Gisbert zu Knyphausen – „Das Licht dieser Welt“

Künstler Gisbert zu Knyphausen

Das Licht dieser Welt Gisbert zu Knyphausen Kritik Review
Für sieben Jahre Pause vor „Das Licht dieser Welt“ hat Gisbert zu Knyphausen sehr gute Gründe.
Album Das Licht dieser Welt
Label Pias
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

In einem Bewerbungsgespräch würde das ungefähr so aussehen: Sehr vorzeigbare Ausbildung (das gefeierte Debütalbum 2008), äußerst ansprechende Referenzen (der zwei Jahre später erschienene Nachfolger Hurra! Hurra! So nicht), außerdem sogar ein wenig Engagement neben dem Job (das 2012 mit Nils Koppruch gegründete Projekt Kid Kopphausen). Aber dann kommt diese fatale Lücke. Was hat der Bewerber in dieser langen Zeit, in den sieben Jahren seit der letzten Platte als Solokünstker, nur gemacht?

Die Antwort von Gisbert Zu Knyphausen würde wohl vielfältig ausfallen. Auf der faulen Haut hat er seit dem Vorgänger keinesfalls gelegen, auch auf die schiefe Bahn ist er nur ein wenig geraten. Blickt man auf die Aktivitäten, die es nicht unbedingt in den Lebenslauf schaffen, war der 38-Jährige sogar äußerst umtriebig: Zuerst gab es eine ausgiebige Solotour, auch mit Kid Kopphausen gab es erste Konzerte. Später ging der Künstler als Bassist in der Band von Olli Schulz auf Tour, wurde (gemeinsam mit Moses Schneider) zum Mitglied von Husten und Der dünne Mann, die es immerhin auf eine EP brachten, und nahm ein ziemlich gutes Kinderlied auf. Und das ist längst nicht alles, was in diesen sieben Jahren passierte.

Der entscheidende Grund für die lange Pause vor dem gerade veröffentlichten Das Licht dieser Welt war allerdings der Tod von Nils Koppruch. Sechs Wochen nach Erscheinen des so erwartungsvoll I betitelten Albums von Kid Kopphausen starb er, und das warf seinen Bandkollegen verständlicherweise aus der Bahn. „Nils‘ Tod kam vollkommen unerwartet, ein totaler Schock. Unser Album war gerade erst erschienen, wir hatten die ersten Konzerte gegeben, hatten einen Riesenspaß und Pläne für das ganze Jahr – und dann das … Sein Tod war ein großer persönlicher Verlust, auch beruflich stand ich danach erstmal vor dem Nichts.“

Mit Etwas Besseres als den Tod finden wir überall gibt es auf Das Licht dieser Welt einen Song, den Nils Koppruch begonnen und Gisbert zu Knyphausen nun beendet hat. Er erinnert mit seiner Western-Ästhetik nicht wenig an das gemeinsame Album, dazu ist es ein ungemein tröstliches Lied. Darin kann man so etwas wie ein Leitmotiv der neuen Platte sehen. „Es geht darum, sich aufzudröseln und neu zusammen zu setzen, weiter zu suchen und die Liebe zu finden. Die Lieder handeln von der ewigen Sinnsuche, dem nicht einfach nur sein Können, vom Tod und dem Umgang damit, und wie man es schafft, mehr Licht und Optimismus in sein Leben zu lassen“, sagt Gisbert zu Knyphausen.

Passenderweise ist der Titelsong der Moment, der das am kräftigsten unterstreicht. „Kaum ist die Nabelschnur ab, schon stehen wir alle auf dem Schlauch / das Chaos hier ist unendlich / doch die Liebe ist es auch“, heißt es in Das Licht dieser Welt, und man hört, wie sehr sich der Künstler zu der hier heraufbeschworenen Leichtigkeit (inklusive Pfeifen im Walde und Beatles-Zitat im Text) zwingen musste, ohne dass sie deshalb unecht klingt. Unter dem hellblauen Himmel erweist sich als Panoptikum aus Schönheit, Unbeschwertheit, Abgründen, Isolation und Vertrauen, lässt die Waagschale dabei leicht in Richtung des Guten ausschlagen und hat zwischendurch richtig Lust auf Lärm. Stadt Land Flucht erzählt vom Rauskommen, Runterkommen und Woanderssein, was sich schon wie eine Erleichterung anfühlt, auch wenn man zugleich weiß, dass diese Flucht keine Lösung, schon gar keine dauerhafte ist.

