„Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück“, hat der berühmte chinesische Rock-Fan Laotse schon vor 2600 Jahren gewusst. Natürlich gilt das auch während der Festival-Saison. Als praktische Lebenshilfe hier also die zehn wichtigsten Erkenntnisse vom Freitag beim Highfield 2015:
1. Das Highfield will gerne noch umweltfreundlicher werden und hat ein paar sehr lobenswerte Aktivitäten dazu gestartet. An die Besucher zu denken, die (wie ich) die sehr umweltfreundliche Anreise per Fahrrad gewählt haben, hat man aber vergessen. Das Festivalgelände ist für Radfahrer wunderbar ausgeschildert. NICHT. Und selbst wenn man (wie ich) die Strecke schon zu kennen meint, hilft das wenig. Weil die ganze Gegend weiter geflutet wird und der Störmthaler See weiter wächst, können Wege, die es vor zwei Jahren noch gab, sich mittlerweile in Wasserstraßen verwandelt haben. Was bedeutet, dass man um den ganzen bekackten See rumfahren muss. Neuer Tipp also für die Anreise aus Leipzig: Fahrt mit dem Paddelboot. Ist auch sehr umweltfreundlich.
2. SDP sind live noch schlimmer als auf Platte. Hört man sich Mist wie das neue Album Zurück in die Zukunst an, hofft man vielleicht noch, dass die jungen Menschen heutzutage zu schlau sind, um sich von so primitiven Reimen begeistern zu lassen. Beim Highfield zerplatzt dieser Traum allerdings: Die Fans feiern Kacksongs wie Mittelfinger und Leiche und zeigen, wie gut es (vor allem bei einem Festival) eben funktioniert, wenn man einfach bloß die niederen Instinkte adressiert. Die vorgeblich spontanen Dialoge zwischen Dag-Alexis und Vincent Stein sind live noch unlustiger, selbst für einen Witz mit dem Festival-Kalauer Helga sind sich SDP nicht zu schade: Sie lassen uns wissen, dass Helga tot ist, dann wird ein Sarg auf die Bühne gebracht, dem Helga – in Form einer Gummipuppe aus dem Sexshop – entsteigt. Immerhin: Die meisten Arme gehen bei der Frage nach oben, wer das neue Album NICHT kennt.
3. Die Bratwurst am Stand mit dem herrlich unprätentiösen Namen „Bratwurst“ ist erstaunlich lecker. Das zweitbeste Menü beim Highfield-Freitag lautet: Feine Sahne Fischfilet. Sehr gute Show.
4. Die armen Security-Leute auf dem Parkplatz sind (wahrscheinlich) nicht im Hauptberuf als Chirurgen tätig. Ihren Mundschutz tragen sie, weil es dort fies staubt. Von weitem sieht es aus, als würde eine Büffelherde den kürzesten Weg zu einer Abkühlung im Störmthaler See suchen. Immerhin: Diese Dunstwolke kann für Radfahrer schon aus großer Entfernung die Orientierung erleichtern, wo sich ungefähr das Festivalgelände befindet.
5. Clueso trinkt vor der Show gerne Club Mate, wenn er im VIP-Bereich herumschleicht, hat das bestaussehende Publikum des Tages und beginnt mit Pack meine Sachen inklusive der programmatischen Textzeile „Wir werden ausflippen“. Wie sich herausstellt, ist das nicht zu viel versprochen. Erkenntnis: Clueso ist der Daddy des Highfield.
6. Menschen, die „Supa Bayern, Supa Bayern, hey, hey“ rufen, werden auch nicht sympathischer, wenn das beim Highfield passiert. Vor allem haben die Deppen dafür die Show von Frittenbude verpassen, die viel unterhaltsamer ist als die nächste Blamage für den HSV oder der nächste Sieg des FC Bayern. Unter anderem spielen Frittenbude mit So nah wie noch nie einen brandneuen Song (Weltpremiere!). Erkenntnis: Sie können klingen wie Modest Mouse.
7. Wenn Tim Thoelke an einem vorbei läuft, sieht er selbst nach einem kurzen Regenguss aus wie aus dem Ei gepellt und sagt dazu Sätze wie „Da gab es gerade eine Belästigung einer Lady.“ So geht Festival mit Stil.
8. Konnte man bei SDP den Glauben an die künftigen Generationen verlieren, gewinnt man ihn bei Madsen schnell wieder zurück. Sie weisen stolz darauf hin, dass heute ihr sechstes Album Kompass erscheint und spielen als neuen Song unter anderem Leichter, angekündigt als „hervorragend geeignet zum Springen“ und mit hübschem Lust For Life-Riff. Ab Wo es beginnt ist die Show mega, bei Die Perfektion darf sich Schlagzeuger Sascha Madsen wieder einmal die Seele aus dem Leib schreien, ein Fan widerlegt mit Höchsteinsatz im Moshpit (inklusive Nasenbluten) die absurde These, Madsen machten Musik für Weicheier. Lass die Musik an wird dann ein gefeierter Schlusspunkt. „Das war mal ne Party für unser neues Album“, lautet das treffende Fazit von Sänger Sebastian Madsen. Erkenntnis: Bei einem Madsen-Konzert Gänsehaut zu bekommen, ist in kurzen Hosen noch etwas schwieriger zu verbergen.
9. Drohnen sind die neuen Luftballons.
10. The Kooks sind eine gute Band mit guten Songs, aber sie haben an diesem Freitagabend eindeutig ein Problem mit ihrer Setlist. Sie beginnen ihr Konzert beim Highfield mit Around Town, mit Bad Habit, Down und It Was In London folgen gleich drei weitere Songs vom aktuellen Album Listen. Die Platte ist natürlich gut, bei einem Kooks-Konzert würde so ein Schwerpunkt auf dem neuen Material wohl auch funktionieren. Aber im Festival-Kontext wird schnell deutlich, dass die Fans (apropos: Die Mädels, die bei Madsen noch mit ihrem Freund tanzen konnten, stehen jetzt alleine da) auf alte Hits warten. Und selbst die zünden nicht richtig: Als endlich Ooh La erklingt, wird es viel zu rasant runtergeknüppelt, auch das folgende Eddie’s Gun wirkt, als wollten die Kooks es einfach möglichst schnell hinter sich bringen. Und auch der Doppelpack aus Always Where I Need To Be und See The World, der später noch einmal Schwung in die Sache bringt, verpufft letztlich, weil sich The Kooks danach zu viel Zeit für den Wechsel der Gitarre lassen. Der beste Moment ist Seaside, von Luke Pritchard ganz allein gespielt. Erkenntnis: Wenn sich diese Lustlosigkeit fortsetzen sollte, dauert es wohl nicht mehr lange bis zum ersten Soloalbum von Luke Pritchard.