Gregor McEwan – „Autumn Falls“

Künstler Gregor McEwan

Gregor McEwan Autumn Falls Review Kritik
„Autumn Falls“ ist die zweite Jahreszeiten-EP von Gregor McEwan.
EP Autumn Falls
Label Stargazer Records
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Es hätte alles so schön sein können. Mitte April erschien die EP Spring Forward von Gregor McEwan. Die Idee war schon damals: Er geht mit diesen neuen Songs auf Tour, lässt dann in der zweiten Jahreshälfte eine Herbst-Veröffentlichung folgen, erneut mit einer Konzertreise kombiniert. Dann könnte man die Lieder, angereichert um weiteres Material, vielleicht noch als Album herausbringen. Doch wie wir wissen, machte Corona dieses Konzept sehr nachhaltig kaputt. Hagen Siems, wie der Künstler aus Haltern am See bürgerlich heißt, ist von der Pandemie gleich doppelt gebeutelt. Nicht nur, dass Lockdown und Kontaktbeschränkungen einen großen Teil seiner geplanten Shows unmöglich und auch die Promotion für die EPs deutlich erschwert haben. Er ist auch noch als Booker für andere Künstler tätig, der weitgehende Stillstand in der Veranstaltungsbranche schlägt sich also auch in seinem zweiten Job extrem negativ nieder.

Als jüngst in Leipzig eines seiner rar gewordenen Konzerte stattfinden konnte, kokettierte er scherzhaft, eine Beamtenlaufbahn wäre vielleicht doch die bessere Karriere-Entscheidung gewesen. Doch das heute erscheinende Autumn Falls macht klar, wie falsch er damit liegt und wie froh wir als Fans von Indie-Singer-Songwritern sein dürfen, dass er sich anders entschieden und auch das Jahreszeiten-Konzept durchgezogen hat. Mehr noch: Die EP zeigt auch, wie sehr Gregor McEwan in Wirklichkeit natürlich auch selbst in seine Entscheidung vertraut und wie gekonnt er nach mittlerweile vier Alben seine Talente einzusetzen weiß.

Halloween Costume eröffnet den Reigen und zeigt bereits, dass man diese EP keineswegs als Nebenwerk missverstehen sollte. Gemeinsam mit Thies Neu hat Gregor McEwan selbst produziert, es sind gleich elf Mitstreiter auf Autumn Falls dabei und es darf, ausgehend von der akustischen Gitarre, gerne groß im Sound und gelegentlich auch dezent experimentell werden. Im Opener sieht man nach dem beschaulichen Beginn weder den hymnischen Refrain kommen noch das Bläser-Arrangement, die angedeuteten Bombast-Drums, das Zusammenspiel mehrerer Stimmen oder das Heavy-Rock-Finale. Die Zeile „Soon there will be love“ bleibt dabei in jeder Variation enorm tröstlich.

Der Titelsong ist einfühlsam und setzt auf Streicher als perfekte Ergänzung für die wehmütige, verlorene Stimmung, in der es natürlich auch Hoffnung inmitten der Vergänglichkeit gibt. Die Vergleiche mit The Mountain Goats und Okkervil River, die Jörkk Mechenbier im Presse-Info zieht, leuchten hier am meisten ein. Ode To Oh ist der einzig neue Song neben den drei bereits zuvor als Singles veröffentlichten Stücken der EP. Ein elektronischer Effekt sorgt darin für eine sehr tiefe zweite Stimme, geheimnisvoll wird die Stimmung zusätzlich durch Keyboardflächen und teils verfremdete Bläser. All das bildet einen sehr schönen Kontrast zum offenkundigen und alles einschließenden „Ohoho“. Genau diese Irritation und Reibung war angestrebt, sagt Gregor McEwan: „Ich habe lange mit dem Arrangement des Songs gerungen, bis mich der Blade Runner 2049-Score ziemlich inspirierte und ich mich in die Kombination aus lang gehaltenen Bläser-Flächen und Synthesizer-Swell-Effekten verliebte. Außerdem ergänzten wir das Arrangement durch ein paar tiefe Stimmen, Chöre und verstimmte Schreie, um den Song aufregend zu halten.“

Forever Ago beschließt die EP als bestes Lied: Die Stimme ist darin noch tiefer; Gesang, Tamburin, die Streicher wie aus einer anderen Ära und der Schlagzeugeinsatz verweisen auf Oasis, wie bei denen gibt es auch hier tolle Melodien im Überfluss. Wer Gregor McEwan in einer knappen Viertelstunde kennenlernen möchte oder einfach auf der Suche nach erstklassiger Herbstmusik ist, für den ist Autumn Falls in jedem Fall die richtige Wahl. Diese Lieder vereinen Selbstvertrauen und Sensibilität, Tiefe und Leichtigkeit, sie sind zugänglich, aber nicht anbiedernd, einnehmend, aber nicht kalkuliert. So universell sie funktionieren, so klar ist der Künstler – auch durch gelegentliche Anspielungen auf das Musikgeschäft, auf Songwirting, Akkorde und Melodien in den Texten – als Autor zu erkennen. Das ist vielleicht das größte Kompliment, das man Gregor McEwan machen kann: Diese Lieder könnten ganz vielen Menschen gefallen, aber sie könnten von niemand anderem als ihm stammen.

Im sehr stimmungsvollen Video zu Ode To Oh scheint die Zeit still zu stehen.

Website von Gregor McEwan.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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