Adele – „25“

Künstler Adele

Albumcover Adele 25 Alasdair McLellan
Auch „25“ hat das richtige Rezept für den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Album 25
Label XL Recording
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Fangen wir mit den beeindruckenden Zahlen an. Am Tag, als 25 im UK herauskam, verkaufte sich das dritte Album von Adele beinahe genauso häufig wie alle anderen Alben von allen anderen Künstlern zusammengenommen. In den USA standen nach vier Tagen sagenhafte 2,43 Millionen verkaufte Exemplare zu Buche – damit pulverisierte Adele den alten Rekord von N’Sync aus dem Jahr 2000. Im UK waren nach einer Woche mehr als 800.000 Exemplare abgesetzt. Das ist ebenfalls Rekord (die bisherige Bestmarke hatten Oasis 1997 aufgestellt) – und bedeutet, dass 25 in dieser Woche häufiger gekauft wurde als alle anderen Platten in den englischen Top75 zusammengenommen. Im Schnitt setzte das Werk in der ersten Woche 124 Exemplare pro Minute ab.

Erstaunlich ist das nicht nur, weil Adele reihenweise Rekorde bricht, die – was die gängigen Größenordnungen in der Musikindustrie angeht – aus einem anderen Zeitalter stammen. Als N’Sync oder Oasis ihre Mega-Erfolge feierten, war es noch üblich, Platten zu kaufen. YouTube oder iTunes existierten noch gar nicht, an Streaming war nicht einmal zu denken.

Mehr noch: Auch in anderer Hinsicht gelten für 25 erschwerte Bedingungen, die den Triumphzug dieser Platte umso bemerkenswerter machen: Die Digitalisierung hat dafür gesorgt, dass auch die Popkultur mehr und mehr fragmentiert und zersplittert ist. Sie forciert den Trend zur Vereinzelung, zur Nische, die sich jeder selbst erschaffen kann. Große Inhalte, die das gesamte Publikum einen, sind im Verschwinden begriffen: Wetten Dass gibt es nicht mehr, Olympia will keiner haben, selbst den Eurovision Song Contest 2015 schauten hierzulande nur noch 8 Millionen Menschen – das ist der schwächste Wert seit sieben Jahren.

Was also macht den Reiz von Adele aus, dass sie all diesen Trends trotzen kann? Warum laufen Menschen wie Lemminge in die Läden, um 25 zu kaufen? Hört man das dritte Album der 25-jährigen aus Tottenham, ist es gar nicht so einfach, eine einleuchtende Antwort darauf zu finden. Natürlich hat sie eine tolle Stimme. Natürlich ist geschmackvolle Songwriting-Kunst nicht das schlechteste Rezept, wenn man den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, und mit Greg Kurstin (bei drei Songs der Co-Autor), Paul Epworth (zweimal im Einsatz), Max Martin oder Bruno Mars hat Adele wieder eine erlesene Auswahl an Partnern an der Hand. Aber als Erklärung reicht das nicht aus. Denn hört man 25 losgelöst vom Hype, zeigt sich: Diese Lieder sind gut, aber sie sind nicht so phänomenal gut, dass sie einen derart außergewöhnlichen Erfolg rechtfertigen würden.

Bei Love In The Dark können beispielsweise auch Harfen und Streicher nicht kaschieren, dass das Lied etwas plump ist. Water Under The Bridge merkt man etwas zu stark den Willen an, zeitgemäß zu sein – der Song könnte auch von Ellie Goulding sein. Und Sweetest Devotion ist mit seinem dezenten Country-Feeling ein netter Schlusspunkt, aber keine Hymne für die Ewigkeit.

Eine wichtige Qualität zeigt die Platte allerdings ebenso deutlich: 25 funktioniert gut nebenher, eröffnet aber immer neue Ebenen an Intensität, wenn man konzentriert hinhört. Das gilt für die Single Hello ebenso wie für Remedy, das nur mit Stimme und Klavier agiert. When We Were Young könnte ein Song von Carole King sein – nicht nur aus ihrer Feder, sondern auch aus ihrem Zeitalter. Nicht viel mehr als eine Trommel und die Stimme von Adele braucht I Miss You, um die Essenz dessen vor Ohren zu führen, was unsere Vorfahren irgendwann von Jahrtausenden dem Reiz von Musik hat erliegen lassen. Ebenso spannend wird Send My Love (To Your New Lover) mit seinem nervösen Rhythmus, ungeahnter Ausgelassenheit im Refrain und sogar afrikanischen Anleihen.

Der wichtigste Schlüssel zum Erfolg von Adele zeigt sich allerdings erst beim Blick auf die Texte. Die Grundstimmung von 25 ist aufgewühlt, Angst vor Verlust ist ein wichtiges Thema. Das passt nicht nur gut in die Zeit, sondern holt vor allem Hörer aus der Mittelschicht dort ab, wo ihre eigene Verunsicherung schlummert. All I Ask ist so ein Lied, über dem der Schatten des baldigen Verlusts hängt. In Million Years Ago singt Adele: „I know I’m not the only one / who regrets the things they’ve done / I feel like my life is flashing by / and all I can do is watch and cry.“

Das ist der Kern ihres Appeals: Sie erscheint als eine normale Frau mit normalen Problemen. Sie singt von Liebeskummer, Trauer und Sehnsucht. Sie geht (so erzählt sie jedenfalls den Klatschzeitschriften) abends ins Pub und verschwindet zwischen ihren Platten gerne monatelang völlig aus dem Rampenlicht. Sie weiß, wie schwer das Leben sein kann. Sie möchte Trost spenden. Und Gemeinschaft stiften.

Damit es noch die Milliarde schafft: Das Video zu Hello.

Homepage von Adele.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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