Künstler | All We Are | |
Album | Sunny Hills | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Man kann das Albumcover von Sunny Hills kaum ignorieren, so eindrucksvoll und programmatisch ist dieses Motiv. Es zeigt eine schmucke Villa, eingezwängt in die Umgebung von zwei verfallenden Industriegebäuden. Die Frau, der das Haus gehörte, hat sich jahrelang geweigert, es an interessierte Investoren zu verkaufen, die rundherum ihre neuen Gebäude errichteten (einer davon war Donald Trump). Sie hat sich auch auf juristischem Wege durchgesetzt und konnte dann noch zehn Jahre lang in ihrem Zuhause bleiben, wo sie schließlich starb. Zu dieser Zeit waren die neuen Firmen rundherum längst schon wieder pleite gegangen, die Nachbarhäuser zu Investitionsruinen geworden.
„In dieser Geschichte steckt der Geist eines äußerst kraftvollen Widerstands, mit dem wir uns sehr gut identifizieren können. Dazu kommt ein Gefühl der Auflehnung und des Triumphs über eine viel stärkere Macht“, haben All We Are erkannt. Es ist diese Attitüde, die das zweite Album der Band prägt. „Wir verstehen nicht, wie man als Künstler all das ausblenden kann, was um uns herum passiert. Manche Musik hört sich für uns an, als käme sie von einem gänzlich anderen Planeten. Dabei ist es wichtig, dass man mit offenen Augen durch die Welt geht und sich den Problemen widmet, die wir einfach nicht tolerieren dürfen, auch wenn sie sich längst wie Hintergrundrauschen anfühlen. Dieser Anspruch und die Notwendigkeit, ein Ventil dafür zu haben, hat uns beim Schreiben des neuen Albums sehr beeinflusst. Sunny Hills ist letztlich das erfolgreiche Ergebnis davon, die Katharsis.“
Man hört das Songs wie Waiting an, in dem der Sound ganz klar deutlich macht: Allzu lang ist der schon mächtig strapazierte Geduldsfaden von All We Are nicht mehr. „What the fuck is the truth / if I don’t know what’s fake“, heißt es in Human, im Refrain wird gar die Frage gestellt, ob wir überhaupt noch Menschen sind. Auch darin steckt eine wachsende Wut, zugleich eine Orientierungslosigkeit, die aber nicht hingenommen wird, sondern gegen die angegangen werden sollte. Das Thema ist nicht verwunderlich bei der Band, die sich 2011 am Liverpool Institute for Performing Arts gegründet hat. Bassistin Guro Gikling (aus Norwegen), Gitarrist Luis Santos (aus Brasilien) und Schlagzeuger Richard O’Flynn (aus Irland) waren als Studenten dorthin gekommen. „Wir sind schon viel zu lange von zu Hause weg, um dort noch wirklich verwurzelt zu sein. Wir haben keinen wirklichen Anker mehr. Erst die Musik hat uns so etwas wie ein Gefühl von Zugehörigkeit gegeben in einer Welt, in der eigentlich niemand mehr irgendwo dazugehört. In gewisser Weise ist All We Are eine Ersatzfamilie, geboren aus der Musik“, sagen sie mittlerweile.
Auch die neue geografische Heimat hat dem Trio, das 2015 sein erstes Album veröffentlichte, beim schnellen Zusammenwachsen geholfen: „All We Are ist eine Liverpool-Band, ganz klar. Wir alle haben den Spirit dieser Stadt aufgesaut und sind geprägt davon. Liverpool ist eine Stadt der Einwanderer und hat eine stolze Geschichte einer Willkommenskultur, in der all die verschiedenen Einflüsse aufgenommen und zu einem einzigartigen Vibe vereint werden.“ Bei ihnen gehören Post-Punk, Psychedelia, Avant-Rock und Krautrock zu den prägenden Elementen, als Referenzen könnte man etwa Foals oder Metronomy heranziehen. Eine Besonderheit prägt Sunny Hills, die man ebenfalls dem Foto auf dem Albumcover entnehmen kann. Das dort platzierte Haus sieht, wenn man die Geschichte mit der alten Frau nicht kennt, keineswegs aus, als sei es schon vor den Industriegebäuden dagewesen, die es jetzt umgeben, und vielleicht aus Denkmalschutz erhalten worden. Vielmehr sieht es aus, als sei es neu erbaut worden und als hätten sich die Besitzer genau diesen eigentümlichen Standort ausgesucht – aus einer Vorliebe für Kontraste, Provokationen und Reibungen heraus.
