Künstler | Haiyti | |
Album | Sui Sui | |
Label | Warner | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Für jemanden, der von der HipHop-Szene genauso gefeiert wird wie vom Feuilleton, der es von der Kunststudentin zum Major-Deal geschafft hat und bei dem auch schon ein Echo zuhause rumsteht (für das 2018er Album Montenegro Zero), klingt Haiyti auf ihrem vierten Album Sui Sui erstaunlich betrübt. Viele Kritiker haben angesichts dieser Platte vom Ende der Party oder vom Kater nach dem Rausch geschrieben. Man kann das verstehen, klingt die 27-Jährige, die als Ronja Zschoche in Hamburg aufwuchs und jetzt in Berlin lebt, hier doch erschöpft, ausgelaugt, fertig. Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk erzählte sie freimütig: „Ich kann jetzt nicht behaupten, mir geht’s übelst gut. Ich wusste früher nie, was das sein soll, Depressionen. Ich kannte schlechte Tage, dass es mal nicht so läuft, aber ich kannte diese Art Depression nicht, diese übergeordnete Finsternis, die man nicht kontrollieren kann, bis ich das selbst hatte. Und ich kann das durch meine Musik auf jeden Fall erklären oder durchleben. Andere Menschen müssen wahrscheinlich in Therapie. Ich mache halt Sui Sui.“
Viel auffälliger erscheint an diesem Release etwas anderes: Sie hat ihre Erfahrungen gemacht, ihre Lektionen gelernt, hier und da auch Tribut gezollt. „Du weißt, wenn ich geh, geh ich All In“, heißt es in Audrey, dem letzten Track des Albums, und man glaubt ihr das, weil sie hier zeigt, dass sie auch die Niederlagen, Enttäuschungen und Abstürze kennt, die das mit sich bringen kann. Blizzard lässt eine Trauer erahnen, die nicht explizit benannt, sondern umzingelt wird in einer schüchternen Annäherung. Gerade deshalb wird darin so eine tiefe Melancholie deutlich. Aber Haiyti ist auf Sui Sui keineswegs desillusioniert. Fast jedes Stück hat weiterhin den Inhalt: Ich bin King. Und zwischen den Zeilen steckt stets die Überzeugung, dass sie mit ihrer Kunst, bei der ihr niemand das Wasser reichen kann, auf dem genau richtigen Weg ist.
Diese Kunst ist die Symbiose von Gosse und Glamour. „Sie war Straße, weil sie da herkommt, und Pop, weil sie da hingehört“, heißt es im Pressetext zu Sui Sui treffend über Haiyti, und so sehr sie auf diesem Album den Sound in Richtung aktueller Deutschrap-Favoriten und radiotauglichem Trap verschiebt, so wichtig bleibt hier das Bekenntnis zur Street-Credibility. Die Straße ist nicht bloß das Milieu, das es zu überwinden und hinter sich zu lassen gilt, wie das so oft im Rap propagiert wird. Sie ist, mit ihren Härten und Werten, mit ihren Abenteuern und Gefahren, das Element, das wie nichts anderes ihre Persönlichkeit geprägt hat. Diese Wurzeln will Haiyti nicht abschütteln, sondern pflegen. „Ich kenn die Streets / vergess sie nie“, heißt es gleich im Opener WHDDZT (das steht für „Was hast du damit zu tun?“, also frei übersetzt: „None of your business“), später erkennt sie in SR&Q: „Das Ghetto läuft mir hinterher“ und unterstreicht dabei, dass sie längst damit klarkommt. Es gibt auch auf Sui Sui die typischen Gangsta-Zutaten wie Drogen, Waffen, Schmuck und Autos, die Gang, die Hood und die sprachlichen Codes. Gerade weil Haiyti aber so reflektiert damit umgeht, und gerade weil sie die Downsides dieses Lifestyles hier so prominent eingesteht, wächst ihre Glaubwürdigkeit. Sie ist ein Charakter, wo viele andere im Deutschrap bloß eine Karikatur sind.
