Henning von Hertel Herr D K

Herr D. K. – „Was mach ich mit meiner Zeit“

Künstler*in Herr D. K.

Herr D. K. Was mach ich mit meiner Zeit Review Kritik
Der Kampf gegen Müßiggang wird auf „Was mach ich mit meiner Zeit“ ausgefochten.
Album Was mach ich mit meiner Zeit
Label Tapete Records
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

„Philosophieren heißt Zweifeln“, hat Michel Eyquem de Montaigne schon im 16. Jahrhundert festgestellt. Es ist dieser Zusammenhang, der die Musik von Henning von Hertel alias Herr D. K. so besonders macht. Der Künstler aus Hamburg, der schon mit zwölf Jahren seinen ersten Song geschrieben hat, über eine sehr angenehme Stimme verfügt und auf seinem heute erscheinenden Album eine große Klangpalette auffährt, nutzt auf Was mach ich mit meiner Zeit vor allem die Kraft des Zweifels, um einen sehr eigenständigen Charakter für seine Lieder zu kreieren.

Er ist kein allwissender Erzähler, der die Welt erklärt. Er ist auch kein Gebrochener, der sein Leid klagt, wie so viele andere Singer-Songwriter. Er ist irgendwo dazwischen. Er hat manche Dinge verstanden und manche noch nicht, er hat vieles erfahren und trotzdem noch ein paar Wünsche, Fragen und Hoffnungen. Manchmal wirkt es, als hinterfrage er selbst, ob er überhaupt das Recht habe, sich aus so einer Position heraus an ein Publikum zu wenden.

„Anderssein hab ich mir anders ausgemalt“, lauten die ersten Zeilen des Albums in Verscheuche die Erinnerung. Die Musik besteht aus einem altertümlichen Computerbeat und ein paar Keyboardakkorden, später einer verträumten Gitarre. „Mein eigener Zweifel reicht für zwei“, singt er in Für zwei, das ebenfalls mit reduziertem Gitarrenpicking beginnt und dann nach und nach moderner und voller im Sound wird, sodass man etwa an Das Paradies denken kann. Einen sehr charmanten Groove hat Glauben verloren, das ins Repertoire von Prag gepasst hätte (auch wenn man da wohl kaum Verse gehört hätte wie „Drama studiert / an der Realität“ und auch keine Orgel, die irritierenderweise die Akkorde von Summer Of 69 zu spielen scheint). Nacht verschenkt wird dann sogar tanzbar, passend zur Zeile „Ich habe viel zu oft meine Nacht verschenkt.“

Bei der Musik wurde der Künstler neben Produzent Kristian Kühl (Leoniden, OK Kid, Ilgen-Nur) von seiner Liveband aus Frederik Rosebrock, Phillip Fierka, Sebastian Genzink und Timo Meinen unterstützt. Sie schaffen es, Was mach ich mit meiner Zeit einen sehr abwechslungsreichen Charakter und einen sehr stimmigen Spannungsbogen zu verleihen, was umso wichtiger ist, weil die Ausgangsposition dieser zehn Lieder stets dieselbe ist: Herr D. K. ist ein aus der Welt Geworfener, der aber gerne zurückkehren würde – am liebsten, nachdem die Welt eine andere, bessere geworden ist. Oder aber, wie es Autor und Comedian Hinnerk Köhn im Pressetext zur Platte nennt, „ein Wandelnder, der es trotz der Beschissenheit der Dinge immer wieder schafft, mit Selbstironie und einer dezenten Prise Misanthropie aufzustehen und sich selbst zu ohrfeigen“.

So stellt er in 10 Jahre fest, dass der Gedanke an Vergänglichkeit noch schlimmer wird, wenn man weiß, dass man selbst den Arsch nicht hochkriegt. Im Titelsong scheint ein bisschen vom unfreiwilligen Müßiggang der Pandemie-Monate durchzuklingen. Der Album-Abschluss Gerne hadert ebenfalls mit der eben nur beschränkten Fähigkeit, sich selbst verändern zu können („Ich bin, ich war, ich werde / nicht mehr der ich sein will“), weiß aber auch, dass sich dieses Manko in der geborgenen Zweisamkeit durchaus ertragen lässt. Schlecht bestellt, der musikalisch opulenteste Moment auf Was mach ich mit meiner Zeit, hinterfragt hingegen die Tragfähigkeit von Romantik mit den Zeilen „Wenn du mich genauso liebst wie ich mich selbst / ist es um unsere Liebe wirklich schlecht bestellt“, basierend auf dem Wissen: Die Fähigkeit zur Liebe setzt die Fähigkeit zur Selbstliebe voraus.

Ein Höhepunkt ist die Single Club 72, die mit ihrem Zahlendreher für den Club früh verstorbener Musikheld*innen nicht zuletzt zeigt, dass Herr D. K. bei allem Tiefgang und aller Melancholie auch über Humor verfügt. „Eigentlich verschlaf ich dieses wilde Leben was man mir versprach“, gesteht er, später formuliert er das Ziel eines langen, gerne auch geruhsamen Lebens: „Vorm Rauchen habe ich zu viel Angst / Kiffen wüsst ich nicht wozu / ich will wirklich allerfrühstens / in Club 72.“ Das wird durch den tollen Chorgesang noch ein bisschen zugänglicher und landet irgendwo zwischen Gisbert zu Knyphausen und Die Höchste Eisenbahn. Auch Angst vor der Stille ragt aus dem durchweg überzeugenden Material noch ein Stück heraus, auch hier kombiniert Herr D. K. (in diesem Fall im Duett mit der Wiener Sängerin Resi Reiner und Streicherbegeleitung) seine Sinnsuche mit einem Augenzwinkern: „Ich habe Angst vor der Stille / ich habe Angst vor dem Tod / ich will so viel, doch überfordert mich der freie Wille / was bin ich für ein Idiot.“

So findet man auf Was mach ich mit meiner Zeit zwar keine Antworten, keine Gewissheiten und auch keine Rettung, aber „ein Ablenkungsangebot“, wie es in Angst vor der Stille heißt, das Trost und Wärme spendet und viele kluge Gedanken versammelt. Denn natürlich sind Zweifel nicht nur Plagegeister für den eigenen Seelenfrieden, sondern die wichtigste Kraft, um eines Tages zu Erkenntnis zu kommen. Und vielleicht sogar zu Zufriedenheit.

Das gute Seniorenleben in Endlosschleife zeigt das Video zu Club 72.

Website von Herr D. K.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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