Künstler*in | Grillmaster Flash | |
Album | Komplett Ready | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung |
Eigentlich könnte man nach 189 Sekunden aufhören mit dieser Platte. So lange dauert der Opener Wo ich jetzt bin, und danach hat man alles verstanden, wofür Grillmaster Flash steht. Die Musik klingt wie „Tom Petty, Bruce Springsteen und Bryan Adams gemeinsam mit allen Grand Hotel Van Cleef-Bands„, wie es der Cartoonist Andre Lux im Pressetext zum Album perfekt auf den Punkt bringt, und die Texte handeln vom Durchhalten, seinen Träumen treu bleiben und auf Konventionen pfeifen, entgegen aller Widrigkeiten.
Die ersten Worte des Lieds sind, in dieser Reihenfolge: „alright“, „oh yeah“ und „ja!“, und natürlich passt das nicht nur zum notorischen Optimismus und Anpacker-Gestus, den man von den oben genannten Vorbildern kennt, sondern ist auch ein Versuch, sich selbst zu motivieren, auch wenn das mitunter schwer fallen kann. Denn die Zeile „Schaut euch an, wo ich jetzt bin“ klingt nach Stolz und Prahlerei, nach Stadion (so hieß 2018 auch das letzte Album von Grillmaster Flash), Privatjet und Luxusvilla. Aber die Realität besteht bei ihm mitunter aus einem buhenden Publikum, Käsestullen als Catering und einem Auto voller leerer Flaschen, mit dem es zum nächsten Auftritt mit 50 Euro Gage geht.
Für Grillmaster Flash (bürgerlich: Christian Wesemann) ist das Glas dabei trotzdem immer halb voll. Nicht, weil er sich seinen bisher nur mittelprächtigen Erfolg schönreden will. Sondern weil er sich auch in den 13 Songs von Komplett Ready immer wieder in Erinnerung ruft: Das ist genau das, was ich machen will. Woran mein Herz hängt. Wofür ich brenne. Mir ist egal, wer das gut findet oder wie viele das kaufen (Andere Leude My Ass, hieß 2015 sein Debüt). Rockmusik, notfalls auch unter prekären Bedingungen und vollkommen ohne Glamour, ist hier eine Lebensaufgabe.
Man hört das auch direkt danach in Albtraum, das viel Vorwärtsdrang und Eingängigkeit hat und bei dem man fast meint, Sebastian Madsen (mit ihnen war Grillmaster Flash schon auf Tour, genau wie mit Kettcar und Thees Uhlmann) im Background-Chor zu hören. Wieder steht hier die Frage im Raum, wie viel Anklang diese Musik finden wird, und die Antwort lautet: „Es ist mir eigentlich egal / ich habe doch keine Wahl.“ Zugleich klingt im Songtitel vielleicht auch die Ahnung durch: Wirklich den einen großen Hit zu haben, der dann die Karriere prägt und den man jeden Abend spielen muss, ist vielleicht gar keine so wünschenswerte Perspektive.
Musik über Musik findet man auf Komplett Ready auch danach noch ein paar Mal. „Immer wenn irgendwo Enter Sandmann läuft, ist es Zeit zu gehen“, lautet die schlaue Empfehlung im ebenso coolen wie kompetenten Exit Sandman. Sein Talent für starke Bilder zeigt der Bremer unter anderem in Das Ende unserer Band, das vom Moment erzählt, als junge Menschen sich aus dem Heimatort in alle Winde zerstreuen und deshalb eben auch nicht mehr zusammen Musik machen können. Sie räumen die leeren Flaschen aus dem Proberaum, spielen noch ein Konzert vor einem Mini-Publikum, in dem sie fast jeden mit Namen kennen, und verabschieden sich am Bus, nach vielen Jahren und noch mehr schönen Erlebnissen – und mit dem Gefühl, dass es sich möglicherweise auch um „das Ende unserer Jugend“ handelt. Wie schmerzhaft dieser Verdacht ist, zeigt dabei nicht zuletzt die Tatsache, dass Das Ende unserer Band herrlich clever auf mehr als sechs Minuten herausgezögert wird.
Es gibt Lieder über Gentrifizierung (Da geht die Nachbarschaft) und arrogante Besserwisserei, die oft genug nur auf eingebildeter Klugheit beruht (Intellektuelligent), mit Autos auch eine Coverversion, deren Original von Ibrahim Lässing stammt und letztlich auch zeigt: Grillmaster Flash ist nicht der einzige Überzeugungstäter von dieser Sorte. Was macht Benni jetzt? erzählt davon, wie sehr gute Freunde von einst in Vergessenheit geraten können, untermalt von wunderbarem Rock-Rock inklusive Handclaps und Saxofonsolo.
Musikalisch etwas aus der Reihe fallen zwei Songs, die damit zugleich den Spannungsbogen des Albums mittragen. In Vivien („hat sich ihren Dialekt abtrainiert“, geht der Text weiter und zeigt damit die große Empathie für die kleinen Leute, die man auf Komplett Ready immer wieder antreffen kann) werden Melodie und Harmoniegesang so schön, dass es ein wenig in Richtung Schlager (oder meinetwegen Pur) abzudriften droht. Born To Die In Paderborn wird eine etwas psychedelische Horrorgeschichte mit Christian Steiffen als Erzähler und Anna Metzentin als Nachrichtensprecherin, die von einer Twilight-Zone und Gespenstern berichten muss.
Ich schmeiß mich weg bleibt weitgehend akustisch und erweist sich als Lied über erst enttäuschte und dann vermeintlich überwundene Liebe. „Ich lauf dir hinterher / und du mir nur davon“, ist die Ausgangssituation von ewigem Warten und Hoffen, dass es doch noch etwas wird, dass man endlich vom Backup zur großen Liebe aufsteigen darf. Abgelöst wird das dann durch den Entschluss: „Ich heb mich nicht mehr auf / ich schmeiß mich weg / in die Arme irgendeiner.“ Das vielleicht beste Lied auf Komplett Ready ist die Single Actionfigur. Grillmaster Flash besingt darin Menschen, denen nur noch ein Plastikspielzeug mit dem eigenen Gesicht und Körper fehlt, um das eigene Ego angemessen zu huldigen und dem Ausmaß ihrer Selbstliebe wirklich gerecht zu werden. Auch damit zeigt er, wie groß der Unterschied zwischen Egozentrik (die hier lächerlich gemacht wird) und Hingabe (die es hier in Unmengen gibt) ist – und wie entscheidend.