Bosse – „Kraniche – Live in Hamburg“

Künstler Bosse

Reichlich Freunde haben Bosse zum krönenden Abschluss ihrer Kraniche-Tour eingeladen.
Reichlich Freunde haben Bosse zum krönenden Abschluss ihrer Kraniche-Tour eingeladen.
Album Kraniche – Live in Hamburg
Label Vertigo
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

„Im nächsten Lied geht’s um Liebe, Durchhalten, Zusammenbleiben und dafür belohnt werden“, sagt Axel Bosse, als er vor 7000 Menschen in der Hamburger Sporthalle das Lied Yipi ankündigt. Es ist nicht nur die erste Zugabe dieses Abends und der einzige Song, bei dem er zur Gitarre greift. Es ist auch die wichtigste Ansage des Konzerts. Denn darin steckt alles, was diese Show, nun als Kraniche – Live in Hamburg dokumentiert – ausmacht.

Bosse haben die Ochsentour gemacht, sich 15 Jahre lang stetig nach oben gearbeitet. Das Jahresabschlusskonzert 2013 ist nicht nur der krönende Abschluss ihrer Kraniche-Tournee, bei der sie zuvor 40 ausverkaufte Konzerte vor insgesamt 70.000 Fans (und dazu unzählige Festivals) gespielt haben. Es ist der Höhepunkt in der Laufbahn dieser Band.

Die 20 Lieder auf zwei CDs und die 17 Tracks auf der DVD lassen daran keinen Zweifel. Axel Bosse tanz wie wild, er weiß gar nicht, wohin mit all seiner Energie, Freude und Dankbarkeit. Es sieht aus, als warte eine Einzelzelle mit ewiger Dunkelheit auf ihn, sobald der letzte Ton dieser Show verklungen sein sollte, und entsprechend intensiv wolle er das Davor genießen. „Ich werde den Abend nie vergessen! Das ist extrem großes Kino, das geht voll in den Körper. Tausend Dank für dieses tolle Gefühl! Dafür haben sich diese 15 Jahre Arbeit extrem gelohnt. Eigentlich nur für heute Abend. Danke schön, dass ihr da wart!“, sagt er am Ende.

Die Fans schwelgen genauso in diesem Abend, sie werden von Axel Bosse mit zig Schmeicheleien gepriesen, sie dürfen bei ausgiebigen „Ohohos“ und „Eyyyoos“ ran, jede Zeile wird mitgesungen, mitgelebt, mitgefühlt. Schaut man die DVD an, dann sieht man in strahlende Gesichter – die Hamburger Sporthalle beheimatet an diesem Abend 7000 Honigkuchenpferde. Für Bosse, die ohne Koketterie davon berichten können, wie sie einst vor 15 Leuten gespielt haben, von denen die Hälfte auch noch Freunde der Band waren, ist es ein Triumph. Sie haben es geschafft, diese Lieder in einem undefinierbaren Genre zwischen Indierock-Gestus, schmissigem Pop und elegantem Schmusesound zu Hymnen zu machen.

Das Album ist dabei allerdings kein Rundum-Glücklich-Paket. Die DVD wird zwar ein absolutes Highlight für Fans, doch die beiden CDs leiden unter einem verwaschenen Sound. Man hört sehr deutlich, dass das live ist, manchmal landen alle Instrumente in einem großen Matsch, auch der Gesang ist nicht immer problemlos zu verstehen. Die Auswahl von Liedern aus zehn Karrierejahren und fünf Alben zeigt auch: Axel Bosse hat nicht die genialen Texte wie beispielsweise Thees Uhlmann, nicht die Hammer-Stimme wie meinetwegen Jan Plewka und nicht die melodiöse Brillanz wie beispielsweise die Lieder von Madsen. Aber das ist hier auch gar kein Problem. Es geht bei Bosse nicht um Gesang, Melodie oder gar Show. Es geht um besondere Momente und, vor allem, um Gefühl.

