Künstler | Alannah Myles | |
Album | Alannah Myles | |
Label | Atlantic | |
Erscheinungsjahr | 1989 | |
Bewertung |
Dieses Album ist am 28. März 1989 erschienen. Wie lange das her ist, kann man unter anderem am Booklet erkennen. Darin werden beispielsweise die Vorteile des damals vergleichsweise neuen „Compact Disc Digital Audio System“ angepriesen. Und statt einer Internet- oder gar Facebook-Adresse steht auf der letzten Seite: „Write to Alannah Myles“, gefolgt von einer Postanschrift in Ontario.
Viel entscheidender an der Datierung ist aber: 1989 war sechs Jahre, bevor eine Landsfrau von Alannah Myles (sogar eine mit einem ähnlichen Vornamen und den gleichen Initialen) das Handbuch für die Möglichkeiten von Frauen im Mainstream-Rock neu schrieb. Die Rede ist von Alanis Morissette. Für Alannah Myles kam diese Revolution zu spät: Sie hatte da gerade ihr drittes Album veröffentlicht, das nirgends außerhalb von Kanada wahrgenommen wurde und ihr letztes auf einem Major-Label bleiben sollte.
An den Erfolg dieses Debüts, von dem vor allem dank des Grammy-prämierten Hits Black Velvet sechs Millionen Exemplare verkauft wurden, konnte Alannah Myles nie mehr anknüpfen. „Ich fühlte mich schwach und allein. Und wenn man keine Freunde mehr hat, stirbt man“, sagte sie 1995 (also: im Jahr der Alanis) im Interview mit dem Rolling Stone über die Zeit nach dem Durchbruch.
Vielleicht der traurige Tiefpunkt ihrer späteren Laufbahn war ein vorletzter Platz im Jahr 2005 im schwedischen (!) Vorentscheid für den ESC. Wie kurzlebig ihr Höhenflug war, erstaunt im Rückblick dennoch: Die Kanadierin hatte sehr lange und ehrgeizig auf diesen Erfolg hingearbeitet, war dann aber nicht in der Lage, ihn zu verstetigen, obwohl sie sich auf dieser Platte alle Mühe gibt, den Gepflogenheiten des Geschäfts zu folgen und möglichst massenkompatibel zu sein.
Alannah Myles war vorher jahrelang in Clubs und Kaffeehäusern aufgetreten und hatte auch schon ein paar Fernsehauftritte als Schauspielerin hinter sich, bevor sie endlich das Interesse einer großen Plattenfirma wecken konnte. Als Black Velvet als Single erschien, war ihr 31. Geburtstag nur noch ein paar Tage entfernt – der Durchbruch kam also reichlich spät.
Dass sie zur Zeit des Erscheinens ein Geheimnis aus ihrem Alter machte (ich habe ein Rock-Lexikon aus dieser Zeit, in der ihr Geburtsjahr auf 1965 geschätzt wird, in Wirklichkeit ist sie allerdings 1958 in Toronto zur Welt gekommen), passt ins Bild: Die Stilisierung als scharfe Braut in Lederkluft, die sich gerne in Bars rumtreibt, aber dringend einen Kerl braucht, war damals das gängige Muster für Frauen, die zu Gitarrenmusik singen. Es war allerdings auch ein Image, das wohl nie so recht zu Alannah Myles passte. Der Musikexpress fragte sich noch bei ihrem dritten Longplayer „Will sie nun die scharfe Rockröhre, die Antwort der 90er Jahre auf Janis Joplin oder einfach nur eine kanadische Folk- und Country & Western-Sängerin sein?“ Genau diese Unentschlossenheit lässt sich auch schon auf dem Debütalbum ausmachen.
Den Bluesrock des Openers Still Got This Thing kann man sich hinter Maschendraht in einer alkoholgeschwängerten Provinzbar vorstellen oder als Shania-Twain-Performance in der Superbowl-Hochzeit. Im folgenden Love Is erkennt man durch den markantem Slap-Bass (ein Wunder, dass der – zumindest nach meiner Kenntnis – noch nicht für einen HipHop-Track gesamplet wurde!) und die synthetischen Bläser ebenfalls den Willen, modern zu sein, ohne klassische Werte der Gitarrenmusik zu verraten.
