Glück Bliss Review Kritik

Glück/Bliss

Film Glück / Bliss

Glück Bliss Review Kritik
Sascha (Katharina Behrens, links) und Jenny (Adam Hoya) verlieben sich am Arbeitsplatz.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2021
Spielzeit 90 Minuten
Regie Henrika Kull
Hauptdarsteller*innen Katharina Behrens, Adam Hoya
Bewertung

Worum geht’s?

Maria kommt aus Italien nach Berlin und hat den Kopf voller großer Pläne. Sie nennt sich „Performerin“, schreibt Gedichte und erzählt ihrem Vater am Telefon fantastische Geschichten davon, wie sie sämtliche Immobilien in der deutschen Hauptstadt aufkauft – um sie dann zu verschenken. Ihr Geld verdient sie vorerst als Prostituierte. Für ihre Freier nennt sie sich „Jenny“, sie spricht Englisch mit ihnen und versteht sich gut mit den Kolleginnen im Bordell. Insbesondere die etwas ältere „Sascha“ findet sie faszinierend. Die beiden Frauen freunden sich an, sie feiern Geburtstag zusammen und verbringen schließlich eine gemeinsame Liebesnacht im Hotel. „Sascha“, die eigentlich auch Maria heißt, hat einen festen Freund, der sich mit Plänen vom Heiraten und Auswandern trägt, und einen Sohn im Umland von Berlin, den sie regelmäßig besucht. So sehr sie sich zu „Jenny“ hingezogen fühlt, so schwer fällt es beiden, tatsächlich eine glückliche Liebesbeziehung zu führen. Ein Ausflug zu einem Dorffest in die brandenburgische Heimat von „Sascha“ endet in gegenseitiger Verbitterung – und „Jenny“ beschließt, ihr Glück vielleicht doch wieder in Italien zu versuchen.

Das sagt shitesite:

Beide heißen mit echtem Namen Maria, doch ihr Status im Bordell könnte kaum unterschiedlicher sein. „Sascha“ ist schon lange da und entsprechend abgebrüht, hat viele Stammkunden, ist beliebt und respektiert bei den Kolleginnen. „Jenny“ will sich und das Geschäft mit dem käuflichen Sex in erster Linie ausprobieren, muss sich erst einfinden und hat zugleich keinerlei Lust, ihre Individualität den Abläufen im Betrieb oder gar den Vorstellungen der Freier unterzuordnen.

Es sind diese Gegensätze, aus denen in Glück / Bliss die Anziehungskraft zwischen den beiden Frauen erwächst. Sie wollen zusammen sein, aber keine von beiden hat eine Idee, wie das gehen sollte. Ihre Neugierde aufeinander, später ihre Vertrautheit und ihre Leidenschaft, wirken ganz intuitiv und natürlich, trotzdem sind sie davon überfordert. Statt des sofortigen Austauschs von Geld gegen Dienstleistung, die ihren Beruf kennzeichnet, tritt in ihrem Miteinander ein vorsichtiges Flirten, Werben, Kennenlernen und Sich-Öffnen.

Zu den Stärken des Films von Henrika Kull gehört es, als wie selbstverständlich sie das Leben von Sexarbeiterinnen darstellt. Die entsprechenden Szenen wurden in echtem Bordell gedreht, in dem die Regisseurin zuvor recherchiert hatte. Viele der Prostituierten spielen sich selbst in ihrem gewohnten Umfeld. Es ist ein Arbeitsplatz, nicht mehr und nicht weniger, es wird nicht problematisiert und schon gar nicht stigmatisiert, was genau der Betrachtungsweise der beiden Hauptfiguren entspricht. Kull zeigt den Zusammenhalt zwischen den Sexarbeiterinnen ebenso wie die Methoden, die sie zum Umgang mit schwierigen Kunden gefunden haben. Auch hier wird ein Unterschied zwischen den beiden Frauen sehr deutlich: Männer (die in Glück / Bliss durchweg nicht gut wegkommen, sie sind entweder Schlappschwänze, potenzielle Vergewaltiger oder beides) sind für Sascha „dumm und hässlich“, wie sie ihrer Liebhaberin in einer Szene gesteht, für Jenny hingegen eine Möglichkeit, die eigene (nicht nur finanzielle) Unabhängigkeit zu definieren und auszutesten.

Die Machtfragen, die sich dabei stellen, erleben sie bald auch in ihrer eigenen Beziehung zueinander. Beide haben sich entschieden, Männern nicht mehr kostenlos für Sex zur Verfügung zu stehen, nun entziehen sie sich noch mehr durch ihre lesbische Liebe. Für „Sascha“ ist diese Erfahrung ebenso neu wie die Aussicht, vielleicht doch noch das Glück zu finden, für „Jenny“ (gespielt von Adam Hoya, der 2018 noch als Eva Collé in Searching Eva zu sehen war) stellt sich die Frage, ob ihre Sehnsucht nach echter Intimität vielleicht auf Dauer mit ihrem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit kollidieren wird. Letztlich geht es für beide darum, ob es eine echte Verbundenheit geben kann, wenn man Verbundenheit sonst nur als Ware erlebt – und um das Erkanntwerden als Mensch, als Persönlichkeit. Wenn „Sascha“ nackt am Fenster ihrer Wohnung der ganzen Stadt ein „Siehst du mich?“ entgegen schreit, dann ist das eines von vielen sehr starken Bildern in diesem einfühlsamen, bewegenden und wunderbar unaufdringlichen Film.

Bestes Zitat:

„My word for family is not their word for family.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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