Es gibt durchaus mediokre Momente auf diesem Album. Niemand vermisst uns beschwört nichts herauf als den Verdacht, dass man diese Akkorde bei The Winner Takes It All schon einmal gehört hat. Alter Strand (mit Sebastian Madsen) lässt die Strokes ein bisschen Seemannsgarn spinnen. Vive La Danse hat zwar das Riff von Mr. Brightside, allerdings nicht dessen Feuer und Prägnanz. Vier Leben ist längst nicht so poetisch und tiefgründig, wie es gerne sein will. Bei der Coverversion von Junimond ist das einzig Besondere, dass Gast-Star Kim Frank seinen Einsatz verpasst. Diese Lieder funktionieren nicht, wenn man nicht an sie glauben will. Aber sie funktionieren umso besser, wenn man an sie glaubt.

httpv://www.youtube.com/watch?v=Oa-1H5eTf_U

Erst recht gilt das natürlich für die Highlights von Kraniche – Live in Hamburg. Der erste große Moment ist Nächsten Sommer, das auch durch Valeska Steinert (Boy) als Duettpartnerin extrem hübsch wird. Sophie profitiert enorm davon, dass der Sound ausnahmsweise einmal klar ist, weil nicht ganz so viele Instrumente im Einsatz sind. So oder so wird enorm mitreißend, Konfetti ist zum Heulen schön, das ausufernde Frankfurt Oder könnte als so etwas wie die musikalische Entsprechung von Gruppensex in die Geschichte eingehen. Auch für diese Lieder gilt meist, dass sie in den jeweiligen Studioversionen besser geklungen haben, aber hier geht es nicht um technische Perfektion, sondern um Miteinander.

Auf der DVD gibt es zwischen den einzelnen Liedern ein paar O-Töne der Band, die auf die Tour im Allgemeinen und den abschließenden Abend in Hamburg im Besonderen zurückblickt, und es ist geradezu rührend, wie lieb sich alle haben. Die Bandmitglieder stellen die Herzlichkeit und Menschlichkeit von Axel Bosse heraus, sie preisen ihn als „ehrliche Haut“ und schwärmen von einer „unglaublich intensiven Freundschaft“.

Es gibt keinen Grund, an der Aufrichtigkeit dieser Aussagen zu zweifeln, und es ist genau diese Harmonie, die auch die Beziehung zwischen Bosse und ihren Fans prägt. Man mag das für kitschig halten, aber der Gedanke, dass hier Freunde auf der Bühne und im Publikum stehen, drängt sich während dieses Konzerts gleich mehrfach auf. Mehr als deutlich wird das in 3 Millionen, als Axel Bosse sich mitten ins Publikum begibt und (trotz der Warnung „Vorsicht, ich stinke! Vorsicht, ich schwitze!“) von allen Seiten geherzt wird. Dieses Gefühl kulminiert in Schönste Zeit, dem Herzstück dieses Konzerts, vielleicht sogar der gesamten Laufbahn von Bosse. Das Lied zeigt, was Band und Publikum zusammenschweißt: Erinnerung, Romantik, Nostalgie, Initiation. Am Schluss dürfen die Fans alleine singen und Axel Bosse stellt abschließend fest: „Das könnte ich stundenlang machen.“ Er hat sich diesen Moment verdient – auch wenn es (oder gerade weil es) ebenso wie dieses Livealbum ein Arbeitssieg war.

Bosse spielen Vier Leben live in Hamburg.

httpv://www.youtube.com/watch?v=DxsP4bIdET8

Demnächst sind Bosse auf Akustik-Tour:
30.08.2014 Berlin, Admiralspalast
31.08.2014 Berlin, Admiralspalast
01.09.2014 Hamburg, Laeiszhalle
02.09.2014 Hamburg, Laieszhalle
12.11.2014 Dresden, Alter Schlachthof
13.11.2014 Halle (Saale), Steintor Varieté
15.11.2014 Kaiserslautern, Kammgarn
16.11.2014 Stuttgart, Theaterhaus
18.11.2014 Köln, E-Werk
19.11.2014 Essen, Lichtburg
20.11.2014 Lingen, Emsland Arena
06.12.2014 München, Kongresshalle
07.12.2014 Frankfurt/Main, Batschkap
08.12.2014 Hannover, Theater am Aegi
10.12.2014 Schwerin, Capitol
11.12.2014 Flensburg, Deutsches Haus
13.12.2014 Bremen, Pier 2

Homepage von Bosse.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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