Schnell zeigt das Album, produziert von Jean-Michel Tourette (Wir sind Helden), eine weitere zentrale Veränderung: Es gibt weniger Introspektion, dafür mehr Blick auf die Welt rundherum. „Überwiegend über mich zu singen, schien mir ermüdend. Außerdem hatte ich auf den ersten beiden Alben schon so vieles gesagt, das ich nicht noch einmal durchkauen wollte. Darum der Wechsel der Perspektive, die Hinwendung zu den Geschichten anderer Leute, die Erweiterung des Themenspektrums. Doch auch auf diesem Album gibt es sehr persönliche Lieder, wie zum Beispiel Dich zu lieben ist einfach oder eben Teheran Smiles.“ Ersteres verweist wunderbar romantisch auf das Gefühl, wie natürlich, richtig und beinahe zwangsläufig (wenn dieses Wort nicht so streng klänge) sich eine Beziehung anfühlen kann. Letzteres ist eines von zwei englischsprachigen Liedern auf Das Licht dieser Welt und geht auf eine Zusammenarbeit mit der Pallett Band im Iran zurück. „My mind was coloured in a million shades of blue“, singt Gisbert zu Knyphausen darin noch, doch genau dieser Song voller eleganter Melancholie wurde für ihn zur Kehrtwende nach dem Tief.

Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand begleitet einen älteren Mann, dessen Alltag vor allem Monotonie, Frust und Leere zu enthalten scheint, in dem sich eine Postkarte aber zum kleinen Hoffnungsschimmer mausert. Auch Kommen und Gehen, das nur Klavier und Gesang braucht, um zum großartigsten Song des Albums zu werden, wählt die Perspektive des Beobachters. Man kann sich nicht vorstellen, dass dieses Lied nach der ersten Strophe, die einen greisen Mann porträtiert, der sehenden Auges nicht nur seiner bevorstehenden Demenz, sondern auch dem baldigen Tod entgegen schreitet, noch trauriger werden könnte. Aber genau das passiert dann – man muss ein Herz aus Stein haben, um da nicht zumindest feuchte Augen zu kriegen. „Du willst das Mondlicht für sie sein / obwohl du weißt: Am hellsten scheint sie ganz für sich allein“, singt er in Keine Zeit zu verlieren – womöglich ist das hier verehrte Objekt, das die Bewunderung so kaltherzig verschmäht, keine Person, sondern die Erde an sich. Falls das so gemeint ist, dann wird Gisbert zu Knyphausen hier sogar beinahe politisch mit der Zeile: „Wir sind alle hier / obwohl uns niemand braucht.“

Cigarettes & Citylights, der zweite Song auf Englisch, hat eine große Leichtigkeit und vergleichsweise viel Schwung, er fühlt mit allen mit, die beinahe verkrampft nach einem (geografischen) Ziel für ihr Leben suchen, und hält ihnen doch den Spiegel vor: „And you ́re so eager to keep moving on / you’re digging a new hole, that you can crawl in and then call it your home.“ Auch Niemand handelt von der Suche nach Orientierung und Identität, zudem zeigt der Track als Auftakt von Das Licht dieser Welt gleich, wie sehr sich auch die klanglichen Koordinaten verändert haben: Das vertraute Picking auf der akustischen Gitarre setzt erst nach dem ersten Refrain ein, stattdessen gibt es (hier und auf dem gesamten Album) reichlich Bläser und Tasteninstrumente. „Es dauert lang bis man lernt, ein Niemand zu sein“, heißt eine der Erfahrungen, die in diesem Lied stecken. Einen lückenlosen Lebenslauf braucht man dann wohl auch nicht mehr.

Im Video ist der Niemand mit einem Luftschiff unterwegs.

Website von Gisbert zu Knyphausen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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