Die Geschichte des Festivals ist uralt, aber seien wir ehrlich: So ganz ausgereift ist dieses Konzept nach wie vor nicht. Das Highfield bietet besonders gute Möglichkeiten, sich davon zu überzeugen, denn seit dem Umzug von Hohenfelden nach Großpösna bei Leipzig wird am Festival fleißig herumoptimiert. So ist in diesem Jahr etwa die White Stage verschwunden, dafür gibt es eine Fast Lane, um die Zeit zwischen Ankunft und Bändchenerhalt zu verkürzen. Ich habe am ersten Tag beim Highfield 2012 trotzdem noch ein paar Dinge entdeckt, die dringend noch erfunden werden müssen.
1. Eine Coolness-Skala, die groß genug ist für Rupert Jarvis
Der Bassist der Maccabees brachte das schickste Hemd und die beste Sonnenbrille des ganzen Freitags auf die Bühne. Kombiniert mit Bewegungen, die ausschließlich von der Hüfte aufwärts stattfinden, und tollen Tönen aus seinem Viersaiter ergibt das ein tolles Gesamtpaket. Das gilt auch für die Maccabees insgesamt, die nach 2009 zum zweiten Mal beim Highfield zu Gast waren. Die einzige Erinnerung von Gitarrist Hugo White an das erste Gastspiel ist allerdings, dass es „extrem heiß“ war, sodass sich ein paar Jungs aus der Band hinter der Bühne hinlegen mussten (und zwar schon vor der Show), hat er mir im Interview verraten. Ansonsten hatten die Londoner aber einen tollen Festivalsommer. Zu den Highlights für Hugo (Noel Gallagher aus der ersten Reihe beobachten und Bob Dylan vom Rand der Bühne aus bestaunen) könnte sich auch die Show in Großpösna hinzugesellen. Denn die Maccabees waren ebenso feinfühlig wie vielseitig, wurden für Hits wie Love You Better oder Pelican ebenso gefeiert wie für kleine Experimente. Fein.
2. Schatten
Der Freitag beim Highfield hielt herrliches Wetter parat. Das Einzige, was dem Genuss der Sonne im Wege stand, war die Wettervorhersage, die für die kommenden beiden Tage Monsterhitze ankündigt. Spätestens dann dürfte es unmöglich werden, ein Plätzchen im Schatten zu finden – erst recht, wenn man auch noch einen Platz sucht, von dem aus man die Bühne noch sehen kann. Immerhin ist ja mittlerweile der Badesee auf dem Gelände eröffnet.
3. Eine Pille, die Karl-Marx-Stadt weniger surreal macht
Kraftklub räumten am Freitag groß ab und waren vom ersten Lied an (und das meint hier den sehr spaßigen Soundcheck-Song ein paar Minuten vor der eigentlichen Show) ein noch größerer Spaß als erwartet. Schräges Highlight war Karl-Marx-Stadt, von Sänger Felix Brummer angekündigt als „ein Song, der bei Festivals im Osten zugegebenermaßen besser funktioniert“. In der Tat ist es eine ziemlich verwirrende Erfahrung, wenn ein paar Tausend Menschen, von denen maximal 1 Prozent tatsächlich aus Chemnitz kommen dürften (und von denen dann wiederum 80 Prozent noch gar nicht auf der Welt waren, als die Stadt noch den Namen von Karl Marx trug), im Chor singen: „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt.“ Fast genauso lustig: Junge Menschen, deren Aufmerksamkeit am späten Nachmittag nur noch soweit intakt ist, dass sie in Ritalin/Medikinet bei der Textzeile „Je mehr Ritalin, desto weniger Stress / A zu dem D zu dem H zu dem S“ bloß noch den letzten Buchstaben mitsingen können.
4. Mehr Menschen, die T-Shirts loben
Sehr freundlich, der junge Mann, der mich stoppte, um mir zu sagen, dass er mein T-Shirt super findet. Seins war auch nicht schlecht. Zur Belohnung werde ich den Highfield-Samstag unter das Motto „T-Shirt“ stellen – falls angesichts der Hitze überhaupt noch welche getragen werden. Morgen hier auf der Shitesite.
5. Eine Festival-Kalender-App für Bullet For My Valentine
Eine solche App könnte den Jungs beispielsweise mitteilen, dass „Monsters Of Rock“ schon seit 2006 nicht mehr stattfindet, und dass die dort einst gebotene Musik auch seitdem nicht interessanter geworden ist – allenfalls für Archäologen. Lustige Idee auch, die knüppelharten Waliser zwischen den putzigen Wombats und den familienfreundlichen Sportfreunden Stiller zu platzieren.