Das plakative Rock This Joint klingt, als hätte Alannah Myles sicher nichts gegen eine Tanzsause nach ein paar JD & Coke einzuwenden und rückt beinahe in die Nähe von Hard Rock. Direkt darauf folgt mit Lover Of Mine eine pathetische Pop-Ballade mit E-Piano, blutleer und abgeschmackt wie die schlimmsten Elaborate dieser Ära es nun einmal waren. Who Loves You vereint die Widersprüche sogar innerhalb eines Songs: Die Strophe setzt auf seifige Synthies, der Refrain auf bratzige Gitarren, das Gesamtergebnis ist peinlich.
Man merkt dieser Platte sehr deutlich an, dass sie das Radio ebenso im Sinn hat wie den Live-Kontext. Viele der Lieder wurden von Christopher Ward komponiert, mit dem Alannah Myles eine zeitlang auch liiert war und der später Songs unter anderem für Hilary Duff, Diana Ross und die Backstreet Boys geschrieben hat. Dass das Album so sehr in seiner Ära verankert ist (nur zwei der zehn Liedern kommen ohne Gitarrensolo aus) kann man ihm vielleicht nicht vorwerfen. Dass es so wenig Persönlichkeit enthält, allerdings schon.
Der Schlusspunkt Hurry Make Love (aus der Feder von Nancy Simmonds, die auch bei den späteren Platten eine Mitstreiterin von Alannah Myles bleiben sollte), das nur akustische Gitarre und Gesang bietet, ist eine Ausnahme. Auch If You Want To mit seinem gelungenen Groove gehört zu den stärkeren Tracks. Dem stehen aber immer wieder Fehlgriffe gegenüber: Kick Start My Heart klingt wie ein Schema-F-Song, von dem Bon Jovi wohlweislich die Finger gelassen haben. Just One Kiss hat ein gutes Riff, aber das reicht nicht aus, um daraus einen guten Song zu machen.
Wenn nicht diese Aussetzer wären, könnte die Platte durchaus ein Klassiker des Genres sein (zumindest für die Achtziger). So ist nur ein Song ein Klassiker geworden: Black Velvet klingt auch heute noch verdammt sexy. Der Bass lässt an der Eindeutigkeit seiner Absichten keinen Zweifel, die Orgel sorgt für eine hitzige Atmosphäre, der Gesang zeigt ganz viele Facetten – und alle davon sind verführerisch.
So etwas hat Alannah Myles nie wieder hinbekommen. Im Video zu Black Velvet ist sie eine Draufgängerin, mit Reiterstiefeln und Lederjacke. Sie klettert auf Lautsprecher, verliert sich in der Musik und wickelt jeden einzelnen Kerl in ihrer Band um den Finger. Genau diese Figur war sie im wahren Leben wohl nie, denn was ihr schon auf diesem Debütalbum fehlt, und fortan noch mehr fehlte, waren Mut im Umgang mit der eigenen Musik und Karriere sowie der Wille, aus dem Territorium auszubrechen, das die Männer im Musikgeschäft für sie vorgesehen hatten.
Alannah Myles hat zwar immer ein bisschen rebelliert (gegen den Katholizismus ihrer irischen Mutter, gegen die Bequemlichkeit eines Lebens als Tochter aus gutem Haus, später auch gegen den Erfolg dieser Platte) und sie hatte immer ziemlich eigene Vorstellungen von der Welt (nach allem, was man hört, hatte sie eine zeitlang wohl zu nichts auf diesem Planeten eine so enge Beziehung wie zu Pferden). Aber sie hat all das nicht auf ihre Musik übertragen. Eigene Songs, ein eigener Kopf und die Weigerung, sich über den eigenen Körper zu vermarkten – diese Ziele hat dann erst Alanis Morissette durchgeboxt.
Weil es einfach der Höhepunkt ist: Das Video zu Black Velvet.