Hannah Jadagu EP Review

Hannah Jadagu – „What Is Going On?“

Künstler*in Hannah Jadagu

Hannah Jadagu What Is Going On? Review Kritik
Hannah Jadagu hat „What Is Going On?“ in Eigenregie gemacht.
EP What Is Going On
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung Foto oben: (C) Cargo Records / Ebru Yildiz

Als im Januar 2007 das erste iPhone vorgestellt wurde und dann im Juni in den USA auch auf den Markt kam, waren die Reaktionen verhalten. Steve Jobs, der damals noch lebte, versprach zwar große Erfolge. Aber bei Nokia, damals noch Weltmarktführer für Mobiltelefone, bekam man keine allzu großen Sorgenfalten angesichts des neuen Mitbewerbers. Steve Ballmer, damals noch Microsoft-Chef, sagte Apple einen Marktanteil von maximal 3 Prozent voraus. Einige Expert*innen kritisierten das Design ohne Tasten oder die fehlende 3G-Übertragung, andere rätselten, wie man es jemals schaffen sollte, das Display von Fettfingern freizuhalten.

Natürlich sind wir heute schlauer. Das iPhone wurde zu einer riesigen Erfolgsgeschichte und zu einem Kassenschlager für Apple. Mehr noch: Das Gerät hat den Markt der Mobiltelefone auf den Kopf gestellt und letztlich unser gesamtes Kommunikationsverhalten revolutioniert. Dass ein Mädchen, das bei der Präsentation des ersten iPhones gerade erst vier Jahre alt war, anno 2021 eine EP vorlegen würde, die komplett mit einem iPhone (nämlich der siebten Generation) aufgenommen und produziert wurde, hätten damals aber wahrscheinlich auch die kühnsten Enthusiast*innen nicht geglaubt. Dieses Mädchen ist Hannah Jadagu, und diese EP ist What Is Going On?

Die heute 18-Jährige wuchs in einem Vorort von Dallas auf. Die ersten Berührungspunkte mit Musikproduktion hatte sie auf einem alten Mac in ihrem Elternhaus. „Als ich in der Grundschule war, habe ich meine Arbeit immer früh beendet, um an den Computern zu spielen und GarageBand zu benutzen“, sagt die Künstlerin, die sich danach auch intensiv mit Percussions beschäftigte, in mehreren Schulchören sang und schließlich über ihr Profil bei Soundcloud erste Aufmerksamkeit gewann.

Die fünf Lieder auf What Is Going On? zeigen im besten denkbaren Sinne, wie eine junge Musikerin ihren Sound definiert, ihre Stimme findet und ihre Kreativität entfaltet. Die reduzierten Produktionsmittel (Mikrofon, Gitarre, iPhone) hört man der EP nicht an, die Intimität und den Freigeist, der Bedroom Pop dieser Art (die Künstlerin nennt Acts wie Her’s, Gus Dapperton, Beabadoobee, Yeek, Frank Ocean und Phoenix als Einflüsse, auch Girl In Red wäre eine sehr passende Referenz) oft zueigen ist, hingegen schon. „What Is Going On? wird für mich immer etwas Besonderes sein. Es ist mein erstes Projekt, und es ist voll von meinen Gedanken und Emotionen während meiner eigenen persönlichen Erfahrungen und auch von dem, was in der Welt passiert ist. Es ist so, als würde man in nur 30 Minuten meine äußere Hülle durchschauen und das kennenlernen, was mich in den vergangenen Jahren geprägt hat“, sagt Hannah Jadagu.

Zwei Akkorde eröffnen die EP, sie klingen so stark und strahlend wie ein Nebelhorn. Genauso einfach und wirkungsvoll sind Text und Botschaft von My Bones. „Angesichts der zunehmenden Medienberichterstattung über das Verschwinden und die Ermordung schwarzer Frauen und der mangelnden Fürsorge für schwarze Frauen im Allgemeinen, sowohl in diesem Land als auch in der Welt, wollte ich ihnen einen Song widmen. Ich habe den Text kurz gehalten und geschrieben ‚You could take my bones / and place them home / they won’t find out‘, weil ich das Gefühl hatte, dass diese Worte genug über die Situation aussagen“, erklärt die 18-Jährige.

Mit dem mehrstimmigen Gesang und dem sehr kreativen Einsatz von Effektgeräten hat sie im Opener bereits ein paar Markenzeichen für ihre Musik gesetzt. Im folgenden Sundown werden beispielsweise Hall, Chorus und Pitch Shift eingesetzt, um eine tolle, melancholische Atmosphäre zu kreieren, dazu kommt in diesem Fall ein ausgewiesener Tagebuch-Charakter des Songs. „Sundown spielt in der Zeit, als ich in der Highschool war. Ich war erschöpft von den Hausaufgaben, den außerschulischen Aktivitäten, der Vorbereitung auf das College und dem allgemeinen Leben eines Teenagers vor dem Studium. Sundown war für mich eine Möglichkeit, Gedanken auszudrücken, die ich bis dahin für mich behalten hatte“, sagt Hannah Jadagu, die mittlerweile an der NYU eingeschrieben ist.

Think Too Much („Ich habe mich selbst herausgefordert, einen Song zu schreiben, der energiegeladen ist, Spaß macht und ein ‚Bop‘ ist”, sagt sie) ist mit viel Leichtigkeit, Charme und Eingängigkeit so etwas wie der Hit dieser Platte. Es basiert auf einem alten Demo, das für diese EP überarbeitet wurde, ebenso wie der Titelsong. „Es ist so etwas wie mein einziger Versuch, eine Hymne an die Teenager-Liebe zu schreiben“, sagt die Songwriterin lächelnd über das recht muskulöse What Is Going On?, in dem erst ganz am Ende die Basis dieser Komposition erkennbar wird, zu der auch Schwermut und Experimentierfreude in nicht geringen Dosen gehören.

Bleep Bloop zeigt als Abschluss noch einmal die enormen Vorteile, wenn das Tonstudio quasi in die Hosentasche passt. „Ich konnte eines Nachts nicht schlafen, also schnappte ich mir einfach meine Gitarre und begann zu singen/spielen, was mir in den Sinn kam. Der Song thematisiert und bekämpft die Vorstellung, dass von uns jungen Menschen oft erwartet wird, dass wir einfach ‚damit klarkommen‘, und das mangelnde Bewusstsein für unsere psychische Gesundheit“, sagt sie. Der Song klingt so wie What Is Going On? insgesamt: originell, modern und wie ein Versprechen auf mehr.

Der Clip zu Think Too Much ist womöglich auch mit dem iPhone gedreht.

Website von Hannah Jadagu.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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