6. Das Ende der Einsamkeit für Jessica Dobson
Wenn man die Tänzerinnen von Bonaparte nicht mitrechnet (und hey, sie sind Tänzerinnen!) und die Chor- und Streicher-Verstärkung der Sportfreunde Stiller ebenfalls unter „zusätzliches Personal“ einordnet, dann war Jessica Dobson die einzige Frau auf einer Highfield-Bühne am Freitag. Das ist ein bisschen enttäuschend. Immerhin sorgte die Gitarristin der Shins mit ihrer Band für den perfekten Soundtrack zum Sonnenuntergang. Wer ganz genau hingehört hat, konnte aber bestimmt ein paar Noten im Kampf für die Gleichberechtigung heraushören.
7. Earplugs, die stark genug sind, um K.I.Z. nicht hören zu müssen
Den ersten Kotzer beim Highfield 2012 habe ich am Freitag um 20.20 Uhr beobachtet, er befand sich halbwegs hilflos in Rufweite eines Beck’s-Stands und erbrach sich im Sitzen. „Iiih, durch die Nase“, wie die netten Menschen ringsum sehr schnell und sehr zutreffend feststellten. Er machte zwar nicht mehr den Eindruck, noch etwas von der Musik mitzubekommen, aber wenn doch, dann hat er tolles Timing an den Tag gelegt: Sein Kotzen viel genau mit dem ersten Song von K.I.Z. zusammen. Die Berliner sind angeblich witzig, angeblich politisch, angeblich provokant. In Wirklichkeit nur: dumm und schlimm. Ganz schlimm.
8. Ein Fachbegriff für die Angst, sich in einem Dixieklo zu befinden, das umgestoßen wird
Spätestens seit Oliver Uschmanns Ausführungen in Überleben auf Festivals fühle ich mich noch ein bisschen unwohler beim Betreten einer Mobiltoilette. Wird die jetzt gleich angezündet? Umgeworfen? Mit einem Bungee-Seil in den Orbit katapultiert? Alles ist denkbar, und es ist entsprechende Eile geboten, um den gefährlichen Aufenthalt so kurz wie möglich zu gestalten. Eine Lösung könnten allenfalls Dixies mit einseitig verspiegelten Fenstern bieten: Man kann raus schauen, aber nicht rein, dadurch nach heranschleichenden Vandalen Ausschau halten und sich so zumindest ein bisschen in Sicherheit wähnen. Bis diese Lösung zumindest als Prototyp erhältlich ist, muss für das beklemmende Gefühl im Dixie, analog zur Paraskavedekatriaphobie (der notorischen Angst vor Freitag, dem 13.), schleunigst ein Fachbegriff her. Mein Vorschlag: Scheißangst.
9. Ein Kameraobjektiv, das Dan Haggis gewachsen ist
Dan Haggis von den Wombats war mein zweitliebster Bassist am Highfield-Freitag. Er bereicherte die Songs der Liverpooler nicht nur um reichlich „oooohhhoooo“ und „aaahhaa“ (und natürlich die nötigen tiefen Töne), sondern legte auf der Bühne in 60 Minuten auch geschätzte acht Kilometer zurück. Ständig rannte er umher, in erstaunlicher Geschwindigkeit. Es ist kein Wunder, dass man bei einer Bildersuche nach „Dan Haggis“ kein einziges brauchbares Bild von ihm, live in Aktion auf der Bühne, finden kann. Da muss die Optik-Industrie wohl selbst in Zeiten von superscharfen Bildern vom Mars noch weiter forschen.
Ansonsten waren die Wombats das unumstrittene Highlight am Freitag beim Highfield 2012. Sänger Matthew Murphy hatte mir im Interview vorab noch gut gelaunt verraten, in welche Richtung das nächste Album gehen könnte (mehr Gitarren!) und warum er Backfire At The Disco nicht mehr spielen mag (es findet das Lied inzwischen ein bisschen arg infantil), auf der Bühne zeigte er sich dann aber ein bisschen schnippisch. Das hatte leicht zynische Ansagen zur Folge wie diese: „We’re all gonna pull tonight. It may not be our favourite gender, but we are all going to pull.“ Auf die Musik hatte das aber keine Auswirkungen: Es gab reichlich Hits, tolle Stimmung und eine erstaunliche Härte im Sound, was sogar zu ausdauernden Moshpits vor der Bühne führte. Als letzten Song boten die Wombats dann ein Instrumental, das in puncto Härte, Wut und Reduziertheit an Nirvana denken ließ. Wow.
