamons veröffentlicht, doch so richtig in Fahrt kam seine Karriere als Musiker erst, als er solo auftrat, bei Open Mic Nights und in kleinen Läden in seiner Heimatstadt Glasgow.
Ein Mann, eine Gitarre. So unspektakulär dieses Konzept ist, so aufsehenerregend ist das, was Gerry Cinnamon damit losgetreten hat. Ohne einen Plattenvertrag hat er umjubelte Konzerte gespielt, bei denen das Publikum immer größer wurde. 2016 spielte er eine ausverkaufte Show im (inzwischen geschlossenen) O2 ABC in seiner Heimatstadt, das mehr als 1000 Zuschauer fasste. Alles, was er zur Promotion brauchte, war ein Post auf seiner Facebook-Seite. Bei seiner ersten Tour durch England und Irland im vergangenen Jahr waren alle Shows ausverkauft, und zwar binnen Minuten. Sein erstes Album Erratic Cinematic, das morgen auch physisch in Deutschland veröffentlicht wird, hat er per Crowdfunding finanziert. Als es im September 2017 im UK erschien, erreichte es prompt Platz 1 der iTunes-Albumcharts.
„Es hat lange gebraucht, um es fertig zu stellen“, sagt Gerry Cinnamon über sein Debüt. „Aber jedes Mal, wenn ich mich an die Aufnahmen setzte, schrieb ich plötzlich neue Songs. Es ist ziemlich mitreißend, wie gut diese Songs vom Publikum aufgenommen wurden. Ich bin in erster Instanz ein Songwriter und erst in zweiter ein Musiker, von daher freut es mich, dass man dieses Schreibertalent ebenso würdigt wie meine Live-Shows. Es geht nur um die Songs, es gibt keine Plattenfirma, keine Promo – nur die Songs. Das bedeutet, dass alles sehr real ist, was hier passiert.“
Diese Anti-Kommerz-Botschaft ist für seinen Erfolg genauso wichtig wie die Songs selbst. Die sind allerdings spannend genug, um auch ohne diesen märchenhaften Do-It-Yourself-Hintergrund bestehen und manchmal auch bestechen zu können. Ein klingelnder Wecker ist das erste Geräusch auf Erratic Cinematic, dann begeistert Sometimes sofort mit einem sehr schwungvollen Beat, einer sehr heiteren Gitarrenmelodie und einem Selbstvertrauen im Gesang, das auch zu Biffy Clyro oder den Foo Fighters passen würde. Schnell ist klar: Es speist sich viel mehr aus Erfahrung und Beobachtung als aus Fantasie. Gerry Cinnamon ist ein Storyteller.
Der Sound von Lullaby ist Country, der Text könnte einem Blues-Klassiker entstammen, die Gitarre, die all das dominiert, lässt auch an Dick Dale oder Rockabilly denken. Der Titelsong ist in Western-Atmosphäre getaucht, der Album-Abschluss War TV setzt sehr gekonnt eine zweite Stimme ein, sodass man an die Proclaimers denken kann, Keysies erweist sich als Ballade im Wortsinne und bricht dann nach gerade 90 Sekunden abrupt ab, als könne er selbst die Erinnerung an die hier erzählte Begebenheit nicht mehr ertragen.
Im folkigen What Have You Done erkennt man den Anspruch, aufrecht und gut zu sein, aber auch die Gefahr, die in einer Versuchung steckt, die dieses Credo ins Wanken bringen könnte. Ähnlich ist Belter gelagert, das von einer Frau erzählt, für die man ein paar gute Vorsätze fahren lassen könnte. Diamonds In The Mud ist mit Bass, Schlagzeug und Pfeifen vergleichsweise üppig arrangiert und wäre auch von Frank Turner vorstellbar, Fortune Favours The Bold wird hingegen eher gemütlich. „I’d rather have holes in my shoes / than be drowning in gold“, singt Gerry Cinnamon darin, und diese Zeile zeigt: Er muss sich vielleicht gelegentlich an dieses Bekenntnis erinnern, aber er ist weiterhin davon überzeugt
Dass hier jemand mit einer Agenda unterwegs ist, sogar einen Kampf anzettelt, ist die Tatsache, die Erratic Cinematic so besonders macht. Echt sein statt fake, die Musik ins Herz schließen statt den Ruhm, die Fans lieben statt das Geld, das sie ausgeben – das sind die Ziele, für die Gerry Cinnamon steht. Dass er, je länger das Album währt, umso stärker seinen schottischen Akzent zum Vorschein kommen lässt, passt wunderbar zu diesem Plädoyer für Individualität und Authentizität. So einer macht Hoffnung, und auch dazu passt der Künstlername: Zimt ist ein Heilmittel.
Das Video zu Sometimes sieht auch erfreulich selbstgemacht aus.
Gerry Cinnamon spielt in diesen Tagen Konzerte in Deutschland.
25.04.2019 – Kesselhaus der Kulturbrauerei (Berlin)
26.04.2019 – Bürgerhaus Stollwerck (Köln)
27.04.2019 – Gruenspan (Hamburg)