Von „ausgelassener und friedlicher Stimmung, lachenden Gesichtern und zahlreichen Freudentänzen“, berichten die Veranstalter des Highfield 2016 in ihrer Bilanz. All das ist zutreffend, muss aber in einem entscheidenden Punkt korrigiert werden: Zum Abschluss des Festivals am Störmthaler See gab es Krawall und Remmidemmi.
Deichkind hatten die Ehre, das Programm zu beschließen und hoben sich diesen Kracher für die Zugabe auf. Das sorgte nicht nur für einen angemessen ausgelassenen Schlusspunkt (es ist ein ziemlich irres Erlebnis, wenn knapp 30.000 junge Menschen gleichzeitig „Ich will Pizza!“ schreien), sondern war auch die Krönung ihrer eigenen Festivalsaison, denn die Nordlichter hatten beim Highfield ihren letzten Sommerauftritt. Dass sie dafür noch einmal alles raushauen wollten, war unverkennbar: Schon mit dem ersten Track, So ne Musik, machten sie deutlich, dass sie genau die richtige Band sind, um aus dem Publikum nach drei Tagen Nonstop-Party noch die letzten Reserven rauszuholen.
Natürlich waren Deichkind optisch wieder ein schräges Spektakel, inklusive geometrischer Science-Fiction-Kostüme, Rollstuhlballett und zwei Songs, die sie in/auf einem riesigen Fass inmitten der Menge performten. Als sie mit Die Welt ist fertig, Voodoo und Porzellan & Elefanten drei schwächere Songs hintereinander spielen, droht zwar kurz die Spannung abzufallen. Aber mit Illegale Fans kriegen sie dann auf meisterhafte Weise wieder die Kurve. Spätestens ab dem Moment, als sie das Fass reinrollen und die Fragen Hört ihr die Signale und Niveau, Weshalb, Warum aufwerfen, wird ihre Show nichts anderes als ein atemloses Spektakel.
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Deichkind schaffen es (in diesem Konzert und in ihrem Werk insgesamt) nicht nur, Anarchie und Aktivismus, Sauflieder und Kulturkritik zu vereinen, sondern haben die HipHop-Tugend des Samplings als Basis für die Idee, alles in ihren Sound zu integrieren, was zu einer Party beiträgt oder den eigenen Tracks einen überraschenden Twist gibt, perfektioniert. So statten sie beispielsweise Michael Jackson, Dizzee Rascal, Frankie Goes To Hollywood oder Laid Back einen kurzen Besuch ab. Nicht erst bei Remmidemmi ist klar: Von allen Acts bei diesem Festival sind Deichkind eindeutig die Band, in der man am liebsten Mitglied sein will.
Highlights bot der Highfield-Sonntag freilich schon zuvor, etwa mit den durchaus geistesverwandten Bonaparte. Mit Rap haben die zwar wenig am Hut, aber die Entschlossenheit, die Welt mit den Mitteln der Musik wachzurütteln und auf der Bühne einen möglichst schrägen Augenschmaus zu präsentieren, ist auch hier erkennbar. Zwei Schlagzeuger, zwei Tänzerinnen und einen Stripper hat Frontmann Tobias Jundt mitgebracht, auch er scheint mit dem frühen Doppelpack aus Anti Anti und Blow It Up zunächst schon sein Pulver verschossen zu haben, bevor die Show eine Viertelstunde später wieder an Fahrt gewinnt. Slogans und Polkabeats – das funktioniert, vor allem bei Festivals, eben als todsichere Methode. Und noch immer ist es schwer zu fassen, dass etwas so Kaputtes wie sein Geist aus der Schweiz kommen kann.
Auch Fünf Sterne Deluxe weisen natürlich Parallelen zu Deichkind auf, nicht nur hinsichtlich Genre und regionaler Herkunft. Auch sie heben sich einen perfekt funktionierenden Kracher (Die Leude) für den Schluss auf, auch bei ihnen ist das planlose Gelaber in den Pausen fast genauso wichtig wie Songs, weil es denselben Effekt hat: Es beweist, was für coole Säue sie sind. Allerdings macht ihre Show auch einen wichtigen Unterschied deutlich: Ihr Rap kommt aus einer Zeit, als es bei Machern und Hörern noch eine deutlich längere Aufmerksamkeitsspanne gab. „Genau wie ’94“, fühlt sich Das Bo nach eigenen Angaben – sicherheitshalber fragt er beim Publikum aber auch noch ab, wer da überhaupt schon geboren war.
