Künstler | 2:54 | |
Album | The Other I | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Ein wundersamer Beginn ist das. Gitarre und Schlagzeug nähern sich in Orion, erstes Lied auf The Other I und zugleich die Vorab-Single, einander an wie der schüchternste Junge und das schüchternste Mädchen der Schule; dann setzt die Stimme von Colette Thurlow ein, als wollte sie die beiden warnen vor all dem schmerzhaften Unheil, das eine schüchterne Liebe anrichten kann. Doch diese Stimme klingt dabei so verheißungsvoll und mysteriös, dass beide kaum anders können werden, als es trotzdem auszuprobieren.
Es ist diese düstere, fast märchenhafte Geschlossenheit, die schon das Debütalbum von 2:54 und ihre Scarlet EP ausgezeichnet hat und die sich nun auch auf dem Nachfolger findet (und von der Witzfiguren wie Zola Jesus nur träumen können). Colette und Hannah Thurlow, geboren in Irland, aufgewachsen in Bristol und mittlerweile in London gelandet, wo die neue Platte auch aufgenommen wurde, haben längst ihren ganz eigenen Sound gefunden und verfeinern ihn hier sehr geschickt.
Oft fühlt man sich am Ende eines Songs, als würde man aus einem Traum erwachen, dessen Inhalte man nicht benennen kann, dessen eigenartige Stimmung einen aber noch den ganzen Tag begleitet. “For us, music is sensory over logic, to be felt and experienced rather than rationalized”, sagt Colette passend dazu. Pyro ist gebremst und dramatisch; wie 2:54 diese beiden Eigenschaften zusammen führen, kommt Alchemie gleich. South nimmt alles, was man an den Cranberries gut finden konnte, und lässt den Rest weg. Und No Better Prize ist komplexe, spannende und auf versteckte Weise druckvolle Rockmusik.
Der Name des neuen Albums ist von Colettes Lieblingsdichter Percy Shelley inspiriert, “a rousing romantic, politically charged, a proto-punk of sorts”, wie sie iihn umschreibt. „He called his friend and muse Elizabeth Hitchener the ‘sister of my soul, my second self.’ These lines kept returning to me last year and from there I arrived at The Other I.” Das gleichnamige Album sei nun “an enquiry into the duality of the human experience – the division between the self that pounds on like a juggernaut in your head, and the self you present to the world. The idea extends to Hannah and I, to our sisterhood. We know intrinsically what the other thinks and feels, music is just another language we use to communicate.”
Wahrscheinlich braucht man diese tiefe, genetische Verbundenheit, um eine Magie wie bei In The Mirror zu erzeugen. Es klingt wie ein Lied aus einer Märchenwelt, aber nicht in einer Disney-Ausprägung, sondern eher mit einer Nähe zu Tim Burton. Es steckt voller unsichtbarer Bedrohungen, dunkler Ecken und den Schatten gespenstischer Wesen, gegen die man sich behaupten muss, obwohl man zugleich seine eigenen dunklen Seiten in ihnen erkennen kann.
Sleepwalker, das wenig später folgt, könnte durchaus auch der Titel für dieses Album, sogar für diese Band oder dieses Genre sein. Das Lied zeigt nämlich: Nicht nur die Tätigkeit des Schlafwandelns ist hier unheimlich, sondern eindeutig auch das Ziel, auf das sich 2:54 unbewusst hinbewegen.
“We were forced to reappraise our situation and question everything, and it’s these questions that make up the beating heart of The Other I. Lyrically, the songs touch on a type of modern-day anxiety and the fundamental challenge of reconciling creativity with the reality of business”, schildert Colette Thurlow die Ausgangssituation für die Platte. Die Variationen in ihrem Sound sind subtil, die Bandbreite ist dabei allerdings beachtlich. The Monaco (benannt nach einem Hotel in Salt Lake City, in dem 2:54 nach monatelanger Tour zum ersten Mal einen freien Tag hatten, wie Colette erklärt: “It was the most peaceful I’d been for ages, it was a real turning point.”) bleibt weitgehend akustisch, fast pittoresk. Glory Days ist abstrakt, Crest gerät fiebrig wie die Songs der Blood Red Shoes, allerdings mit der Botschaft: Komm mir bloß nicht zu nah, du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt!
Blindfold hat einen ausgefallenen Schlagzeug-Beat zu bieten, auf den sie hörbar stolz sind (Hannah Thurlow steuert bei 2:54 fast alle Instrumente bei). Das enorm zurückhaltende Tender Shoots ist vor allem ein wirkungsvoller Kontrapunkt: Die Stimme klingt ausnahmsweise glockenhell, fast unbeschwert – und das ist wichtig auf einem Album, das atmosphärisch und kompositorisch gelungen ist, aber auch nicht noch ein, zwei Lieder länger sein dürfte. Das Schlusspunkt Raptor klingt, als hätten 2:54 einen kompletten Thriller, poetisch und blutrünstig, auf genau fünf Minuten komprimiert. “When Hannah first played me the music to Raptor, it had this cinematic quality that made me think of Blade Runner, it kept expanding and swelling” schwärmt Colette noch immer über den Song und verrät: “It felt like the perfect way to end the album, and a good signal as to where we’re going next.”