Beyoncé – „Beyoncé“

Künstler Beyoncé

"Beyoncé" ist lieber ambitioniert als eingängig.
„Beyoncé“ ist lieber ambitioniert als eingängig.
Album Beyoncé
Label Columbia
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Von ihr hätte man das wohl am wenigsten erwartet. Über die Schädlichkeit des Schönheitswahns singt Beyoncé im ersten Lied dieses Albums. „Perfection is the disease of a nation“, lautet ihre Diagnose in Pretty Hurts, mit toller Gesangsakrobatik in einem herrlich theatralischen Refrain vorgetragen. Wer stets nur auf die Verbesserung seines Äußeren aus sei, der habe wohl ganz andere Probleme. „It’s the soul that needs a surgery.“

Das ist ein schönes Pop-Statement und ein guter Auftakt für ihr fünftes Studioalbum, aber er führt schnell zu ganz vielen Fragezeichen. Denn die 32-Jährige hat mit Beyoncé die Kunstform des „visuellen Albums“ erfunden. Das bedeutet: Zusätzlich zu den 14 neuen Liedern gibt es eine DVD mit 17 Videos, die zum größten Teil während der „Mrs. Carter Show World Tour“ gedreht wurden, unter anderem in New York, Paris, Sydney, Rio de Janeiro und in Beyoncés Heimatstadt Houston. „Ich sehe Musik“, erklärt sie die Entscheidung, dem akustischen auch ein visuelles Werk beizufügen. „Wenn ich einen Bezug zu etwas habe, dann sehe ich sofort Bilder oder eine Abfolge von Motiven, die mit einem Gefühl, einer Kindheitserinnerung, Gedanken über mein Leben, meinen Träume oder meinen Fantasien zu tun haben. Und sie sind alle mit Musik verknüpft.“

Die Videos sind durchweg ein Augenschmaus, aber sie sind es in erster Linie, die für die ganzen Fragezeichen rund um Beyoncé sorgen. Denn vom im Pretty Hurts beschworenen Mantra, dass es nicht auf Optik ankommt und zu einem erfüllten Leben mehr gehört als eine faltenfreie Stirn, ist hier keine Spur mehr. Die meisten der Clips, bei denen Hochkaräter wie Hype Williams, Terry Richardson oder Jonas Åkerlund als Regisseure am Werk waren, könnten durchaus auch als Unterwäschewerbung funktionieren.

Fast immer halbnackt präsentiert Beyoncé ihren makellosen Körper mit ihrem makellosen Gesicht in makellosen Bildern. Sie räkelt sich im Bett, in der Badewanne, am Strand und im nassen T-Shirt. Die putzigen Homevideos, die dazwischen geschnitten sind und sie als kleines Mädchen beim Talentwettbewerb oder als Teenie beim Singen im Wohnzimmer zeigen, machen zwar deutlich, dass sie mal ein Mensch jenseits von rotem Teppich, Glamour und Reichtum war. Aber vor allem stellen sie heraus, wie hart Beyoncé gearbeitet hat, um dort hinzukommen. Der Status, den sie jetzt hat (und für den Schönheit nicht nur hilfreich, sondern beinahe Voraussetzung ist), war von Kindesbeinen an ihr Traum und ihre Motivation für ein knüppelhartes Trainings- und Optimierungsprogramm.

Die Botschaft ist klar: Ich bin eine moderne Frau, ich bin unabhängig, und ich bin es, weil ich mir meine Meriten selbst verdient habe. „I’m a grown woman / I can do whatever I want“, heißt der Refrain des nur auf der DVD enthaltenen Bonustracks Grown Woman. Das heißt bei Beyoncé auch: Ich zeige gerne meinen Körper. Ich bin eine Feministin, aber ich mag trotzdem Spaß, Machos und Sex. Beyoncé schlüpft in den Videos in viele Frauenrollen, sie ist Mutter, Witwe, Partygirl, Geschäftsfrau, beste Freundin, vor allem aber, immer wieder: Verführerin. Dieses Credo spiegelt sich auch in den Texten.