Ein Stück wie Ich hab mit dem Money getalked zeigt ihre eigenständige, unverwechselbare, auch undurchdringliche Ästhetik. Die Musik auf Sui Sui (produziert in Sessions auf der ganzen Welt vom Project X, in dem sie mit fünf verschiedenen Producern zusammenarbeitet) ist oft auf dezente Weise bedrohlich, manchmal offenbart sich eine gruselige Kälte in diesen Klängen. Zugleich ist die Stimmung des Albums gerade in der zweiten Hälfte sanfter, eleganter und eingängiger als auf den Vorgängern. Aber beispielsweise Endorphine High beweist so viel Horizont und Stil, dass es sich auch Gelassenheit nahe am Unspektakulären leisten kann. Wie immer, baut Haiyti um ihr Südstaaten-Trap-Fundament fleißig kleine Nachbarlandschaften beispielsweise aus Dreampop, Afrobeats, innovativem R&B und Latin-Sounds an. Toulouse ist vom brasilianischen Funk namens Carioca geprägt und integriert einen tollen Gastrap von Albi X auf Französisch. Das Gangsta-Liebeslied La La Land wird durch Dancehall-Einfluss vergleichsweise prägnant. Paname zeigt, wie assoziativ ihre Texte sein können, wie wichtig die Lücken darin sind und wie groß ihr Talent für Lautmalerei ist.
Für die mühelose Verbindung aus Charttauglichkeit und Authentizität gibt es auf Sui Sui noch einen eindrucksvollen Beleg: Auto-Tune, das auch diesmal wieder äußerst großzügig eingesetzt wird, klingt bei Haiyti, als gehöre es einfach zu dieser Stimme. Es wirkt nicht wie ein überstrapazierter Soundeffekt, sondern wie die natürliche akustische Entsprechung dessen, was hier ausgedrückt werden soll.
Immer wieder werden Gangsta-Ethos und Pimp-Attitüde dabei zugleich bedient und gebrochen. Black Ice feiert Leichtigkeit und Luxus, enthält aber auch den Gedanken, dass es letztlich egal ist, ob die nur herbeifantasiert sind, wenn man nur die entsprechend unbeschwerte Laune und die richtige Gesellschaft hat. Da kann man dann auch mit Rachmaninoff statt Belvedere einen lustigen Abend haben. In Asbach ist Haiyti (mit Capuz und Klapse Mane) stolz und oben, ohne aber andere dafür runtermachen zu müssen. Das getragene Drogenfilm beginnt nach einer weiteren durchzechten Nacht, in der sehr viel Geld für sehr unvernünftigen Spaß auf den Kopf gehauen wurde, aber es erkennt auch, dass dieses hedonistische Protzen bloß ein Surrogat ist für Nähe, Loyalität und Miteinander, um die es eigentlich geht. Auch in Photoshoot, dem besten Track des Albums, steckt diese Botschaft: „Photoshoot, wache auf in Louis, Louis / Ich bin rich, doch denk’ nur an Sui, Sui“ (was für „Suicide“ steht, wie wir vorher erfahren haben), heißt darin die maximale Relativierung des vermeintlichen Werts von Geld, Klamotten und Ruhm.
Bentley (feat. Shqiptar und Maaf) macht zwar auf dicke Hose, hat aber genug Substanz, Individualität und Originalität, um das auch zu rechtfertigen. Barrio (mit Veysel) erweist sich als cooler Soundtrack zum Cruisen, bei dem es letzlich egal ist, wie teuer das Auto ist, in dem man gerade sitzt. Viel wichtiger ist, ob die Gegend vor den Winschutzscheibe sich wie ein Zuhause anfühlt und die Menschen auf den anderen Sitzen als Freunde gelten können. Auch diese beiden Tracks zeigen damit: Haiyti bezieht ihre Macht letztlich aus sich selbst, aus ihrem Können und ihrer Kreativität. Ihre Härte ist eine echte, nicht bloß eine Simulation/Behauptung, die erst wirksam wird, wenn es genug Leute gibt, die daran glauben. Und so ist wohl auch die Düsternis der Texte auf Sui Sui zu erklären. Im Gegensatz zu vielen anderen Deutschrappern hat sie erkannt, dass es nicht reicht, Klischees zu bedienen, um dieses Metier dauerhaft auf hohem Niveau zu betreiben. Sie muss eine immer neue Form finden, die als Ausdruck für ihre sich (im besten Falle) immer weiter entwickelnde Persönlichkeit passt. Das ist eine nicht geringe künstlerische Herausforderung, und dieser Gedanke kann im Alter von 27 Jahren und bei der bisherigen Produktivität von Haiyti (in den vergangenen vier Jahren bringt sie es jetzt auf zehn Alben, EPs, Kollaboprojekten oder Mixtapes) sicher auch erdrückend wirken machen. Ihr Trost kann nicht nur sein, dass sie die Musik selbst zur Lösung dieses Problems einsetzen kann, und das auch schon tut. Sondern auch, dass sie diese Challenge bisher stets gemeistert hat.