Hingehört: 18+ – „Collect“

Künstler 18+

18+ Collect Albumkritik Rezension
Field Recordings sind eine Neuigkeit auf dem zweiten Album von 18+.
Album Collect
Label Houndstooth
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Manche Menschen behaupten ja, Musik bestehe aus Tönen. Andere schwören, sie könne nur aus Gefühlen entspringen. Bei 18+ kann davon keine Rede sein. Die Musik von Justin Swinburne und Samia Mirza ist ausschließlich aus drei Zutaten gemacht, und das sind: Hormone, Körperflüssigkeiten und eine sehr schmutzige Fantasie.

Schon ihr vor zwei Jahren erschienenes Debüt Trust dürfte für reichlich hochrote Köpfe bei prüden Zeitgenossen gesorgt haben, und bei allen anderen hat es das Blut wahrscheinlich genauso zuverlässig in andere Körperregionen befördert. Das 2011 gegründete Duo, das sich an der Kunsthochschule in Chicago kennengelernt hat, treibt dieses Spielchen auf Collect noch ein bisschen dreister weiter.

In den Texten wimmelt es von Lecken und Saugen, Muschis und Schwänzen. Die Stärke von 18+ ist dabei, wie subtil die Musik dazu ist. Beinahe scheint es, als wolle das Duo die enorme Körperlichkeit ihrer Texte durch die weitestgehende Auflösung klassischer Songstrukturen kontrastieren. Für Collect ergänzen sie diesen extrem minimalistischen Ansatz noch durch Telefonmitschnitte sowie Straßen- und Naturgeräusche, die sie zwischen den einzelnen Tracks eingestreut haben.

Es ist kaum zu glauben, wie intensiv und wirkungsvoll dieser Sound dennoch ist. Drama und Gliders zeigen, wie intelligent, innovativ und sexy ein Genre wie R&B sein könnte, wenn es sich von seinen Schablonen und seiner Pimp-Ästhetik befreien könnte. Leaf wirkt wie ein sehr hinterfotziger Hinweis an all die Hollywood-Komponisten, die mit Streichern, Orchestern und Chören versuchen, so etwas wie Atmosphäre in ihre Filmmusik zu bekommen. Denn hier zeigen 18+, wie wenige Instrumente man braucht, um eine spannende, sogar einzigartige Atmosphäre zu kreieren.

Glow ist maximal reduziert und maximal aufregend wie das sonst nur The Acid hinbekommen, in Soup weiß man nicht, welches Element des Sounds (gehauchte Stimme, verfremdetes Klavier, vorsichtiger Beat) hier wen dominiert. Sense hat viel Aggressivität, auch wenn kein bisschen Boom darin steckt. Der Album-Schlusspunkt Slow zeigt am besten, wie akribisch Swinburne und Mirza ihr Sounddesign betreiben, der Track bietet ein Spiel mit Hall und Panorama, das durchaus gespenstisch wirken kann, erst recht bei Zeilen wie „I know I’m your killer / I know you’re my trigger.“

Am anderen Ende der Platte steht der ebenso faszinierende Opener Descent. Man kann das nicht wirklich Beat nennen, was die Drums da machen, und auch nicht wirklich von einer musikalischen Begeleitung sprechen bei dem, was die übrigen Instrumente veranstalten. Dennoch ist der Song extrem effektvoll. Swinburne klingt, als müsse er etwas sehr Quälendes unterdrücken, Mirza singt so sehr in sich ruhend, als sei sie die Stimme der Coolness selbst.

Diese Stimmen sind so etwas wie die Geheimwaffe von 18+. Das zeigt sich in Wet Blunt, wenn der Text noch ein bisschen expliziter ist als auf dem Rest von Collect, begleitet von Beats wie aus dem Archiv von Run DMC. Auch in Robbery sind sie eher Gegner als Partner, und daraus entsteht die Spannung dieser Duo-Konstellation. In Down spielen sie gekonnt mit dem eigenen Image. Zeilen wie „I get down for you“ oder „I grew up for you“ wären wohl in jedem anderen Kontext als diesem harmlos, aber natürlich nicht bei 18+.

„I don’t ever think the way we represent sex is explicitly sexy; we’re not trying to seduce. We’re playing up to roles we still see in music today“, sagt Samia Mirza und stellt damit klar, dass es hier auch (oder sogar: in erster Linie) darum geht, die Mechanismen von „Sex sells“ vorzuführen und zu unterlaufen. 18+ setzen dabei auch auf ein Mittel, das angesichts ihrer Rezeption als Provokateure besonders wirkungsvoll ist: Gefühl. In Space, das erahnen lässt, wie Lily Allen klingen könnte, wenn ihr die Charts egal wären, ist echte Wehmut unter all der Attitüde zu erkennen. Auch Agents bietet plötzlich Bekenntnisse und Intimität – was vielleicht nicht mehr ganz so überraschend ist, wenn man sich klar macht, dass das auch beim Sex recht hilfreiche Zutaten sind. Oder sogar essentielle.

18+ spielen quasi live, und zwar im Sitzen.

Website von 18+.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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