Halo heißt das. Gemeint ist nicht der Song von Bloc Party, die spielen ja auch erst am Sonntag beim Highfield-Festival, sondern ein Phänomen der Meteorologie: Staub aus der Sahara steigt auf, die Staubkörner werden zu Kristallisationskernen von Eiskristallen in Cirrus- oder Cirrostratuswolken. In diesen Kristallen bricht sich dann das Licht – und es entsteht ein Ring rund um den Mond, der aussieht wie ein magischer Kranz.
Ich habe zum Auftakt des Highfield 2016 zwar keinen Halo beobachten können, aber die Voraussetzungen waren alle da. Es gab auf dem Gelände in Großpösna einen hell leuchtenden Beinahe-Vollmond, ab und zu mal eine Wolke und vor allem: Staub. Reichlich davon. Das Highfield 2016 könnte in die Musikgeschichte eingehen als erstes Festival, bei dem man die Publikumsströme sogar aus dem All sehen kann: Wenn die Zuschauer von der Blue Stage zur Green Stage wanderten, folgte über ihren Köpfen eine stattliche Staubwolke. Wenn sie es vor einer der Bühnen krachen ließen, entstand dort eine passende Dunstglocke.
Genug Gelegenheit zum Feiern bot der Festivalauftakt schon am Nachmittag: Moop Mama waren sehr kurzweilig und sorgten dafür, dass „Lass die Backen schwabbeln“ (so die Ansage von Sänger Keno Langbein) nun als offizielle deutsche Übersetzung von „shake that ass“ gelten darf. Etwas später gönnten sich Sum 41 ihre eigene Interpretation von We Will Rock You und holten sogar ein paar Fans auf die Bühne. Vor dem letzten Lied ihres Sets, Fatlip, hatten die Amerikaner noch eine frohe Botschaft im Gepäck: Im Oktober erscheint ein neues Album. Wer gedacht hätte, dass die Stimme von Skin nach mehr als 20 Jahren Geschrei endlich einmal kaputt sein müsste, wurde kurz darauf von Skunk Anansie eines Besseren belehrt – inklusive Stagediving-Einlage der Sängerin.
Der Staub erwies sich derweil als Leitmotiv des ersten Highfield-Tages. Einige der in diesem Jahr 35000 Besucher sieht man mit Mundschutz wie zu schlimmsten Vogelgrippe-Zeiten herumlaufen, andere haben sich in bester Westernhelden-Manier ein Tuch über die untere Gesichtshälfte gebunden. Heaven Shall Burn stellten bei ihrem Heimspiel („Wir sind die Jungs aus der tiefsten Zone“, führte Sänger Marcus Bischoff seine Band ein) fest, dass sie das Publikum kaum sehen konnten. Fred Durst von Limp Bizkit lobte ironisch die „wirklich großartige, hüstel hüstel, Atmosphäre“ vor der Green Stage, wo es während der Show der Nu-Rock-Helden tatsächlich aussah wie bei einer Stampede.
Limp Bizkit selbst trugen dazu nur bedingt bei. Zwar zeigte die Band aus Florida, dass sie es gut versteht, eine Party in Gang zu bringen, trotzdem hatte ihre Show einige Längen. Fred Durst machte noch einmal die drei schlimmsten Trends deutlich, für die er persönlich verantwortlich ist: 1) Weiße Männer mit seltsamen Kopfbedeckungen. 2) Rockstars, die sich mit kurzen Hosen und Tennissocken auf die Bühne wagen. 3) Rap, der so unsexy ist wie Metal. Dass das auf einer großen Festivalbühne trotzdem funktioniert, liegt nicht nur an den Hits von Limp Bizkit wie Rollin, das sie schon als zweites Lied der Show spielen, sondern auch daran, dass es immer und überall auf der Welt genug Teenager geben wird, die ihren Frust mit Springen und Schreien loswerden wollen.
Ein paar Mal wirkt das Konzert zwar, als würde Donald Trump beim Spring Break am Panama City Beach den Anheizer geben wollen. Aber immer, wenn die Stimmung sinkt, greifen Limp Bizkit zu ihrer Lieblingswaffe: Coverversionen. Das meint nicht nur Behind Blue Eyes (The Who) oder Faith (George Michael), die sie in ihren Interpretationen zu Hits gemacht haben. Die Band spielt dazu auch noch Sad But True von Metallica und gleich zwei Lieder von Nirvana. Dazu legt der DJ zwischendurch mal eben Party Up von DMX in voller Länge auf, um die Menge bei Laune zu halten.
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Coverversionen hat auch Brian Fallon zu bieten, und zwar noch überraschende. Der Gaslight-Anthem-Frontmann integriert in seine Show auf der Blue Stage tatsächlich eine akustische Interpretation von Katy Perrys Teenage Dream. Bezeichnenderweise ist es der spannendste Moment in einem Konzert, in dem die anderen Lieder genau so klingen, wie Brian Fallon es für Steve McQeen ankündigt: „This is a nice french chardonnay song.“ Niemand will Wein auf einem Festival! Die Leute wollen Schnaps!