„Wir wollen in erster Linie, dass die Leute eine Beziehung zu dieser Platte aufbauen und vielleicht etwas Wichtiges für sich herausziehen können. Direktheit und Menschlichkeit waren dabei in unseren Augen die besten Methoden. All die kleinen Mängel und Wackler sind es letztlich, die das Album ausmachen. Wir haben sie nicht bewusst erzeugt, aber als sie da waren, haben wir sie zu schätzen gelernt. Das ist einer der Unterschiede zum ersten Album. Diesmal waren wir selbstbewusst genug, die Dinge etwas mehr laufen zu lassen. Denn in diesen kleinen Macken steckt eine große Schönheit“, sagen All We Are.
Dance ist ein Song, dem man dieses Prinzip anhört, mit einer Keyboardmelodie, die beinahe die Eingängigkeit eines Kinderlieds hat, aber reichlich verfremdet wird. Youth handelt von alten Bindungen und alten Wunden, die in Vergessenheit geraten können. „There’s a hole in my heart / that I can’t fill / and there’s a hole in my soul / that I know is not real“, singt Guro Gikling mit einem Rest von altem Schmerz und einem großen Willen zur Auflehnung. Dreamer verströmt die Ahnung, dass wir vielleicht in einer Endzeit leben, aber auch das Wissen, dass wir daran etwas ändern können.
Das führt zum wichtigsten Thema der Platte, die von Kwes (“Er ist extrem vielseitig und hat sich persönlich und emotional wirklich enorm für dieses Album engagiert. Das hat uns sehr geholfen, die Vision umzusetzen, die wir für diese Songs hatten.“) produziert wurde, vielleicht sogar zum zentralen Thema überhaupt bei dieser Band. „Ein wichtiges Motiv auf dem Album ist so etwas wie ein freiwillider Tod in der Dunkelheit, aus dem eine Wiedergeburt wird, weil man sich ihm hingegeben hat. Es wäre großartig, wenn die Leute dieses Prinzip auf ihre eigene Welt übertragen könnten. Es gibt immer einen Ausweg, selbst aus der schrecklichsten Situation. Menschen sind zäh und in der Lage, die unglaublichsten Dinge zu tun. Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels“, sind All We Are überzeugt.
„I was living with walls around me / I was living in a cage / but not anymore“, heißt es dementsprechend in Animal, in dem sich ein paar radikale Soundelemente mit dem erstaunlich schönen Harmoniegesang (alle drei Bandmitglieder wechseln sich sonst beim Gesang ab) paaren. „I know, you feel the loneliness“, lautet der Trost in Down, begleitet von einem sehr aggressiven Bass, der ebenfalls ein typisches Element von Sunny Hills ist. Die Ballade Punch als Abschluss des Albums hat zunächst nur ein paar Gitarrenakkorde und Gesang, bis sie dann ab dem Entschluss „I’ll face this dirt, it has to end“ immer mehr Kraft entwickelt und am Ende einen Furor, wie man ihn etwa bei Florence & The Machine erleben kann, nicht nur im Gesang.
Auch auf dem anderen Ende der Platte, im Auftakt Burn It All Out, zeigt dieses Gefühl von Stolz und Emanzipation, mit einer trotz des beinahe gesäuselten Gesangs sehr bedrohlichen Atmosphäre. „Wir wollten das Album unbedingt mit Burn It All Out eröffnen. Es gibt die richtige Stimmung vor und sagt: Mache dich bereit für eine Neugeburt, eine Häutung! Die folgenden Songs kämpfen sich dann aus der Dunkelheit ins Licht. Sie zeigen, wie wir selbst aus einer verzweifelten Lage zu so etwas wie Erlösung kommen können.“ In der Tat liegt darin die größte Stärke von Sunny Hills: Die neun Lieder bieten viel klangliche Vielfalt, aber eine klare Botschaft und vor allem eine riesige Identifikationsfläche, basierend auf einer sehr universellen Idee: „Unsere Musik soll letztlich vermitteln, dass es okay ist, nicht dazuzugehören. Jeder auf diesem Planeten ist auf irgendeine Weise isoliert, das ist die menschliche Verfassung. Aber in dieser Einsamkeit steckt auch etwas Verbindendes. Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass man sich anders und einsam fühlen darf. Jeder tut einfach, was er kann, um zu lieben und geliebt zu werden.“