Joris hatte zuvor die Blue Stage bespielt und schwor danach, er werde dieses Erlebnis „nie vergessen“. Vieles an seinem Werdegang wirkt zu aalglatt, um das wirklich glaubwürdig erscheinen zu lassen. Immerhin: Seine diesmal etwas heisere Stimme macht seine meist stromlinienförmigen Lieder eher besser. Zum Abschluss des Abends auf der Blue Stage spielen Wolfmother eine gute Stunde lang Lieder, nach denen Besucher im Led-Zeppelin-Hoodie (ja, so etwas gibt es) mit voller Überzeugung „jawoll“ rufen können – und das ist eine gute Sache.
Den Vize-Headliner auf dieser Bühne, während des sehr hübschen Sonnenuntergangs beim Highfield, hatten Bloc Party gemacht. Die Briten sind nach wie vor keine ideale Festivalband: Sänger Kele Okereke verspricht beim Highfield zwar mit Ansagen wie aus dem Wie ich eine Menge anheize-Leitfaden immer wieder Spaß und Party, aber er und seine Band wollen unverkennbar lieber Künstler sein als Dienstleister. Das zeigt sich im eleganten Opener Only He Can Heal Me genauso wie in der Idee, Song For Clay nahtlos in das frenetisch gefeierte Helicopter übergehen zu lassen, oder in dem gewagten Einfall, ein Bariton-Saxofon auf die Bühne zu bringen.
Nach wie vor erkennt man auch, dass die Musik von Bloc Party in einigen Passagen einfach zu klug, kompliziert und subtil ist, um sie perfekt auf ein großes Open-Air-Konzert zu übertragen. Ihr Auftritt dürfte trotzdem zu ihren besten Festivalperformances zählen, wozu auch die Tatsache beiträgt, dass Gitarren – etwa im frühen Doppelpack Hunting For Witches und Positive Tension – wieder deutlich prominenter sind als auf dem aktuellen Album Hymns.
Madsen übernehmen den Part als vorletzte Band des Abends auf der Green Stage und genießen ihre Rolle als Highfield-Veteranen ebenso wie ihre Fans. Sänger Sebastian Madsen trägt beim ersten (Sirenen) und letzten Lied (Lass die Musik an als Zugabe) eine Kapitänsmütze und navigiert seine Band durch ein Set, das sich erstaunlich viele Privatismen erlaubt. Das Ziel ist hier eindeutig nicht, neue Anhänger zu gewinnen oder interessierte Passanten davon zu überzeugen, was für eine gute (und harte) Liveband dies ist. Madsen spielen für die Fans, die sie schon bestens kennen und sich ein ganzes Wochenende lang auf dieses Konzert gefreut haben.
So darf Schlagzeuger Sascha Madsen ebenso ans Mikrofon wie Gitarrist Johannes Madsen, es werden ein paar Strophen von Jets Are You Gonna Be My Girl in Die Perfektion eingebaut, es gibt einen kleinen Gitarrengruß an Thin Lizzy und auf Wunsch eines Fans mit Mein Therapeut und ich eine lange nicht mehr gespielte Nummer vom Debütalbum.
Ein Highlight ist So cool bist du nicht – es ist gefühlt die erste Ballade, die beim Highfield 2016 auf dieser Bühne erklingt, auf jeden Fall ist es die schönste. Fans und Musiker sind am Ende (natürlich beweist auch Nachtbaden wieder sein unvergleichliches Highfield-Eigenleben) sichtlich zufrieden mit diesem Wiedersehen, und man darf wohl davon ausgehen, dass in Summe keine andere Band so viel Glück zu diesem Festival gebracht hat wie Madsen mit ihren nun insgesamt schon sechs Auftritten.
Im nächsten Jahr muss das Highfield wohl auf sie verzichten – Madsen begeben sich jetzt erst einmal ins Studio, um an einem neuen Album zu arbeiten, kündigt Sebastian Madsen an. Das Highfield 2017 steigt dann vom 18.-20. August. Karten für die Jubiläumsausgabe (es wird das 20. Highfield-Festival) gibt es zum Frühbucherpreis von 109 Euro schon auf der Festivalwebsite.