Künstler | Hayden Thorpe | |
Album | Diviner | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Man kennt das ja, erst recht von Frontmännern: Die eigene Band wird irgendwann langweilig. Es lockt die Versuchung, der eigenen Eitelkeit freien Lauf zu lassen und die Einschränkungen abzuschütteln, die durch die Arbeit mit anderen Musikern entstehen. Ein Soloalbum ist in solchen Fällen der maximale Ausbruch des Egos.
Hayden Thorpe wäre ein geeigneter Kandidat für diese Situation. 16 Jahre lang war er der Sänger von Wild Beasts. Mit seiner Falsett-Stimme und seinen Texten, die Sex und Sexualität auf eine bis dahin nicht nur in England nie gehörte Weise thematisierten, prägte er die Band sehr deutlich. Als Wild Beasts 2017 ohne genauere Angaben von Gründen ihre Trennung bekannt gaben, könnte die Verlockung groß gewesen sein, mit Anfang 30 nun den nächsten künstlerischen Schritt zu gehen.
Doch davon kann bei Diviner keine Rede sein. Es ist kein Album von Auf- und Ausbruch, sondern eines von Erschütterung, Krise und Rekonvaleszenz. Sehr deutlich macht die Platte, dass das Ende von Wild Beasts aus Sicht von Hayden Thorpe eine vielleicht als richtige, aber keineswegs herbeigewünschte Entscheidung zu betrachten ist. „Mein Erwachsenleben war auf einem bestimmten Glaubenssystem fundiert, einer Band, einer Familie“, sagt er – um deutlich zu machen, was sich nach der Trennung alles für ihn veränderte. Ohne die bisherigen Gefährten musste er eine ganz neue Methode finden, wie er sein Leben gestalten sollte und sagt rückblickend über diese Zeit: „Im Endeffekt war ich auf der Flucht.“
Das Gefühl, das Diviner am deutlichsten prägt, ist deshalb Unsicherheit, und zwar emotionale, künstlerische und sogar existenzielle. Dass die Lieder fast ausschließlich am Klavier entstanden sind, erweist sich als größter Unterschied zum Werk von Wild Beasts, und ist ebenfalls auf dieses Gefühl zurückzuführen. Als er nach dem Ende der Band und einer Auszeit in Übersee in seine Wohnung nach London zurückkehrte, war das Klavier „der Gegenstand, der mir am meisten geerdet vorkam. Es wurde wie ein Totem für mich. Das lag an seiner Vorhersehbarkeit. Eine Reihenfolge von Noten in einer bestimmten Reihenfolge – diese Sicherheit war aufbauend”, sagt Hayden Thorpe.
Zuvor hatte er einige Zeit in Los Angeles verbracht. „Ich musste den Winter aussperren, und mit ihm die Kräfte von Niedergang und Wandel”, begründet er heute diese Entscheidung. Dort entstand mit Diviner denn auch das erste Lied des Albums, an seinem 32. Geburtstag. Es eröffnet nun die Platte, die Stimme ist säuselnd, das Klavier bleibt sanft, trotzdem dominieren diese beiden Elemente das Lied und später auch das gesamte Album sehr stark. „I’m a keeper of secrets, pray to tell“, heißt die erste Zeile, und auch dieses spirituelle, manchmal gar esoterische Element ist sehr ausgeprägt auf Diviner.
Das instrumentale Spherical Time zeigt das schon im Titel und verweist wahrscheinlich auf die Vorstellung, die Hayden Thorpe im Laufe der Arbeit an diesen Liedern vom eigenen Schaffensprozess entwickelt hat: „Ich bekam das ungute Gefühl, dass nichts davon Zufall war. Es schien, als seien die Songs immer da gewesen, als Frequenzen, die durch die Luft schweben und nur darauf warten, dass ich in der richtigen Stimmung bin, um sie Wirklichkeit werden zu lassen.“
Auch Impossible Object, das die Platte abschließt, spielt auf solche übersinnlichen Phänomene an, etwa mit der Zeile „I swear that I knew you before we had met.“ Earthly Needs kann man diesen Blickwinkel ebenfalls anmerken, vor einem spannungsgeladenen Hintergrund schwingt sich die Stimme von Hayden Thorpe in Höhen auf, in denen sie Jimmy Sommerville begegnen könnte. „Ich glaube an die medizinischen Eigenschaften von Songs. Ich glaube an ihre heilenden Kräfte. Lieder überdauern die Zeit, sie zerfallen oder verschwinden nicht, sie begleiten dich und bilden sich neu in deinem Kopf, immer dann, wenn du sie brauchst, und so, wie du sie brauchst”, bekräftigt der Sänger.
Man kann Diviner anhören, wie tief diese Überzeugung bei ihm reicht, unter anderem, weil die von Leo Abrahams (Thorpe: „Er kann mit einem einzigen Akkord dein Herz brechen.”) produzierte Platte viel Wert auf Details legt. Anywhen zeigt das mit Streichern, die sehr dezent, aber sehr wirkungsvoll eingesetzt werden. Human Knot hat einen erstaunlich prominenten Beat, der von The XX sein könnte. Straight Lines gönnt sich eine ganz winzige Dosis Funk, sodass man beinahe an Wet Wet Wet denken kann.
In My Name nimmt eine interessante Entwicklung, verweist aber auch auf den zentralen Schwachpunkt der Platte: Es ist das einzige Lied auf diesem Album, in dem wirklich ein Stimmungswechsel stattfindet. Sonst ruht der Sound sehr stark in sich und vertraut auf reduzierte Arrangements und malerische Klavierfiguren wie in Stop Motion, das nach dem sehr hübschen Beginn im weiteren Verlauf etwas ereignislos bleibt – selbst dann, wenn man nicht die mitunter turbulente Dynamik zum Maßstab nimmt, die man bei den Wild Beasts oft erleben konnte.
Wer auf dieser Platte („Diviner wurde im Geheimen geschrieben. Im Warteraum zwischen Vergangenheit und Zukunft”, mysterisiert Hayden Thorpe) nach Hinweisen für die Hintergründe der Trennung der Band sucht, wird kaum fündig – obwohl der Sänger deutlich macht, dass es parallel auch privat erhebliche Änderungen in seinem Leben gegeben hat. Den Titel Love Crimes darf man deshalb vielleicht zumindest als Indiz werten: Der Song hat eine klasse Atmosphäre, das Klavier ist hier mehr an der Ausgestaltung des Rhythmus interessiert als an Melodie und die Zeile „We found the greatest of loves“ klingt, als wolle er diese Erkenntnis zugleich mit der ganzen Welt feiern und ganz allein für sich bewahren.
„Ich habe mit mir selbst Schluss gemacht. Dies ist also ein Schlussmach-Album, aber nicht über eine Beziehung, sondern über mein früheres Selbst, über die alte Vorstellung, die ich von mir selbst hatte, und damit auch alle Beziehungen, die ich jemals hatte”, sagt Thorpe. Die Verquickung von künstlerischer Neuerfindung und der Notwendigkeit, sich in seinem übrigen Leben ebenfalls neu zu orientieren, zeigt letztlich die größte Leistung dieser Platte: Diviner ist ein Werk der Emanzipation.