Bill Ryder-Jones – „West Kirby County Primary“

Künstler Bill Ryder-Jones

Bill Ryder-Jones The Coral West Kirby County Primary Kritik Rezension
Nicht in der Badewanne, aber im Kinderzimmer entstand das dritte Solowerk von Bill Ryder-Jones.
Album West Kirby County Primary
Label Domino
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

“I used the term ‘bedroom boys’ a lot when I’m talking about my music. I make music in a bedroom for people to listen in their bedrooms”, gesteht Bill Ryder-Jones freimütig. “I don’t think that’s anything to be ashamed about. I love the sound I get in that room; I think the place helps me create a different kind of intimacy in the music. And I always think lyrically, you’re going to be much more confident walking round naked in your bedroom than you are walking round your mate’s living room.”

Diese besondere Beziehung hat dazu geführt, dass der 32-Jährige, der ein gutes Jahrzehnt lang Gitarrist bei The Coral war, sein drittes Soloalbum tatsächlich in seinem früheren Kinderzimmer im Haus seiner Mutter in West Kirby aufgenommen hat. Nach dem hochgelobten Vorgänger A Bad Wind Blows In My Heart (2013) hatte er eigentlich unmittelbar weitergemacht und auch schon eine ganze Reihe von Demos aufgenommen, die er dann aber wieder verwarf. Schließlich zog er sich ins Kinderzimmer zurück, wo er West Kirby County Primary innerhalb eines Monats konzipiert und aufgenommen hat.

Von den ersten Entwürfen sind nur zwei Songs übrig geblieben, und sie zeigen wunderbar die Stärken dieses Albums: Texte, die rücksichtslos einfühlsam und schmerzhaft ehrlich sein können wie Daniel, das vom Verlust eines Kindes handelt. Und eine Atmosphäre, die so sagenhaft rührend ist, dass es an ganz große Klassiker gemahnt wie Satellites, das man in punkto Kümmernis gerne auf eine Stufe beispielsweise mit Perfect Day von Lou Reed stellen darf.

Für Bill Ryder-Jones ist Satellites “my favourite thing I’ve ever written. It describes a genuine situation. The lyric – ‘My satellite’s took rust / I’m stranded in the dark’ – is me writing about a condition I’ve got, a dissociative disorder where I switch off completely and can’t believe things are real. It’s about my ex-girlfriend trying to reason with me (‘You saved me with the thought that something somewhere must be happening’). That song is a set of feelings I was having and the reaction of someone who I loved dearly trying to help.”

Man mag es kaum glauben, aber die acht Songs aus dem Kinderzimmer sind fast alle genauso inspiriert. Es dürfte auf der ganzen Welt keinen Slacker geben, dem ein Lied wie Catherine And Huskisson, geschrieben aus der Perspektive desjenigen, der in aller Ruhe und mit großer Skepsis das Treiben in der Stadt betrachtet, nicht gefällt. Der in seiner an die Lemonheads erinnernden Schläfrigkeit erstaunliche Opener Tell Me You Don’t Love Me Watching behandelt genauso intelligent (“How dare you be anything less than all I need?”) Intimität und die Frage, ob man sie erzwingen oder willentlich verhindern kann. Wild Roses hat eine berückende Schönheit, Let’s Get Away From Here entwickelt sich von verträumt zu wuchtig.

“The songs deal with what I’m preoccupied with at the time of writing. They end up documenting feelings that aren’t always admirable. It’s a bit like a photo album – in some pictures you’ve got a shit haircut, others you’ve got a fat chin. Then there’s a few where you might look fantastic. At the end of the day though, they’re all you…”, sagt Bill Ryder-Jones, und in der Tat zeigen die Lieder auf West Kirby County Primary nicht nur Trübsal, sondern eine ganze Bandbreite an Gefühlen.

You Can’t Hide A Light With The Dark ist am Anfang dezent funky, am Ende richtig tanzbar. Put It Down Before You Break It hat eine Fragilität wie die Songs von William Fitzsimmons. Wenn es auf dieser Platte etwas Schmackes (und die umwerfende Erkenntnis “Desperate times call for desperate pleasures”) gibt wie in Two To Birkenhead, scheinen eher Dinosaur Jr. Pate gestanden zu haben. Und am Schluss zeigt sich Bill Ryder-Jones in Seabirds noch einmal als großartiger Romantiker und beweist: Die schönsten Liebeslieder sind manchmal die, in denen ein Versehrter einem anderen seinen unbedingten Beistand schwört.

Bill Ryder-Jones spielt Two To Birkenhead live in London.

https://www.youtube.com/watch?v=Jz13CLjoQqU

Bill Ryder-Jones bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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