Künstler*in | Girl Scout | |
EP | Real Life Human Garbage | |
Label | Made Records | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung |
Es gibt eine wunderbare Szene im Film The Commitments. Zwei Musiker aus einer Band, die kurz zuvor noch gemeinsam auf der Bühne gestanden hatten, begegnen sich da auf der Herrentoilette. Der eine hat vor ein paar Minuten ein recht eindrucksvolles Solo hingelegt, der andere schaut ihn nun an der Pissrinne skeptisch an und raunt ihm von der Seite zu: „Was du da gespielt hast, das war Jazzzzzzzz. Und das ist musikalisches Gewichse.“
Wie verächtlich er dieses „Jazzzzzzzz“ ausspricht, mit ganz viel Ekel in der Stimme und der Überlegenheit eines Musikers, der gelernt hat, dass ein Stück nicht von der Virtuosität seiner Interpreten lebt, sondern von der Leidenschaft der Interpretation, ist ein großer Kinomoment. Erst recht für Menschen wie mich, die ebenfalls der Meinung sind: So viele Töne wie möglich in einer so komplizierten Reihenfolge wie möglich zu spielen, unterlegt mit einem möglichst ungewöhnlichen Takt, um der Welt zu beweisen, wie technisch versiert oder innovativ man ist – das ist nicht meine Vorstellung von Musik. Ein Song darf gerne aus Strophe-Refrain-Strophe bestehen, ich habe nichts gegen Melodien zum Mitsingen und Rhythmen zum Tanzen und mir reichen zur Not auch zwei bis drei Akkorde.
Eine Band wie Girl Scout ist deshalb in meiner Welt hoch willkommen. Denn Emma Jansson, Evelina Arvidsson Eklind, Per Lindberg und Viktor Spasov haben allesamt Jazz am Royal College of Music in Stockholm studiert. Was sie nun gemeinsam auf Real Life Human Garbage veranstalten, hat mit diesem Genre aber absolut nichts mehr zu tun. Sie haben stattdessen auf ihrer ersten EP den guten alten Rock’N’Roll entdeckt. Man kann auch Power-Pop dazu sagen, das Quartett selbst spricht von „Post-Punk“. Sie sind also quasi geheilt worden.
Dieser Sinneswandel ist unter anderem Covid-19 zu verdanken. „Wir haben mehrere Jahre damit verbracht, immer nur Jazz zu spielen und zu studieren. Aber dann saßen wir mitten in einer Pandemie zu Hause fest. Das übliche Umfeld von Jamsessions und Transkriptionen war weg und wir konnten stattdessen zu unserem eigenen Vergnügen spielen. Und es stellte sich heraus, dass wir die Art von Musik machen wollten, die uns von Anfang an in ihren Bann gezogen hatte. Uns verband die gemeinsame Vorliebe für Bands wie Big Thief, Phoebe Bridgers, Elliot Smith und die Beatles. Das war der Ausgangspunkt für unseren Sound“, erzählen die vier Schwed*innen.
Man hört den fünf Liedern diese Einflüsse in der Tat an, ebenso wie die Freude an den Möglichkeiten von Gitarre-Schlagzeug-Bass. All The Time And Everywhere eröffnet die von Ali Chant und Jacknife Lee produzierte EP erfreulich straight, zunächst nur mit Gitarre, Gesang und einem Bekenntnis zum Unbehagen: „All the time it feels like I’m burning in a freak fire.“ Der Sound wird dann immer rotziger, als noch die zweite Stimme hinzukommt, ist ein Verweis beispielsweise auf die Muncie Girls durchaus passend – auch, weil Girl Scout als ihren regulären Gemütszustand ebenfalls eine latente Unzufriedenheit offenbaren.
So wird im etwas luftigeren Run Me Over das Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit (und Müdigkeit) im Vergleich mit den Altersgenoss*innen besungen, gipfelnd in der Bitte: „Can you run me over with your car?“ Die Selbstbezeichnung als Weirdo („I am just a woman / who doesn’t feel like something real“) wird mit Stolz getragen, von reichlich Eighties-Ästhetik umrahmt und von viel Spielfreude befeuert. „Es gibt eine intuitive Zusammenarbeit zwischen uns, bei der der musikalische Beitrag jedes Einzelnen auf natürliche Weise in das Ergebnis einfließt und unseren gemeinsamen Sound formt“, sagen Girl Scout. „Zu gitarrenlastigen Songs im klassischen Bandformat zurückzukehren, fühlte sich für uns erfrischend an, fast so, als wäre es wieder neu.“
Sehr typisch für Real Life Human Garbage ist auch ein Hang zur Nostalgie. Die Ausgangssituation in der umwerfenden Single Do You Remember Sally Moore? ist das Blättern im Jahrbuch der eigenen Abschlussklasse, der Song mit viel Drive und etwas New-Wave-Flair ist dabei nach der Königin des Jahrgangs benannt. Auch der Schlusspunkt Attenborough Beach erweist sich als Erinnerung an unschuldige, wenn auch nicht unbeschwerte Teenager-Zeiten. Das Stück beginnt als Ballade und wird dann sehr kraftvoll und sogar dramatisch, bietet bei aller Komplexität aber keinerlei Anlass, sich bei irgendwem darüber an der Pissrinne zu beschweren.