Künstler | Bonnie „Prince“ Billy | |
Album | Best Troubador | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Die Leber ist ein strapazierfähiges Organ, das einen ziemlich undankbaren Job hat: Wenn wir irgendetwas zu uns nehmen, das nicht gut für den Körper ist, nimmt sich die Leber dieser Stoffe an und sorgt dafür, dass sie nicht ins Blut kommen. All die Gifte, Medikamente und unbrauchbaren Bestandteile unserer Nahrung bleiben an ihr hängen.
Wenn es ein vergleichbares Organ geben sollte, das nicht für das Ertragen von gefährlichen Stoffwechselprodukten, sondern für das Ertragen von Unglück zuständig wäre, dann wäre es bei Bonnie „Prince“ Billy permanent entzündet, völlig überlastet. Die Lieder auf Best Troubador zeigen ihn stets kurz vor dem emotionalen Kollaps. Das kleinste Missgeschick im Leben, die geringste Zufuhr weiteren Unglücks, könnte ihm den Rest geben.
Das passt natürlich zum Image des Mannes mit dem Mega-Bart: Will Oldham hat als Palace Music, Palace Brothers, unter seinem eigenen Namen oder eben als Bonnie „Prince“ Billy immer Musik von der Schattenseite des Lebens aus gemacht. Auch Best Troubador passt bestens in diese Reihe: Das gestern erschienene Album bietet sechzehn Beweise dafür, wie schön das Traurigsein klingen kann.
Die Besonderheit dabei: Bonnie „Prince“ Billy spielt diesmal nicht seine eigenen Stücke, sondern hat seine Lieblingslieder aus dem Oeuvre des im April 2016 verstorbenen Merle Haggard herausgesucht und gemeinsam mit seinen Mitstreitern Van Campbell, Nuala Kennedy, Danny Kiley, Drew Miller, Cheyenne Mize und Chris Rodahoffer sowie Mary Feiock, Emmett Kelly, A.J. Roach und Matt Sweeney als „Special Guests“ in seinem Heimstudio in Kentucky aufgenommen. Auch dessen Songs passen natürlich bestens zur Attitüde, die man von ihm kennt: Der Erzähler ist in all diesen Liedern kein Akteur, sondern ein Ertragender. Und die Songs klingen – etwa im Opener The Fugitive mit der ultimativen Americana-Zeile „The highway is my home“ – prototypisch, aber trotzdem besonders.
Stets reichen hier ein paar Zeilen aus, um die stoische Grundhaltung zu demonstrieren: „Nothing’s like it used to be / only the pain is real“, heißt es in Haggard (Like I’ve Never Been Before). Über dem Duett Some Of Us Fly steht die Erkenntnis: „Some of us climb / all of us fall.” Fast trotzig heißt es gegen Ende des Albums in I Am What I Am: „I do what I do / cause I give a damn / and I’m not a tramp / and I’m not a drifter / I am what I am.“
Nicht nur daran lässt sich unschwer eine Gemeinsamkeit erkennen. Wie groß die Geistesverwandtschaft ist, zeigt auch die Tatsache, dass Bonnie „Prince“ Billy seinen ersten Auftritt als Musiker vor Publikum vor mittlerweile über einem Vierteljahrhundert mit einem Merle-Haggard-Song begann, nämlich It’s Not Love (But It’s Not Bad). Dieser Track ist auf Best Troubador nicht vertreten, dennoch zeigt das Album eine sehr persönliche Auswahl. Besonders spektakulär: Oldham schafft es, das Verbindende dieser Songs aus den Jahren 1967 bis 2011 herauszustellen, er unterstreicht so die Kontinuität und Zeitlosigkeit im Schaffen von Merle Haggard.
I’m Always On A Mountain When I Fall thematisiert das Verlieren als Lebensart und die Tatsache, dass eine Niederlage trotzdem jedes Mal wieder wehtut, sogar besonders. Das Schicksal ist gegen mich – diese Erkenntnis kann der Sänger zwar nicht akzeptieren, aber ertragen. Er hat längst verinnerlicht: Dieses Schicksal erwischt einen immer im falschen Moment und lässt die Augenblicke des Glücks deshalb als besonders trügerische Illusion erscheinen. Mit Leonard könnte Leonard Cohen gemeint sein, und dessen Konzept des Beautiful Losers (so hieß der zweite Roman des Kanadiers) passt perfekt zu Bonnie „Prince“ Billy, ebenso wie zu Merle Haggard.
Das sparsam instrumentierte The Day The Rains Came kreist um das demütige Flehen: Ich verlange doch gar nicht viel, kann ich dann nicht wenigstens dieses Bisschen behalten? Die Gnade kommt in Pray nicht von Gott, sondern lässt sich allenfalls aus dem Gedanken ableiten, dass es vielen anderen genauso mies ergeht. My Old Pal entpuppt sich als Walzer, der eigentlich nur eine einzige Aussage hat: Ich vermisse dich. In Roses In The Winter ist die Stimme ebenso hingehaucht wie die Instrumente, und die Jahreszeiten werden hier sowohl zur Metapher für Vergänglichkeit als auch für die Ewigkeit.
Best Troubador ist auch deshalb ein so wundervolles Tribut-Album, weil es zum Geist von Merle Haggard passt, der seinerseits keine Gelegenheit ausließ, seine Vorbilder hochleben zu lassen. „Merle Haggard is a channeler who has paid ample tribute to those that came before him. He has demonstrated explicitly and implicitly his standing on the shoulders of Tommy Duncan/Bob Wills, Jimmie Rodgers, Floyd Tillman, Lefty Frizzell and many others. There are songs in his catalogue that seep solidly into the headspace of Kentuckians who grew up when I did, and beyond through his vast influence on the George Straits, Dwight Yoakams, Alan Jacksons, John Andersons, Toby Keiths, and too many others. He is not the original, but he may be the most significant junction“, beschreibt Oldham diese Parallele.
Am schönsten sind natürlich die Liebeslieder: Wouldn’t That Be Something handelt von den kleinen Oasen des Glücks, die man sich trotz allem bauen kann (am besten zu zweit), und ist am Ende fast ausgelassen. „Liebe, das ist doch immerhin etwas!“, ist der zentrale Gedanke von That’s The Way Love Goes. Die beiden Menschen, die in Nobody’s Darling die ultimative Innigkeit und Treue beschwören, sind eindeutig ihre eigene Insel. Und I Always Get Lucky With You wird ein herrlich zartes, wehmütiges, tröstliches Liebeslied.
Mit What I Hate (Excerpt) gibt es auch ein paar Sekunden, die (hoffentlich) als Witz gemeint sind, weil sie als Hassobjekt einzig und allein Chemtrails benennen. Den Abschluss von Best Troubador macht If I Could Only Fly, eine exzellente Wahl für den Rausschmeißer. Denn die Interpretation von Bonnie „Prince“ Billy hat beinahe Demo-Charakter, man hört Rauschen und die Dialoge der Musiker während der Aufnahme. Das zeigt, dass sich Trost (für Oldham wie für Haggard) wohl nicht nur in der Zweisamkeit finden lässt. Sondern auch in der Musik.