Wanda haben das erkannt, besingen sie den Fusel doch in einigen Liedern. Ihr Auftritt beim Highfield 2016 wirft trotzdem (schon wieder) die Frage auf, warum diese Futzis so erfolgreich sind. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Auseinandergehen ist schwer wird ein guter Moment) ist es kaum zu fassen, wie sagenhaft belanglos diese Musik ist, die angeblich mit so viel Bedeutung aufgeladen sein soll. Was Poesie sein soll, ist bloß Ego, was Leidenschaft sein soll, ist bloß Pose.
Nicht viel besser wird es durch das blasierte Gehabe von Sänger Marco Michael Wanda, der einen albernen Trenchcoat trägt, Zigaretten ans Publikum verteilt und sich viel zu sehr in der Rolle als abgeranzter Lebemann gefällt. Wer so gerne Rock’N’Roll sein will, sollte vielleicht einmal aufhören, schwülstige Schunkellieder zu schreiben. Dass dieser Auftritt nicht komplett unerträglich, sondern in einigen Momenten zumindest faszinierend wird, liegt ausschließlich an der Bewunderung und Begeisterungsfähigkeit der Fans, die den Mangel an Dynamik und Spektakel bei dieser Band sehr geduldig und wohlwollend ertragen.
Dass es auch anders geht, zeigt zuvor Olli Schulz. Für ihn ist die Show beim Highfield der letzte Festivalauftritt des Sommers, und trotz all dieser Routine wirkt sein Auftritt in jedem Moment gut gelaunt, spontan und dankbar. Auch nach (wenn man den Hund Marie mitzählt) sechs Alben scheint der Hamburger noch immer nicht zu fassen, dass er mit seiner Musik große Bühnen füllt und im Alter von 40+ endlich so richtig dieses Rockstarspiel spielen darf. „Mann, seht ihr scheiße aus, ich hab Bock auf euch!“, lautet seine Begrüßung, danach folgt eine kurze Gebrauchsanweisung für die Musik von Olli Schulz: Seine Band macht „nicht Schwanzrock, sondern Tanzrock“, der Frontmann selbst will „nicht eure Hände sehen, sondern eure Herzen“.
Es folgt eine sehr charmante Show, in der sich der 42-Jährige in seinen Ansagen immer wieder um Kopf und Kragen redet („Hat Leipzig eigentlich noch einen Fußballverein?“) und in einem einzigen Lied mehr, jawohl, Gefühl bietet, als Wanda es in ihrer gesamten Karriere zustande gebracht haben. Höhepunkte sind (abseits der Tatsache, dass der großartige Gisbert zu Knyphausen in seiner Band den Bass spielt) sein Freestyle-Rap vor Passt schon und das herrlich romantische Als Musik noch richtig groß war.
Dieses Konzert hätte alleine schon ausgereicht, um Tag 1 beim Highfield zu einer höchst beglückenden Angelegenheit zu machen. Dazu trägt übrigens auch die Tatsache bei, dass die Erweiterung des Geländes am Störmthaler See so geschickt vorgenommen wurde: Dass tatsächlich 40 Prozent mehr Besucher da sind als im Vorjahr, merkt man weder vor den Bühnen noch am Getränkestand, am Einlass oder am Strand.
Zum wirklichen Highlight wird dieser Festivalfreitag aber wegen Scooter. Ihr „Döp döp döp“ aus Maria (I Like It Loud) wird schon den ganzen Tag über an allen Ecken des Festivalgeländes gesungen, beim Soundcheck von Heaven Shall Burn, am Geldautomat auf dem Campingplatz und am VIP-Pissoir. Als H.P. Baxxter und seine beiden Mitstreiter dann kurz nach Mitternacht mit Oi die Bühne betreten, ist das Highfield außer Rand und Band.
Die Hamburger haben zwei Tänzerinnen mitgebracht und auch etwas Bühnenspektakel (wobei jeglicher Versuch von Pyrotechnik natürlich wie Tischfeuerwerk wirken muss, wenn man weiß, dass tags darauf Rammstein spielen werden). Aber ihre stärkste Waffe sind eindeutig ihre Rave-Hymnen, auf die selbst das Rockpublikum beim Highfield offensichtlich maximale Lust hat. Überall sieht man ausgelassenen Tanz, grinsende Gesichter, begeistertes Mitsingen. Und zwar nicht nur bei Klassikern wie One (Always Hardcore), dessen Textzeile „I feel hardcore“ hier wie „Highfield Hardcore“ klingt, sondern auch bei neueren Songs wie Mary Got No Lamb.
Als dann das heiß ersehnte „Döp Döp Döp“ erklingt, wenig später gefolgt von Hyper, Hyper, flippt das Highfield aus. Vor der Bühne herrscht die reine Ekstase, selbst hundert Meter weiter hinten sieht man nichts als Menschen, die beinahe ihren Körper zu verlassen scheinen vor lauter Freude. Es staubt auch bei Scooter – aber fast möchte man glauben, diesmal sei auch die Euphorie so groß, dass sie aus dem All zu erkennen sein müsste.