Künstler*in | H.C. McEntire | |
Album | Every Acre | |
Label | Merge Records | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung |
Wir sind noch im ersten Monat des Jahres, aber Every Acre hat jetzt schon gute Chancen auf den Titel als einer der ungewöhnlichsten Albumtitel 2023. Übersetzt heißt das dritte Soloalbum von H.C. McEntire so viel wie „jeder Acker“ oder auch „jeder Hektar“. Und tatsächlich widmet sich die Singer-Songwriterin aus North Carolina hier einem sehr amerikanischen Thema: Es geht um Landnahme, wie sie die Pilgerväter sich ebenfalls angemaßt haben wie all jene, die dann in Richtung Westen des Kontinents aufgebrochen sind. McEntire singt über Felder, die Ernte einbringen, über vererbte Grundstücke, über die sich wandelnden Landschaften. Das Albumcover zeigt tatächlich ein paar Äcker an einem Fluss, voneinander getrennt durch Hecken oder Bäume.
Die Musik ist schnell beschrieben: Die Künstlerin, die neben ihrem Solowerk auch in der Band von Angel Olsen spielt, verfeinert hier ihre queere Interpretation von Country. Es gibt noch etwas weniger Rock als zuletzt (auch wenn sich solche Elemente noch in Soft Crook finden), manchmal noch etwas Blues-Gefühl wie in Big Love oder auch ein schroffes E-Gitarren-Solo wie in Turpentine, bei dem Amy Ray mitwirkt und in dem sich auch der Vers mit „Every Acre“ finden lässt. Vor allem aber gibt es filigrane Melodien, eine meist gemächlich-entspannte Atmosphäre, wunderschönen Gesang und sehr poetische Texte, über das, was sich eben auch ergibt, wenn man verschiedene Schollen besingt: Wandern, Orientierungslosigkeit, Zwischenräume.
In New View werden ein paar sehr einflussreiche Dichter genannt („Read me Day, Ada, Laux, Berry, and Olds“), und man muss H.C. McEntire nicht zwingend in diese Reihe stellen, aber sie glänzt hier mit sehr feinen Zeilen (“Bend me, break me, split me right in two / mend me, make me / I’ll take more of you.”) ebenso wie in Rows Of Clover (“It ain’t the easy / kind of healing / when you’re down on your knees / clawing at the garden“) oder Shadows. “Walk your way into the river / is it fever, or surrender?” , fragt sie darin, bevor sich Zeilen anschließen, die das Hektar-Titelthema auf die eigene Biographie und Persönlichkeit übertragen, wie es auf Every Acre häufig auf sehr intelligente Weise geschieht: „What else do I need to move / to make room?“ S.G. Goodmann steuert in diesem Song die zweite Stimme bei, dazu kommt hier ein Herzschlag-Beat. An anderen Stellen reichert McEntire ihren Sound mal mit einem hypnotischen Bass an, mal mit einer Slide-Gitarre, mal mit an Gospel erinnernden Elementen, die nicht nur in Gospel Of A Certian Kind anklingen.
Ein Highlight ist das vom Klavier getragene Dovetail, das von verschiedenen Frauenfiguren, ihren Talente und ihren Traumata erzählt. Der Song „begann als schrilles Country-Demo, das ich grob zu Hause aufgenommen habe. Im Studio haben die Band und ich uns auf den Twang und die Outlaw-Attitüde eingelassen, es aufgenommen und uns dann anderen Songs zugewandt. Aber irgendetwas ermunterte uns immer wieder, diesen Song neu zu interpretieren, ihn aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten“, erzählt die Künstlerin. Luke Norton, der die Platte gemeinsam mit Missy Thangs coproduziert hat, gab dann den Anstoß dazu, daraus eine Ballade zu machen. In gewisser Weise hat das Lied damit die Wandlung genommen, die auch H.C. McEntire in ihrer bisherigen Karriere durchlaufen hat: Von ruppigen Anfängen wie als einstige Frontfrau von Mount Moriah bis zur feinfühligen, tiefsinnigen Meisterin. Schließlich ist auch das ein Element der Landnahme sowie der verschiedenen Flächen und Räume, die auf Every Acre von ihr besungen werden: Es geht dabei auch um das Finden eines Orts, an den man gehört. Um das Ankommen, und um ein Zuhause.