Künstler | AB Syndrom | |
Album | Hey Herz | |
Label | Herr Direktor | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Ein Slap-Bass ertönt in Rosen und Psychosen, dem siebten Lied auf dieser Platte. Er spielt nur einen einzigen Ton als Slap-Bass und verabschiedet sich dann wieder ins Regal mit der Aufschrift „Eighties-Sünden, die im richtigen Kontext cool sein können“. Diese Kleinigkeit zeigt zwei wichtige Neuerungen des zweiten Longplayers von AB Syndrom. Zum einen hat sich die Band seit dem Debüt Alles Deins (2012) vom Duo zum Quartett erweitert: Frontmann Bennet und Elektroniker Aljoscha werden jetzt von Oskar (Bass) und Anton (Schlagzeug) verstärkt. Das führt zu noch mehr rhythmischen Möglichkeiten und einem sehr organischen Sound für die oft hoch komplexen Beats auf Hey Herz.
Zum anderen zeigt es die Detailversessenheit, die in dieser Platte steckt. Fast alles ist hier bis ins Letzte ausgetüftelt und choreographiert. Hologram hat ein vibrierendes Fundament aus Handclaps. DYW ist das prominenteste Beispiel für den virtuosen Umgang mit Stimmeffekten, dazu gibt es nur eine einzige Textzeile (DYW steht für die ersten Worte darin: Don’t You Worry). Jalousien kommt fast ohne Beat aus und zeigt, wie gut es AB Syndrom verstehen, Sprache wie ein Instrument zu nutzen, ihre klanglichen Möglichkeiten als genauso wichtig zu begreifen wie die Inhalte des Textes.
Überhaupt, diese Texte: Man sollte das nicht als Rap missverstehen, und doch greift Bennet gerne dessen Freiheiten und Verspieltheit auf. Flaggschiff bietet eine Zeile („Ich glaube, ich hätte Würde, könnte ich’s mir leisten“) als Hilfsverben-Wunderwerk. „Die mit den größten Dornen / sind am schönsten geboren“, lautet die Erkenntnis in Rosen und Psychosen. Wenn der großartige Käptn Peng demnächst auf James Blake machen sollte, käme vielleicht etwas wie Lagerfeuer dabei heraus. Halt hat noch so einen Vers, der dich ganz tief in der Magengrube trifft: „Ich weiß, du wärst gut für mich / doch ich bin nicht bereit für glücklich.“
Es sind diese Texte, die den faszinierenden Charakter von Hey Herz prägen. Diese Musik ist rätselhaft und doch zwingend. Sie ist hoch intelligent, aber kein Hirnfick. Sie wurde auf Hochglanz poliert und kommt offensichtlich zugleich mitten aus dem Leben. Man mag kaum glauben, dass ein so selbstbewusster, eigenständiger und moderner Sound, den man zuletzt allenfalls von The Acid so ausgereift gehört hat, von einer Band aus Berlin (deren Mitglieder zudem eigentlich aus dem Taunus stammen) kommen kann. Aber AB Syndrom sind diese Band.
Taumeln Taumeln zeigt wunderbar, wie dieser Effekt wirkt: Man hat keinen Schimmer, was Bennet da singt, aber man ahnt genau, was er meint. Nina nicht ist ähnlich kryptisch und abstrakt, Bennets Stimme (und auch die Atmosphäre) lässt dabei an Johnny Blake von Zoot Woman denken. Lippenblau beschwört eine jugendliche, unschuldige Romantik herauf, wie sie die besten Momente der NDW hatten. Der Schlusspunkt Herz gesehen zeigt, wie innig elektronische Musik klingen kann. Und wenn der Gesang im Refrain von Rauch, Licht und Raufaser plötzlich fast beiläufig und spontan klingt, dann wird erst recht klar, wie elaboriert und stilsicher der Rest dieser erstaunlichen Platte ist.
Mit Hey Herz machen AB Syndrom klar, dass sie in ihrem ganz eigenen Genre spielen. Und in ihrer eigenen Liga.