Künstler*in | Half Moon Run | |
EP | Inwards & Onwards | |
Label | Glassnote | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Glassnote Records |
Als Half Moon Run im Juli 2020 die EP Seasons Of Change veröffentlichten, wirkte das wie ein ziemlich offenkundiger Versuch, inmitten der Corona-Pandemie ein Lebenszeichen zu senden und die Flamme weiter zündeln zu lassen, die in ihrer Karriere so stetig gebrannt hatte. Die Band aus Montreal verwertete dafür ein paar der Aufnahmen, die es nicht aufs 2019er Album A Blemish In The Great Light (Platz 3 in Kanada und mit dem Juno Award als „Adult Alternative Album Of The Year“ ausgezeichnet) geschafft hatten.
Jetzt zeigt sich allerdings, dass der damalige EP-Titel durchaus für größere Veränderungen stand. Zum einen waren Conner Molander, Dylan Phillips, Devon Portielje und Isaac Symonds in so etwas wie einer Sinnkrise. „In der Mitte des Blemish-Albumzyklus sprachen wir darüber, dass wir eine einwöchige Klausur mit der Band und dem Management brauchen, um zu besprechen, wo wir stehen“, sagt Molander. „Zu diesem Zeitpunkt gab es die Band schon fast ein Jahrzehnt, und man sammelt einfach dieses Totholz an – wie bei jeder Unternehmung. (…) Wir hatten das Gefühl, dass wir unsere kreativen Ressourcen aufgebraucht hatten.“
Zum anderen gab es eine Veränderung im Line-Up: Symonds, der nach dem 2012 veröffentlichten Debütalbum Dark Eyes bei Half Moon Run eingestiegen war, hat die Band wieder verlassen. „Als Covid aufkam, ging jeder auf der Welt in sich und fragte: ‚Wer bin ich? Was sind die wichtigsten Dinge in meinem Leben? Und was kann ich loswerden?‘ Und in diesem Zusammenhang beschloss Isaac, dass es für ihn an der Zeit war, eine neue Richtung einzuschlagen“, beschreibt Molander die Hintergründe der (freundschaftlichen) Trennung. „Und so fanden wir inmitten der Pandemie irgendwie wieder zu dritt – ich, Dev und Dyl – zusammen, wie wir es vor zehn Jahren waren.“
Die Neubesinnung hat gut getan, nimmt man die sechs Lieder der neuen EP Inwards & Onwards zum Maßstab. Der Auftakt How Come My Body scheint ein bewusstes Zeichen für Introspektion setzen zu wollen und wird höchst filigran, von der akustischen Gitarre über die mysteriösen Hintergrundgeräusche, die nach der ersten Strophe einsetzen, bis hin zum Beat. Später ist Nosebleeds noch reduzierter: Die Instrumente sind Gitarre und Mundharmonika, das Ergebnis ist Weltschmerz.
Auch It’s True wirkt nicht nur betrübt, sondern fast depressiv – man kann bei dieser Atmosphäre an Radiohead denken, auch wegen der ganz großen Geste zum Schluss. Fucksgiving („I don’t celebrate fucksgiving“, lautet die Botschaft) gönnt sich ebenfalls ein bisschen Opulenz, es geht um Betrug und Reue, umgesetzt mit Bedrohlichkeit und Drama. Das hoch elegante Tiny beweist, dass der (hier besonders prominente) Harmoniegesang von Half Moon Run auch mit nur noch drei Stimmen ein wundervolles Markenzeichen bleibt. On And On ist ebenfalls typisch für Inwards & Onwards: Dieser Sound ist unverkennbar das, was man Folkrock oder Americana nennen würde, aber er wird umgesetzt mit Frische, Individualität und Geheimnis.
Nach vielen erstaunlichen Erfolgen und gemeinsamen Erlebnissen (dazu gehören beispielsweise auch Shows im Vorprogramm von Mumford And Sons sowie Of Monsters And Men) haben Half Moon Run offensichtlich wieder Lust aufeinander, sagt Molander: „Der Grund, warum wir unsere Jobs gekündigt und die Schule abgebrochen haben, ist, dass wir zu dritt diese besondere Art von Chemie haben. Ich glaube, wenn wir wieder zusammen in einen Raum gekommen wären und dabei das Gefühl gehabt hätten, dass sie nicht da ist, dann hätten wir aufhören müssen. Aber es hat sich wunderbar angefühlt. Es war wirklich ein Vergnügen, und ich kann es kaum erwarten, ein komplettes Album in dieser neuen, aber alten Konfiguration zu machen.“