10. Ein Gesetz gegen kurze Hosen auf Bühnen
Die lieben Menschen im Publikum können bei Festivals ja gerne machen, was sie wollen (deshalb gehen sie schließlich hin). Auf der Bühne sollten aber ein paar Regeln des Anstands gelten. Dazu gehört: No shorts, please. Kraftklub, die beim Soundcheck noch in Turnhosen auf der Bühne standen, wissen das – und schlüpften dann zur richtigen Show pflichtbewusst in ebenso graue wie enge Jeans, weiße Hemden und die obligatorischen Hosenträger. Gleich reihenweise verstießen allerdings Labrassbanda gegen diese Regeln. Die Bayern brachten ihren Mix aus Techno und Blasmusik durchweg in kurzen Lederhosen dar, und das ist auch mit Tradition nicht zu entschuldigen. Immerhin sorgten sie für reichlich Spaß, vor allem mit einer Monster-Polonaise, zu der die gesamte Band von der Bühne kam und dann den Zug in Richtung Hauptbühne und wieder zurück zur Blue Stage führte.
11. Ein passendes Genre für Bonaparte
Unmittelbar davor hatten Bonaparte das übliche Chaos in Großpösna angerichtet. Es ist noch immer ein Erlebnis, was sich da irgendwo zwischen Punkrock, Vaudeville, Globalisierungskritik, Burlesque und Zirkus abspielt – mit irren Kostümen, halbnackten Tänzern und noch mehr Slogans. Auch nach nunmehr vier Alben scheint sich das Konzept von Partykaiser Tobias Jundt nicht abzunutzen.
12. Mehr Barrierefreiheit à la Bob Dylan
Timid Tiger waren zwar erst auf den letzten Drücker verpflichtet worden, boten mit ihrer Show aber einen tollen Auftakt für das Highfield 2012. Besonders hübsch: Zu Ina Meena Dika durften Fans aus dem Publikum Pappschilder hochhalten, auf denen der Text des Refrains abzulesen war – der dann von den Fans entsprechend eifrig mitgesungen wurde. Das ist nicht nur eine nette Referenz ans Video zu Bob Dylans Subterranean Homesick Blues, sondern auch noch ein Service für Taube im Publikum, falls es bei einem Musikfestival (jenseits der Fans von K.I.Z.) welche geben sollte.
13. Eine Exit-Strategie für die Sportfreunde Stiller
Keine Frage: Die Sportfreunde Stiller sind höchst angenehme Zeitgenossen, sie haben ein paar unsterbliche Hymnen gemacht und in ihrer Karriere für so manchen wundervollen Festival- und Konzertmoment gesorgt. Auch bei ihrem mittlerweile vierten Highfield-Gastspiel waren wieder solche dabei.
Allerdings hatten sie ein bisschen mit Sound-Problemen zu kämpfen – in erster Linie war ihre Show viel zu leise. Erst auf dem Parkplatz konnte man die Sportfreunde wirklich gut hören, vor der Bühne mischte sich immer wieder die in jeder Hinsicht benachbarte Labrassbanda dazwischen. Vor allem aber konnte auch die tolle Bühnenshow (die Sportfreunde hatten eine Bühne auf der Bühne errichtet, schwebten so über den Dingen und hatten zudem tolle LED- und Videoeffekte mitgebracht) nicht darüber hinwegtäuschen, wie limitiert die musikalischen Möglichkeiten des Trios sind. Vor allem im unmittelbaren Vergleich mit den Wombats kurz zuvor ließ sich hier ein eklatanter Mangel an Gesangsqualität, Lyrik und Songwriting-Klasse feststellen.
Was die Sportfreunde Stiller rüberbringen wollen, ist meist rührend, aufrecht und sehr willkommen (das hat ihnen schließlich einen derartigen Erfolg ermöglicht), Aber oft finden sie keine wirklich überzeugende Form dafür. Das fällt nicht weiter ins Gewicht, wenn ein paar Tausend Leute gerade Ein Kompliment mitsingen, und es gab in der Show auch ein paar Momente, in denen Sporti-Songs neue, ungeahnte Stärke gewannen (Alles Roger, zum Beispiel). Trotzdem lässt sich nicht recht erkennen, wohin sich die Sportfreunde nun noch entwickeln wollen. Sie sind auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, und sie wissen wohl selbst, dass sie als Musiker nicht gut genug sind, um sich neu zu erfinden oder die etablierte Masche entscheidend weiterzuentwickeln. Der Auftritt beim Highfield machte den Eindruck, als hätten Peter, Flo und Rüde nun wirklich alles aus ihren Möglichkeiten herausgeholt – und das ist ja aller Ehren wert. Aber wie es von nunan weitergehen soll, ohne bergab zu gehen, ist schleierhaft.
Die Bilanz des Highfield 2012 in Bildern gibt es hier.
4 Gedanken zu “Highfield-Festival, Großpösna, Tag 1”