Künstler | Bob Mould | |
Album | Beauty & Ruin | |
Label | Merge Records | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Man soll so eine Albumrezension, erst recht wenn man über die Musik eines Mannes schreibt, der schon seit 35 Jahren im Songwriter-Business ist und entsprechend wenig Neuigkeitswert zu bieten scheint, ja mit möglichst viel Spannung beginnen. Also versuche ich es mal: Im übernächsten Satz werde ich Bob Mould, Ex-Aushängeschild von Hüsker Dü und Sugar, nun mit seinem zehnten Album unter eigenem Namen am Start, als Lügner bezeichnen. Erst noch der Satz davor, nämlich ein Zitat des Altmeisters zu besagtem Album namens Beauty & Ruin: „It’s a song cycle. A narrative. It’s nobody’s story but my own… I ran so fast from my past that I caught up with myself. This album is acknowledging that and dealing with every year getting a little tougher.”
Das ist eine Lüge. In zweifacher Hinsicht. Erstens in der Behauptung, Beauty & Ruin sei in erster Linie ein Werk von Bob Mould himself. Als Kronzeugen führe ich die beiden Musiker an, die Augenzeugen waren, als das Album innerhalb von neun Tagen in Steve Albinis Electric Audio Studios aufgenommen waren. Jason Narducy (Bass) und Jon Wurster (Drums) bilden schon lange die Begleitband von Bob Mould, und beide betonen, welch großen Anteil sie diesmal, gerade zurück von einer ausgiebigen gemeinsamen Tournee, am Gelingen der Aufnahmen hatten. „After 13 months on four continents, making this album was a much faster process. We hit the ground running. Obviously, this album is Bob’s vision, but he was more open to our input. The three of us went into the studio, learning, shaping, and playing these new songs together. I was like a kid in a candy store. This band has fantastic situations”, sagt Bassist Jason Narducy. Und Schlagzeuger Jon Wurster ergänzt: „We were all in shape. We had been playing so long, and we know each other’s movements and accents.” Sogar Bob Mould höchstselbst betont die Bedeutung seiner Mitstreiter für Beauty & Ruin: „The new album plays to our strengths as a three-piece. Jon, Jason and I have been making music together for six years. During that time, we’ve identified and built upon the band’s strong suits.”
Der zweite Punkt aus dem eingangs erwähnten Zitat, dem man energisch widersprechen muss, ist Bob Moulds Behauptung, die Platte reflektiere sein eigenes Älterwerden. Zumindest all jene, die daraus auf ein lahmarschiges Werk voller Selbstreflexion und gezeichnet von nachlassender Kraft und Lebensfreude schließen, liegen völlig falsch. Wenn nach einer guten halben Stunde der letzte Track Fix It erklingt und mit, selbstverständlich, einem satten Feedback endet, ist klar: Das ist nicht der typische, getragene Rausschmeißer, der selbst für Rock-Alben noch immer üblich ist, sondern ein Kracher. Kein Wunder: Dieses Album hat keine Rausschmeißer, dafür aber ungefähr sieben oder acht Opener.
Das Lied, dem diese Rolle dann auch ganz offiziell zukommt, ist ausgerechnet eines, auf das diese Charakteristik nicht zutrifft. Low Season beginnt mit Noise, daraus schält sich ein eher getragener Song im Stile von Soundgarden, der Refrain ist sehr cool und durch die zweite Stimme zugleich unheimlich. Let The Beauty Be ist daneben der einzige weitere Song, der aus dem Vollgas-Modus ausschert – es wird allerdings auch ohne rasantes Tempo ein tolles Lied mit viel Charakter und so guter Melodie, dass man am Ende auch problemlos das „dududu“ weitersingen kann.
Ansonsten herrscht hier so viel Energie, wie man es einem 53-Jährigen nicht mal bei deutlich gesunderer Lebensführung zugestehen würde. Little Glass Pill hat am Anfang und Ende eine akustische Gitarre wie aus einem verwirrten, invertierten Wonderwall, setzt dazwischen aber auf eine rohe Punk-Attacke. Die Single I Don’t Know You Anymore behandelt im Text zwar das bevorstehende Ende einer Beziehung, nutzt dazu aber Musik, die ähnlich heiter und plakativ ist wie die Songs von Blink 182. Kid With Crooked Face hat Tempo, Power und Druck wie die besten Momente der Foo Fighters, genau wie diese zeigt zudem auch dieser Track die Fähigkeit, davon nicht den Song zerstören zu lassen. Apropos: Dave Grohl hat Bob Mould mal mit den Worten “You’ve got the loudest voice I’ve ever heard” gepriesen.
Wie zutreffend dieses Kompliment ist, beweist Mould hier unter anderem in Hey Mr. Grey, das so viel Frische und Überzeugung hat wie ein Song von einem Debütalbum. Tomorrow Morning ist eines von etlichen Stücken, bei denen man unbedingt der Gitarrist in dieser Band sein möchte – oder noch lieber der Drummer. Auch Nemeses Are Laughing (“It’s probably my favourite on the album”, sagt Bob Mould über das Stück, “one of the trippiest songs I’ve ever written. I honestly don’t know where this song came from, but it’s a high point for me as far as composition.”) hat diesen Effekt: Ein herrlich schepperndes Schlagzeug und reichlich Gitarren werden gespielt, als sei dieser Sound der neuste Hip Shit. Selbst Forgiveness, das sich weitestgehend auf akustische Gitarren beschränkt, wird sofort packend und beweist viel Vorwärtsdrang.
Freilich muss auch gesagt werden: Natürlich ist nicht alles falsch an dem Zitat von Bob Mould, mit dem dieser Text beginnt. Wenn er von „nobody’s story but my own“ spricht, dann ist das in der Tat eine höchst persönliche, denn Vieles auf Beauty & Ruin handelt vom Tod seines Vaters im Oktober 2012. Am deutlichsten wird das in The War, das Bob Mould als Herzstück des Albums bezeichnet. Den Song hat er an seinem 53. Geburtstag geschrieben, und zwar in einem Rutsch. Ein gutes Jahr lang hatte er zu diesem Zeitpunkt versucht, den Tod seiner Vaters mittels Party und Konzerten nicht an sich ranzulassen, doch dann brach alles heraus. „I had these words – memories of my dad who gave me life through music, thoughts of friends and loved ones who are contending with illness, how we attempt to reconcile the lives we lead and the legacies we leave – and what you hear on this album is the moment, when the melodies, chord progressions and song structure appeared. It was completed there and then”, erzählt Bob Mould über die Entstehung. Das Ergebnis klingt, wie die Gin Blossoms oder die Counting Crows nach einem Crashkurs in Garagenrock, würdevoll, trotzig, der Zukunft mit erhobenem Haupt zugewandt – und ein sagenhaft schlüssiges Argument für die These, dass Bob Mould so schnell keiner etwas nachmacht, wenn es um Alternative Rock geht.
Bob Mould spielt I Don’t Know You Anymore live.
httpv://www.youtube.com/watch?v=L6jKaxAtfKk