Haiyti – „Influencer“

Künstler Haiyti

Haiyti Influencer Review Kritik
Wer von „Influencer“ bloß Oberflächlichkeit erwartet, kennt Haiyti schlecht.
Album Influencer
Label Warner
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Comeback heißt der erste Track auf diesem Album. Es könnte kaum einen typischeren Titel für den Opener einer Rap-Platte geben, denn gefühlt 97 Prozent aller Hip-Hop-Longplayer beginnen so: Es geht darum, das Revier zu markieren. Man verweist darauf, dass man nichts verlernt hat. Man erinnert die Wettbewerber daran, dass man zurück ist und sie sich nunmehr verpissen können. Man kann dieses Element auch hier bei Haiyti finden, „Die Wolken ziehen, feiern mein Comeback” heißt eine Zeile. Doch mindestens in zweierlei Hinsicht zeigt die Hamburgerin schon im ersten Stück von Influencer, dass sie nicht ist wie alle anderen: Erstens ist ihr letztes Album Sui Sui erst fünf Monate alt, von einer Rückkehr aus der Vergessenheit, dem Urlaub oder gar Ruhestand kann also keine Rede sein. Zweitens kommt die Kampfansage hier erst ganz am Ende mit voller Kraft zur Entfaltung. Die erste Zeile des Tracks heißt vielmehr: „Ich habe alles, was ich liebe, verflucht.“ Haiyti erstürmt hier nicht den Thron, der ihr gehört und vielleicht nicht einmal vakant war, sondern kommt aus einem Tal der Tränen. “Ja, ich wollt zu viel, wäre fast verreckt / Weiß nicht, wo ich war, doch zu lange weg”, heißt es später, erst am Ende von Comeback wendet sich das Blatt: „Scheiß auf die Fake News / ich bin Deutschraps Zukunft.“

Natürlich wird da schon der sehr besondere Charakter dieser Künstlerin deutlich, der sie zum Feuilleton-Liebling und zur Echo-Gewinnerin gemacht hat. Rap ist bei ihr extrem individuell. Vor allem aber ist er menschlich, nicht Pose. Influencer ist dabei musikalisch noch abwechslungsreicher und überzeugender als die früheren Veröffentlichungen, zudem natürlich wieder deutlich abgründiger als der Durchschnitt in diesem Genre.

Das Spektrum reicht von Burr mit seinem harten, sogar unerbittlichen Trap über Zu real mit einer Latin-Gitarre und 100.000 Feinde, in dessen Rhythmus und Instrumentierung man ein paar orientalische Elemente erkennen kann, bis hin zu Star und zurück, das zurückgenommen und verletzlich klingt, nicht Egozentrik verbreitet, sondern Reue. In Tak Tak beginnt Haiyti als Vampir und schlüpft dann in die Rollen als Lady, Gangster und Femme Fatale, One/Off-Model ist das am hellsten strahlende Beispiel auf Influencer für ihre einzigartige Sprache, ihren unverwechselbaren Stil und ihre unnachahmliche Attitüde.

Der Sound von Wenn ich muss ist noch etwas kälter und aggressiver, der Text lässt Haiyti über den Dingen schweben wie eine Superheldin. „Ich bin da, wenn ich muss“, rappt sie, aber es könnte auch heißen: Ich bin da, weil ich muss. Denn da ist offensichtlich ganz vieles in ihrem Kopf, das raus will aus ihr, und so vieles in der Welt, das nicht unwidersprochen hingenommen werden kann. Auch das ist eine Stärke ihrer Kunst: Sie treibt mehr an als der Blick auf die Konkurrenz. „Rap ist cool, doch dafür würd‘ ich nicht mein Leben geben“, heißt es passend dazu in Klunker mit einem herrlich verspielten Text und einem Sound, in dem sogar Streicher versteckt sind.

Wie auf den Vorgängern kann man auch hier eine enorme emotionale Bandbreite erleben. Tokio ist ein Beispiel für diesen Wechsel zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, beinahe ohne dass man den Übergang benennen könnte. Man sollte Zeilen wie „Ich falle tief, doch lande im Paradies“ (Ghostname) indes nicht mit Borderline verwechseln: Es ist schlicht das Spektrum menschlicher Gefühle – und indem Haiyti es in seiner Gesamtheit kennt und thematisiert, zeigt sie lediglich, wie verengt Blick/Selbstinzenierung vieler anderer Acts im Deutschrap sind. Das reduzierte Herzinfarkt ist noch ein Beweis dafür: Es ist ein fast unspektakulärer Moment dieses Albums, aber das Bild vom Tanzen auf Scherben beschreibt wunderbar den Kern dieser Musik.

Im Club verzichtet auf alles, was von ihrem Rap ablenken könnte (auch wenn sich die ultratiefe Bassdrum alle Mühe gibt), in Sweet gönnt sie sich sogar Mitleid für die Wannabes, Hokus Pokus (feat. Ego) ist zugleich umwerfend und einschüchternd und enthält mit „Für dich ist es besser Bruder, wenn du langsam ghostest / ganze Straße läuft mir hinterher als wär‘ ich Moses / Trap Bangers machen ist für mich kein Hokus Pokus / ja, ich rede auch mit Cops, doch nur, wenn sie korrupt sind“ die mit Sicherheit vier besten Deutschrap-Verse des Jahres.

„Mach kaputt, was mich kaputt macht“, lautet der Ansatz von Haiyti in Holt mich raus hier, rund um die Zeilen „Erst wollt‘ ich Fame und dann wollt‘ ich, dass es aufhört / Ich bin ein Star / holt mich raus hier.“ Die Musik offenbart dabei nichts von derlei Fatigue, sondern ist extrem lebendig. Die erste Strophe von Kokaina singt (!) sie auf Kroatisch, eine Zeile wie „Mein Herz brennt wie Benzin“ würde mit synthetischen Streichern und dem Enigma-Gedächtnis-Beat von Benzin bei vielen anderen Acts sagenhaft kitschig klingen. Das passiert hier nicht, trotzdem ist der Track ein Schwachpunkt des Albums. Viel besser gelingt der Tiefgang ganz am Ende in Weltzeituhr: Hier geht es um Liebeskummer, Sehnsucht und Unsicherheit, nichts anderes. So ursprünglich wie diese Gefühle sind, so schlicht ist hier auch die spanische Gitarre als Begleitung, selbst die Stimme ist weniger mit Effekten angereichert, sodass sich ein sehr stimmungs- und eindrucksvoller Schlusspunkt für Influencer entwickelt.

Wie stets, gibt es auch diesmal bei Haiyti wieder reichlich Codes und Versatzstücke, die man massenweise im Deutschrap finden kann, wie den omnipräsenten Auto-Tune-Effekt oder Verweise auf Marken, Koks, Party, Rausch und Waffen. Aber man sollte das nicht mit Hedonismus verwechseln, alleine deshalb, weil auf Influencer immer wieder auch Todessehnsucht erkennbar wird. Letztlich führt die Platte sehr gekommt ihren Ansatz fort: Sie prägt das Genre und setzt die Benchmark, zugleich untergräbt sie es und lacht über alles, was sie mit dem Verweis auf eine vermeintliche Konvention oder einen angeblichen Trend eingrenzen könnte.

Schauplätze, Frisuren, Stimmungen: Alles im Video zu Comeback ist schillernd und kurzlebig.

Haiyti auf Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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