Künstler | Half Alive | |
Album | Now, Not Yet | |
Label | RCA | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
„How sweet the taste of certainty“, lautet eine Zeile in Trust, ungefähr in der Mitte dieses Albums. Sänger Josh Taylor, der Half Alive 2016 mit Schlagzeuger Brett Kramer gegründet hat, bevor später noch J Tyler Johnson am Bass dazu stieß, singt sie mit einer minimalen Dosis an Ironie, und das ist ein ziemlich wichtiger Hinweis für den Sound der Band aus Long Beach, Kalifornien. Einerseits lebt ihr Debütalbum Now, Not Yet nämlich von der maximalen Unberechenbarkeit. Andererseits ist sehr schnell klar, dass Erfolg hier nicht nur als unverhoffte Überraschung erträumt wird, sondern angestrebt, beinahe sogar eingeplant.
Das Trio (Eigenschreibweise: half•alive; auch bei den Songtiteln zeigen sie eine alberne Vorliebe für seltsame Typographie) hat kein Problem mit dem Wort „Pop“ und erst recht nicht mit dem Konzept „Hit“. Dass es bei ihnen im Kernmetier der Bandmitglieder weder eine Gitarre noch ein Klavier/Keyboard gibt, also keines der Instrumente, auf denen klassischerweise im Pop komponiert wird, sorgt für einen sehr freien Ansatz, von dem sie reichlich Gebrauch machen. Funk, Rock, R&B, Pop, Disco, Soul – all das ist gern genommen und wird sehr freimütig vermengt.
Schon der Albumauftakt OK? OK? zeigt das. Die ersten Sekunden deuten Rock durch ein Gitarrenfeedback an, dann erklingt dezente Elektronik à la Hot Chip, nach gut zwei Minuten hört man dann ein echtes Schlagzeug, auch die Gitarre vom Anfang kehrt schließlich zurück. Das Ergebnis ist sehr individuell, sehr modern und sehr abenteuerlich. Allein im zappeligen Beat des folgenden Runaway steckt mehr Kreativität als bei vielen Künstlern in einem ganzen Album, das Stück zeigt außerdem erstmals (ein Eindruck, der sich dann später auf dieser Platte verfestigt, etwa in Pure Gold mit vielen spektakulären Elementen): Half Alive mögen Chöre.
Das zweite prägende Element neben diesem gut funktionierenden Eklektizismus ist die Stimme von Josh Taylor. In Maybe ist sie sagenhaft hell, jung und zuversichtlich, auch in Ice Cold wird sie zum Highlight: Entgegen des Songtitels klingt sie keineswegs eiskalt, sondern sehr sommerlich, bevor es am Ende noch einen Rap gibt.
Egal, ob Half Alive akustisch bleiben wie in Breakfast oder sehr energisch wie in Arrow (den darin besungenen Pfeil im Herzen scheint Taylor sich heraustanzen zu wollen, und Two Door Cinema Club scheinen bei dieser Operation assistieren zu dürfen): Stets geht das gut ins Ohr, ohne plump zu sein. Selbst in einen vergleichsweise verschlafenen Moment wie Rest packen sie eine Überraschung: Das Lied ist quasi eine Ballade, auch wenn die sehr kraftvollen Bläser sich gegen diese Kategorisierung zu wehren scheinen.
Manchmal ist Now, Not Yet ein bisschen zu viel Hirn und ein bisschen zu wenig Herz (und Hoden), gelegentlich merkt man der Platte insgesamt das Kalkül an, das freilich innerhalb der einzelnen Songs meist schlicht von Eingängigkeit und Ideenreichtum überstrahlt wird. Dass die Single Still Feel der Höhepunkt des Albums wird, dürfte Half Alive deshalb erfreuen: Der Song ist clever, einfallsreich, frech und tanzbar, gut gelaunt, aber nicht eindimensional, als würden Foals problemlos eine Allianz mit Alphabeat eingehen können. Dass das gut ankommt, stört das kalifornische Trio sicher ebenfalls nicht: Das dazugehörige Video nähert sich der Marke von 30 Millionen Aufrufen.
Der Bruder des Bassisten ist einer der Tänzer im Video zu Still Feel.