Haunted zum Beispiel beschwört mit geflüstertem Sprechgesang, reduziertem Beat, schwer zu fassenden Keyboard-Schwaden und dezenten Dubstep-Anleihen die Erotik herauf, von der Madonna in Justify My Love nur träumen konnte. In Drunk In Love becirct sie zu einem fetten Bass (von denen es etliche auf dieser Platte gibt) ihren Ehemann Jay-Z, im hypnotischen No Angel macht sie mit einer ganz hohen Kopfstimme, bei der Prince (mindestens) feuchte Augen bekommen dürfte, eindeutige Avancen. In Superpower schwebt sie, fast ohne Beat und mit Doowop-Backing, um Duettpartner Frank Ocean herum.

Blow feiert ebenso ungeschminkt, funky und mit einem Outkast-Karneval-Mittelteil die Freude am Sex, Mine wird ein verführerisches und aufregendes Duett mit Drake. Das hymnische XO (aus der Feder von OneRepublics Ryan Tedder) bietet mit Abstand den größten Spaßfaktor aller Tracks und bleibt im Text vergleichsweise züchtig – allerdings stehen diese beiden Buchstaben laut Urban Dictionary unter anderem für „the nice little face your girl makes when she blows you“.

In Kombination mit dem hier propagierten Feminismus (im aggressiven Flawless kommt die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie zu Wort und definiert zu einer klagenden Frauenstimme im Hintergrund die wahre Bedeutung dieses Begriffs, bevor Beyoncé selbst noch einmal klarstellt: „Don’t think I’m just his little wife“) ist das eine durchaus gewöhnungsbedürftige Kombination. Beyoncé macht immer wieder deutlich: Ich spiele gerne mit meiner Schönheit, aber ich habe mehr zu bieten als das. Ich mag zwar den Arschwackel-Fantasien von Chauvis entsprechen, aber ich tue das, weil ich es will, nicht weil sie es wollen. Das klingt zunächst einleuchtend, erweist sich aber schnell als fragwürdig.

Denn es ist ein survival of the fittest-Feminismus, ein kapitalistischer Feminismus, der nicht beim Wir ansetzt, sondern beim Ich. Es gibt in dieser Philosophie keine Gegner, es gibt auch keine Fehler im System, die für die Benachteiligung von Frauen verantwortlich sind, und es gibt keine Solidarisierung der Frauen untereinander (alle maßgeblichen Macher dieser Platte außer Beyoncé selbst sind Männer). Insofern ist Beyoncé der genau richtige Titel für dieses Album. Insofern ist es aber auch ein für Männer sehr bequemer Feminismus, denn er vermittelt letztlich die Botschaft: Nicht die Männer müssen sich ändern oder gar die Gesellschaft, sondern die Frauen sich selbst. Sie müssen nur lernen, ihre Rolle als Frau zu akzeptieren und clever mit ihr umzugehen, dann können sie alles schaffen. Beyoncé, deren Leben unlängst für eine Dokumentation mit dem bezeichnenden Titel Life Is But A Dream verfilmt wurde, scheint der lebende Beweis für dieses trügerische Versprechen zu sein.

Das Gute an Beyoncé ist, dass die Platte durchaus auch musikalisch vergleichbare Widersprüche, Provokationen und Reibungspunkte zu bieten hat. Die Botschaft von Unabhängigkeit, Stolz und Selbstbestimmung ist – so krude der Feminismus à la Beyoncé auch daher kommen mag – ganz offensichtlich kein Lippenbekenntnis, sondern findet eine künstlerische Entsprechung. Das Album ist ambitioniert, aber nicht mit Blick auf die Charts, sondern in einem tatsächlich kreativen Sinne. Beyoncé ist lieber anspruchsvoll als eingängig, über weite Strecken ist die Platte – erst recht vor dem Hintergrund des Prahlerischen, das im R&B sonst so gerne regiert – geradezu karg.

