Künstler | Gloria | |
Album | Da | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Was am dritten Album von Gloria vielleicht am meisten erstaunt, ist die Tatsache, wie schnell diese Band so etwas wie eine Selbstverständlichkeit gefunden hat. Der Erfolg gedeiht, sie rücken in Festival-Lineups nach oben, die letzte Platte Geister hat vor zwei Jahren an den Top10 der deutschen Albumcharts gekratzt. All das geschieht ganz unabhängig davon, dass Mark Tavassol mal bei Wir sind Helden war oder mit wem Klaas Heufer-Umlauf nun gerade in welchem Format im Fernsehen zu sehen ist. Sie sind einfach Da, wenn man den Albumtitel so interpretieren darf, und auch die neun neuen Lieder zeigen: Das ist auch gut so.
Der Sturm eröffnet die Platte und hat leider nichts mit Shakespeare zu tun. Vielmehr geht es um die Macht der Gewohnheit. Das Lied baut sehr geschickt – unter anderem mit Trompeten und Posaunen – ordentlich Spannung auf, die offensichtlich für das wachsende Bestreben steht, den üblichen Trott endlich zu verlassen, ohne dass man dieses Bestreben tatsächlich in die Tat umsetzen müsste.
Narben hat einen vorsichtigen Discobeat und behandelt vielleicht den Entschluss, zusammenzukommen/zusammenzubleiben, im vollen Bewusstsein, dass es keine Garantien für einen ewigen Bestand dieses „Zusammen“ gibt. Womöglich ist das auch ein sehr reifer Rückblick auf das Ende einer Beziehung. Dieses Rätseln über die konkrete Bedeutung, ohne dass die Texte durch ihre Vieldeutigkeit beliebig wären, ist diesmal bei Gloria noch stärker ausgeprägt. Hochhaus ist das deutlichste Beispiel dafür: „Alles, was gut war / war mir nie gut genug“, singt Klaas Heufer-Umlauf, und das könnte vielleicht Arroganz und Hybris meinen, vielleicht geht es auch um das Leben in der Filterblase oder den Phoenix aus der antiken Mythologie, auf den im Text ebenfalls angespielt wird.
Auch musikalisch gibt es dezente Neuerungen. Neben den schon erwähnten Bläsern sind auch Streicher dabei, Mark Tavassol hat zudem hörbar Freude an Vintage-Synthesizern entwickelt. Manchmal wird Da etwas funky, wie in Erste Wahl, das womöglich (da ist wieder dieser Spielraum der Interpretation) von Fake News als Manipulation handelt, die auf einen fruchtbaren Boden aus Engstirnigkeit, Rücksichtslosigkeit und Angst fallen. Süchtig beginnt als Ballade und entfaltet dann das aufwändigste Arrangement des Albums, vielleicht mit einem ironischen Blick auf die Egozentrik, Bequemlichkeit und Selbsttäuschung, der man als Verliebter so gerne unterliegt. Die Zeile „Alles, was ich mache / hat die Uhr verdreht / für mich ist es zu spät“, könnte zumindest in diese Richtung deuten.
Nie mehr ist das Gegenstück dazu, sowohl mit der reduzierten Instrumentierung (in der Strophe gibt es fast nur eine akustische Schrammelgitarre und Gesang) als auch mit einer ausnahmsweise recht einfachen inhaltlichen Verortung (wenn auch über eine ziemlich komplizierte Situation): Es geht um den Zweifel über das, was zwischen Vertrautheit und Fremde ist, auch zwischen Zugehörigkeit und Abgrenzung, Vorsicht und Wagemut – und natürlich auch um die Faszination und Anziehungskraft, die damit verbunden sein kann.
Immer noch da, das so etwas wie der Titelsong ist und vor allem am Ende ordentlich Drive entwickelt, blickt auf den Mut, den es (zumindest hierzulande) braucht, um die Dinge einfach auch mal laufen zu lassen und auf das Gute zu vertrauen. Daraus folgt auch die implizite Erkenntnis, wie einfach es sein könnte, ein ganz anderes Weltbild zu haben, brächte man diesen Mut öfter auf. Der Protagonist in Einer von den anderen geht auf Partys eher aus Gewohnheit denn aus Feierfreude und stürzt sich ins Nachtleben, weil er nicht wahrhaben will, dass er längst keinen anderen Lebensinhalt mehr hat als diese hohlen Gespräche, das Posieren und unbedingte Weiterfeiern. Ähnlich erwachsen und schwermütig wird die Ballade Stille als Album-Schlusspunkt: Sie scheint gespeist aus einer tiefen Trauer über die eigene (vielleicht nur eingebildete) Ohnmacht, auch eine gehörige Portion von (wohl ebenfalls imaginierter) Resignation und Ratlosigkeit steckt darin.
Dieses „Wohls“ und „Vielleichts“ sind es, die den größten Reiz von Da ausmachen. Gloria zeigen mit dieser Bereitschaft zur Uneindeutigkeit und einer auch hier erstaunlichen Weigerung, sich irgendwelchen Trends und Erwartungshaltungen anzupassen, dass sie irgendwo zwischen Kettcar (aber weniger explizit) und Tocotronic (aber weniger abgehoben) ihren Platz gefunden haben und nun einfach ihr Ding machen.