Hans Unstern – „Diven“

Künstler Hans Unstern

Hans Unstern Diven Review Kritik
Die Harfe ist das wichtigste Instrument von Hans Unstern.
Album Diven
Label Staatsakt
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Irritation ist ein wichtiges Prinzip bei Hans Unstern, und es funktioniert am besten bei Menschen, die (wie ich) zuvor noch nie mit seinem Werk in Berührung gekommen sind und Diven völlig ohne Vorkenntnisse hören. Dann begegnet man einem Stück wie Keine Zeit, das rund 70 Sekunden lang eher wie ein Gedicht klingt, dann doppelt so lange wie ein Klanggemälde mit nicht definierbaren und nie zuvor gehörten Instrumenten, dann wie beides zusammen.

Ein bisschen Recherche zeigt, dass diese Assoziationen gar nicht so falsch sind. Nach dem Debütalbum Kratz Dich Raus (2010) veröffentlichte Hans Unstern zwei Jahre später The Great Hans Unstern Swindle (Stichwort: Irritation), zu dem parallel auch ein (sehr minimalistischer) Lyrik-Band erschien (Stichwort: Gedicht). Das wichtigste Instrument auf der neuen Platte ist eine gemeinsam mit Partner Simon Bauer erfundene und gebaute elektro-akustische Harfe, die sie V-Harfe nennen (Stichwort: nie zuvor gehörte Klänge). Auf Diven gibt es auch weitere selbst konstruierte Instrumente und Gadgets aus Metall und Holz, die zum Teil mit einem Bogen gespielt oder durch ein MIDI-Interface kontrolliert werden.

Neben der Irritation wird somit sehr schnell der zweite wichtige Effekt deutlich: Einzigartigkeit. Cis stellt die erwähnte Harfe zum Abschluss der Platte ins Zentrum und spielt damit, dass dieser Begriff sowohl eine Tonart als auch ein Gendertheorie-Terminus ist (Hans Unstern sagt von sich, mehrere Personen und mehrere Geschlechter zu sein). Die Rumpelstilzchen-Anspielung in Haare Zu Gold passt gut zur verschrobenen Lyrik und zum märchenhaften Sound, Rasurzwang ist durchgeknallt, hat dabei aber auch eine verquere Eingängigkeit und wird so etwas wie der Hit dieses Albums.

Selbstauslöserin eröffnet die Platte mit einem Countdown, der zunächst zur Frage „Bin ich schon ausgelöst oder noch im Selbst?“ führt, dann zu der deutlich weiter gefassten Reflexion: „Was soll das sein, dieses Selbst? Ist das Selbst am ehesten nicht selbst eine ewige Imitation?“ Die ersten Sekunden könnten von den Comedian Harmonists sein, zwischendurch ist die Ästhetik nahe an Industrial, die Atmosphäre schwankt zwischen innig und Spektakel – solch ein Spektrum bekommt man sonst wohl nirgends abgedeckt, schon gar nicht innerhalb eines einzigen Songs.

Bonbons Aus Plastik ist tatsächlich so etwas wie ein Antwortsong auf Bonbon aus Wurst von Helge Schneider. Unterstellt man (wofür es gute Indizien gibt), dass der Mühlheimer Komik-König damit einen Penis meinte, dann geht es hier wohl um Sexspielzeug. In Geldmoney trägt Black Cracker (aus Hans Unsterns Boiband) ein paar eigene Zeilen auf Englisch vor, das Ergebnis ist abstrakt, dada und viel tiefer als die vermeintlich simple Idee, die klangliche Ähnlichkeit von „Money“ und „Manie“ aufzugreifen. Nichtstestotrotz ist das Stück, das die wundersame Wirkung von Hans Unstern vielleicht am besten zusammenfasst: außergewöhnlich, abenteuerlich, echt, artifiziell, spontan, verstörend.

Die V-Harfe steht im Video von Haare zu Gold im Wortsinne im Mittelpunkt.

Website von Hans Unstern.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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