Künstler | Angus & Julia Stone | |
Album | Snow | |
Label | Vertigo | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Noel und Liam Gallagher fetzen sich (nicht nur bei Twitter) gerade wieder. Ray und Dave Davies pflegen seit einem halben Jahrhundert eine innige Feindschaft. Aaron Carter gesteht unter Tränen, dass er die Beziehung zu seinem älteren Bruder Nick für endgültig zerstört hält. Blickt man auf diese Nachrichten, dann ist die Eintracht geradezu unglaubwürdig, die Angus und Julia Stone beteuern. Aber die beiden Australier sind der lebende Beweis: Geschwister können zusammen Musik machen, ohne sich dabei an die Gurgel zu gehen.
„Wir haben gemeinsame Erinnerungen, aber unterschiedliche Wahrnehmungen, die das gemeinsame Schaffen sehr interessant machen“, umreißt Angus Stone die Vorteile des Musizierens unter Geschwistern. Julia Stone schätzt ganz ähnliche Aspekte: „Wir können über das Gleiche sprechen, aber die Art und Weise, wie wir darüber sprechen oder fühlen, unterscheidet sich. Ich glaube, das ist es, was es für uns so spannend macht, gemeinsam zu schreiben. Es gibt eine Basis, die uns verbindet. Aber es gibt eben viele verschiedene Arten, über diese Basis zu sprechen.“ Auch Außenstehende bezeugen die Harmonie, die zwischen den beiden herrscht, etwa Rick Rubin, der ihr letztes Album produziert hatte: „Angus und Julia sind wirklich einzigartige Musiker. Sie sind authentische, unverfälschte Persönlichkeiten, bei denen alles von Herzen kommt. Ich habe noch nie mit jemandem wie ihnen zusammengearbeitet.“
2006 absolvierten Angus und Julia Stone ihren ersten gemeinsamen Auftritt, übermorgen erscheint ihr viertes Album Snow. Die Intensität der Zusammenarbeit haben sie dafür sogar noch einmal gesteigert. Hatte zunächst jeder für sich Lieder komponiert, die sie dann zusammen einspielten, begannen sie für das selbstbetitelte Album im Jahr 2014 „gemeinsam zu schreiben, im gleichen Raum. Ich denke, wir haben eine Seite aus diesem Kapitel mit auf die neue Platte genommen, nur dass wir diesmal alle Songs gemeinsam geschrieben haben“, sagt Angus Stone.
Diese einmalige Nähe spiegelt sich in Stücken wie dem Titelsong gleich zum Auftakt von Snow. Der Beat klingt wie aus der Heimorgel, die Zeilen werden abwechselnd gesungen, als Erkennungsmerkmal des Lieds reicht ein zuckersüßes „lalalalala“. Am anderen Ende des Albums steht ein in seiner Intimität fast selbstvergessener Song wie Sylvester Stallone. Dazwischen gibt es Tracks wie Make It Out Alive, in dem Angus Stone die Geschichte erzählt, während Julia Stone sich allein mit ihrer Stimme ein Himmelreich erschaffen zu wollen scheint.
„Es war einfach magisch, weil Angus und ich noch nie so viel Zeit nur zu zweit verbracht haben. Normalerweise ist da immer mindestens ein Toningenieur oder Tourmanager. Aber in der letzten Phase des Aufnehmens und Schreibens gab es acht Wochen lang nur ihn und mich und die Ruhe der Landschaft. Es war eine wunderschöne Zeit“, sagt Julia Stone über die Aufnahmen auf einer Farm in der Nähe der Byron Bay – wohl nur in solch einer Stimmung können Lieder mit so viel Wärme wie Baudelaire entstehen, das ein wenig wie eine Kreuzung aus Lana Del Rey und Milky Chance wirkt.
Die Beschaulichkeit ist nach wie vor das prägende Elemente bei Angus und Julia Stone. Für die Dynamik auf Snow sorgen vor allem ein paar erstaunlich kraftvolle Momente. Bloodhound könnte man für ein Stück der Kings Of Leon halten, Who Do You Think You Are hat die Coolness von Tom Petty oder Bruce Springsteen, auch Oakwood hat eine unverkennbare Rock-Ästhetik, inklusive eines leicht derangierten Gesangs. Zur Spannung trägt aber auch bei, dass die Geschwister bei allen Gemeinsamkeiten eben doch auch eigenständige Persönlichkeiten sind, die ihre individuellen Perspektiven und Stärken in die Musik des Duos einbringen. So entstehen sehr reizvolle Kontraste wie in Nothing Else, das zurückgenommen daherkommt und gerade deshalb so eindringlich wird, oder My House Is Your House, das einerseits große Souveränität verströmt, andererseits trotzdem Spannung aufbaut, bis zu einem großen Finale inklusive Kinderchor.
Chateau handelt von einem perfekten Moment des kleinen Glücks, ist verschlafen und dabei doch ungeduldig, wie man das etwa von The Notwist kennt. In Cellar Door thematisieren Angus und Julia Stone ein Erlebnis auf der Beerdigung des gemeinsamen Großvaters, das Ergebnis klingt wie Arcade Fire im Entmüdungsbecken, begleitet von einer gespenstischen Orgel. Auch Sleep Alone ist typisch für die kleinen Reibungspunkte dieses Sounds: Der Bass darin ist sehr markant, trotzdem lebt der Song in erster Linie von seiner Atmosphäre. „In gewisser Weise sind es die Unterschiede, die das Album am Ende so klingen lassen, wie es klingt“, meint Julia Stone sehr treffend. Auch so viel Selbsterkenntnis kann man wohl nur gewinnen, wenn man ganz entspannt im Familienkreis arbeitet.