Hingehört: Atlas Losing Grip – „Currents“

Künstler Atlas Losing Grip

Metal mit Bodenhaftung liefert das dritte Album von Atlas Losing Grip.
Metal mit Bodenhaftung liefert das dritte Album von Atlas Losing Grip.
Album Currents
Label Cargo
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Genau 66 Minuten und 6 Sekunden beträgt die Spielzeit von Currents. Natürlich ist das kein Zufall, und Atlas Losing Grip haben sogar ein bisschen getrickst, um die „number of the beast“ zu erreichen: Ganz am Ende ihres heute erscheinenden dritten Albums gibt es einfach 1:37 Minuten Stille.

Das ist durchaus bezeichnend, denn es zeigt, wie das Quintett aus Schweden, das in diesem Jahr sein 10-jähriges Bestehen feiert, mit den Ritualen, Konventionen und Symbolen des Metal umgeht: Sie wissen, dass diese Musik schon altmodisch und uncool war, als ihre Väter sie gehört haben. Jetzt interpretieren sie das Genre mit der Fähigkeit zu Ironie, Stilbruch und Übertreibung. Nicht Camp, wie The Darkness das taten, sondern geerdet.

Currents bietet weitgehend das, was man von Bands wie Judas Priest, Motörhead oder auch Blind Guardian kennt. Schon der Opener Sinking Ship zeigt das: Am Anfang steht bedeutungsschwangeres Picking, dann folgen Twin-Guitar-Klänge, schließlich Schlagzeug-Angeberei und Riff-O-Rama, dazu kraftmeiernde Zeilen wie „So come join us on this adventure / or kindly step aside“. Mehr Metal geht kaum.

Natürlich ist das für Hörer, die im Genre ungeübt sind, Zweiunddreißigstelnoten nicht per se besser finden als Sechzehntelnoten oder es, wie ich, in puncto Musikerfrisuren mit Morrissey halten („Lange Haare sind ein unentschuldbares Vergehen, das mit der Todesstrafe geahndet werden sollte.“) gewöhnungsbedürftig. Das gilt erst recht, wenn der Gesang im akustischen Closure klingt, als habe Sänger Rodrigo Alfaro (früher bei den Satanic Surfers) noch nie einen Atemzug außerhalb der US-Südstaaten genommen. Oder wenn Cold Dirt auf denkbar fatalste Weise an Meat Loaf denken lässt.

Auch die gelungeneren Stücke irritieren gelegentlich. Ins hymnische Kings & Fools hat sich eine Trompete hineingemogelt. Das brachiale Cynosure zeigt, dass man die Botschaft „You are my true love“ womöglich auch in das angebetete Gegenüber hineinprügeln kann, Shallow wird höchst kompetenter Hard Rock. The Curse ist ein gutes Beispiel für die Texte von Alfaro, die nicht so sehr wie Lyrik wirken, sondern wie Slogans, die er von den Aufnähern auf den Jeanswesten der Vorväter abgekratzt hat. Und Ithaka zeigt als beinahe 12-minütiger Albumschlusspunkt, dass Atlas Losing Grip wohl auch nichts gegen die Idee einzuwenden hätten, demnächst eine Rockoper zu machen.

Hört man Currents ein bisschen öfter und ein bisschen aufmerksamer, wird allerdings auch einleuchtend, warum im Zusammenhang mit Atlas Losing Grip immer wieder das Wort „Punk“ auftaucht. In Unknown Waters hat die Band einen rotzigen Chorgesang versteckt, der eher zu den Dropkick Murphys passen würde als zu, meinetwegen, Manowar. Nemesis hat die Aggressivität von Punk, hier scheint die Wut manchmal die Technik zu übermannen. Auch Cast Anchor hat genug Kraft, Tempo und Bolz-Attitüde, um als Punk gelten zu können (wenn da etwas weniger Gitarren und ein etwas kleineres Ego von Schlagzeuger Julian Guedj wären).

Through The Distance hat unverkennbar ein paar Hardcore-Gene, Downwind ist deutlich näher an The Offspring oder Bad Religion (mit denen die Schweden schon auf Tour waren, ebenso wie mit weiteren Punk-Größen wie NOFX) als an Metallica. Und The End zeigt einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen Atlas Losing Grip und den Genre-Gepflogenheiten: Der Gesang klingt nicht nach Theater, sondern nach Leidenschaft.

Ein Teaser für Currents.

Atlas Losing Grip sind ab nächste Woche auf Tour in Deutschland:

22.01.15 Berlin, SO36
24.01.15 Nürnberg, MUZ
25.01.15 Strasskirchen, Plutonium
28.01.15 Stuttgart, Goldmarks
29.01.15 Frankfurt, 11er
30.01.15 Köln, Underground
31.01.15 Münster, Sputnik
12.02.15 Hamburg, Headcrash
13.02.15 Wiesbaden, Kreativfabrik
14.02.15 Pforzheim, Kupferdächle
21.02.15 München, Backstage

Homepage von Atlas Losing Grip.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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