Jenseits von Pretty Hurts und XO bietet die Platte nichts, was auch nur in die Nähe einer klassischen Hitformel käme oder als Fließbandware gelten könnte. Vieles ist deutlich näher an Elektronik als an R&B, näher am Club als am Radio. Beyoncé ordnet sich hier ungefähr in der Nähe von Daft Punks letztem Album und vor allem von Justin Timberlakes 20/20 Experience ein, sie versteht ihr Werk auch ohne die Videos schon als Gesamtkunstwerk, als Album. Das ist durchaus erstaunlich für eine Künstlerin, die bisher nicht unbedingt für musikalische Experimente bekannt war. Und es ist überraschend und sehr selbstbewusst angesichts der Tatsache, dass das Vorgängeralbum 4 in den USA keinen einzigen Top10-Hit eingebracht hatte.

Jede Gefahr eines Flops hat Beyoncé diesmal freilich mit der cleveren Vermarktungsstrategie ausgeschlossen, das Album ohne Vorwarnung herauszubringen und zunächst ausschließlich als Download bei iTunes. Beyoncé war einfach da, es gab nichts vorab, nicht einmal einen Termin – und dennoch hat das Album in den vergangenen Tagen reichlich Rekorde gebrochen. „Ich wollte meine Musik nicht auf die Art veröffentlichen, wie ich es bisher getan haben. Das langweilt mich“, begründet Beyoncé diesen Ansatz. „Ich habe das Gefühl, dass ich direkt zu meinen Fans sprechen kann. Es gibt so viel, was zwischen der Musik, dem Künstler und den Fans steht. Deshalb wollte ich nicht, dass irgendjemand im Vorfeld die Nachricht verbreitet, wann mein Album erscheint. Ich wollte, dass es erscheint, wenn für mich und meine Fans die Zeit dafür gekommen ist.“

Als Erfolgsgaranten können natürlich auch die Mitstreiter gelten, die Beyoncé verpflichtet hat. Die Aufnahmen für die Platte nahmen anderthalb Jahre in Anspruch, und am Anfang dieses Prozesses stand ein so etwas wie eine Klausurtagung für alle beteiligten Songwriter und Produzenten im Sommer 2012. Neben den schon erwähnten Jay-Z, Frank Ocean und Drake gibt es noch reichlich zusätzliche Prominenz: Timbaland, Justin Timberlake und vor allem Pharrell Williams haben der Platte als Komponisten und Produzenten ihren Stempel aufgedrückt. Die beinahe klassische Soulballade Rocket ist ein Beweis für derart gut gelungenes Handwerk, an anderer Stelle beweist Partition, dass ein typischer Neptunes-Beat auch dann spannend sein kann, wenn Pharrell Williams ausnahmsweise gar nicht daran mitgebastelt hat.

Etliche Tracks gehen auf das Konto von Boots (hinter diesem bisher völlig unbekannten Namen steckt angeblich Jordy Asher, früher Frontmann beim Indiepop-Duo The Blonds). Er hat beispielsweise Jealous beigesteuert, eine feine Ballade, die auch Lana Del Rey gefallen dürfte. Auch die beiden letzten Songs stammen von ihm: Fast nur Stimme und Klavier gibt es in Heaven, mit dem Beyoncé an eine verstorbene Freundin erinnert. Die Zeile „Heaven couldn’t wait for you“ singt sie mit so viel Traurigkeit (aber so wenig Weinerlichkeit), dass es eigentlich keinen weiteren Text mehr bräuchte, um ihre Botschaft rüberzubringen. Auch in Blue dominiert das Klavier, aber ab der Mitte gesellt sich ein düsteres Gary-Numan-Keyboard dazu, am Ende sogar die Stimme von Beyoncés zweijähriger Tochter.

Es ist der Abschluss für ein Album, das hoch aktuell, sehr cool und enorm geschmackvoll ist, aber vor allem interessant, mutig und zu Diskussionen geradezu herausfordernd. Es ist damit viel mehr, als man von Beyoncé erwartet hätte, und wohl auch deutlich mehr, als die meisten der 32-Jährigen zugetraut hätten. „Are you happy with yourself?” lautet die Frage ganz am Schluss von Pretty Hurts. Für Beyoncé heißt die Antwort wohl eindeutig: ja.

Feminismus à la Beyoncé: Sie tanzt im Crazy Horse:

httpv://www.youtube.com/watch?v=CwsPsqAJKCg

Homepage von Beyoncé.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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