Künstler | Aero Flynn | |
Album | Aero Flynn | |
Label | Memphis Industries | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Wenn man ein Auto fahren will, muss man zunächst eine Führerscheinprüfung ablegen. Das ist auch gut so, denn so ein Auto kann eine gefährliche Waffe werden. Für akustische Gitarren gibt es derlei Sicherheitsvorkehrungen leider nicht. Dabei können auch sie eine Menge Unheil anrichten. Bei Aero Flynn, der ersten Platte des gleichnamigen Soloprojekts von Josh Scott aus Chicago, ist das so.
Er verstößt auf diesem Album gleich gegen den ersten wichtigen Grundsatz. „(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird“, heißt das in der StVo. Die Entsprechung für Singer-Songwriter sollte lauten: „(1) Die Teilnahme am Musikgeschäft erfordert ständige Attraktivität und Rücksicht auf den Hörer. (2) Wer am Musikgeschäft teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Hörer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, gelangweilt wird.“
Genau dieses Bewusstsein fehlt auf Aero Flynn. „Mir geht es schlecht, bemitleide mich!“, lautet die durchweg propagierte Botschaft, und ob das irgendwen interessieren sollte, scheint Josh Scott egal zu sein. Mehr noch: Anders als Großmeister der Trübsal wie Leonard Cohen oder immerhin noch einigermaßen große Meister wie Amy Winehouse schafft er es nicht, sein Unglück zu transzendieren. Auch diese beiden hatten meist eine ähnliche Botschaft, aber die reichte über das eigene Ego hinaus. „Mir geht es schlecht – aber geht es uns nicht allen so?“, war bei ihnen die Perspektive, und das ist ein elementarer Unterschied.
Bei Aero Flynn gibt es nur Selbstmitleid und Nabelschau („I’m so afraid of everybody else“, lautet in Tree die vielleicht wichtigste Zeile des Albums). Der Sound dazu ist so, wie man es sich bei diesen Themen vorstellt: Plates 2 eröffnet das Album mit akustischer Gitarre und sanftem Country-Flair, Twist bietet dann etwas nervöse Elektronik. Crisp ist schlimmes Gefrickel mit Pseudo-Radiohead-Gesang, Pseudo-Santana-Gitarrensolo und Pseudo-House-Synthesizer.
Es gibt ein paar Lichtblicke auf Aero Flynn, das soll nicht verschwiegen werden. Dk/Pi wird, auch dank seines zupackenden Beats, zum besten Lied dieses Debütalbums. Brand New könnte eine Minute lang ein guter Song sein, ersäuft dann in seiner eigenen Blasiertheit. Dem stehen allerdings unerträgliche Songs wie Floating gegenüber, oder Maker (das klingt, als würden Tiere sterben, und zwar sehr qualvoll) oder Moonbeams (das man problemlos als Narkotikum verkaufen könnte).
Wer sich fragt, warum eine so egozentrische Musik überhaupt den Weg in ein Dasein außerhalb von Josh Scotts Gefühlswelt gefunden hat, wird immerhin schnell fündig: Er hat prominente Unterstützer. Justin Vernon (Bon Iver) stellte sein Studio zur Verfügung, auch die Bon-Iver-Mitglieder Mike Noyce, Sean Carey, Rob Moose und CJ Camerieri machen auf Aero Flynn mit, zudem Matt Sweeney (Gitarre), Ben Lester (Pedal Steel) und Adam Hurlbut von Solid Gold. „This long-awaited record is, quite seriously, a life-or-death record. Josh had to stay alive. It must be heard in the context of deferred health, deferred relationships, deferred dreams, deferred healing. As spit in the fucking face of the symptoms of disease, like rot and destruction and apathy and cynicism”, sagt Chris Porterfield von Field Report, ein weiterer Förderer.
Sie alle kennen sich aus gemeinsamen Studienzeiten an der Universität in Wisconsin. Vernon und Porterfield waren damals große Fans von Josh Scotts erster Band namens Amateur Love. Justin Vernon gründete sogar extra ein Label, um deren einzig je erschienenes Album neu herausbringen zu können. Das geschah aus Bewunderung, aber auch zur Aufmunterung, wie schon Porterfields Zitat deutlich macht: Scott litt zu dieser Zeit an einer Autoimmunerkrankung, die seine Nieren angriff und eine Depressionen nach sich zog. Auch durch seine Musik kannte er sich dann halbwegs daraus befreien. Seine penetrante Schwermut ist also immerhin verständlich. Hört man sein Debütalbum, kann man trotzdem nur wünschen: gute Besserung.