Künstler | Brandon Flowers | |
Album | The Desired Effect | |
Label | Island | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Es ist noch nicht lange her, da war ich in einem Lieblingsclub, nennen wir ihn Hiltrud. Es fand dort eine Motto-Party statt, nennen wir sie „Danger Zone“. Ich kam sehr spät dorthin und erlebte Folgendes: Junge Menschen tanzten ausgelassen zu den Liedern von Phil Collins und Bonnie Tyler. Sie sangen lauthals mit bei Hair-Metal-Klassikern. Sie reckten die Faust in die Luft bei Bryan Adams und Huey Lewis. Es war, selbstverständlich, eine sehr befremdliche Szenerie. Etwa drei Sekunden lang. Ab da war es ein Riesenspaß.
Ich habe sehr schnell mitgemacht, und es fühlte sich wie eine Befreiung an, in dreifacher Hinsicht. Erstens: Diese Songs, denen man bei iTunes gerne fünf Sterne gibt, aber dann sicherheitshalber doch in der Playlist „Bad Taste“ ablegt, hatten also auch für andere Menschen einen erstaunlichen Appeal (zumindest um 4 Uhr nachts, zumindest nach dem fünften Gin Tonic). Zweitens: Auch die schlimmsten Hipster, die sonst schon die Nase rümpfen, wenn der falsche Remix von James Blake läuft, können sich dem Appeal dieser Lieder nicht entziehen, diesem Mix aus Leidenschaft, Pathos, Glamour und einem geheimnisvollen Versprechen, der große Popsongs auszeichnet. Drittens: Wenn man diese Musik in cooler Umgebung mit coolen Leuten abfeiert, ist es kein bisschen uncool mehr, sich ihr voll und ganz hinzugeben.
Warum ich das erzähle? Weil Brandon Flowers morgen ein neues Album veröffentlicht. Weil The Desired Effect genau diese Party ist. Und Brandon Flowers ganz eindeutig einer dieser coolen Menschen mit einem großen Herz für Schmalz ist.
The Desired Effect ist das zweite Solowerk des Killers-Sängers. Gemeinsam mit Produzent Ariel Rechtshaid (Charlie XCX, Vampire Weekend) hat er so etwas wie eine Jukebox seiner Guilty Pleasures erschaffen. Zu Beginn wandelt er wieder einmal auf den Spuren von Bruce Springsteen, die Beteuerung Dreams Come True wird sicherheitshalber noch von Fanfaren und dramatischen Drums begleitet. Diggin’ Up The Heart beschwört spätestens mit seinem Boogie-Refrain die Dire Straits herauf, Between Me And You hat einen Refrain, der auch Meat Loaf stolz gemacht hätte, Can’t Deny My Love hätten auch Frankie Goes To Hollywood nicht pompöser hinbekommen, und Still Want You dürfte sicher auch Billy Joel gut gefallen.
Erstaunlich schnell stellt sich der Eindruck ein, dass The Desired Effect womöglich gar nichts anderes sein will als eine Hommage an all die Helden, in deren Fußstapfen sich Brandon Flowers sieht. Bedenkt man, dass man es hier mit einer Platte zu tun hat, auf der ein Multimillionen-Dollar-Frontmann die Gelegenheit nutzt, sich abseits seiner Band künstlerisch auszudrücken, dann überrascht, wie wenig der 33-Jährige darauf aus ist, sich abzusetzen, sein eigenes Profil zu betonen.
Im Gegenteil: Brandon Flowers sucht die Gemeinschaft. „The older I get, the more willing I am to use other people and their talents, and I’m thankful for them. I can’t do it by myself, and I think that’s something that came with age”, sagt er. “If I could talk to myself when I was younger, that’s one of the bits of advice I would definitely give myself: be open to other people. That definitely helped me with this record.”
Passend dazu gibt es neben Rechtshaid, der The Desired Effect sehr deutlich seinen Stempel aufgedrückt hat, einige weitere Gäste. Bruce Hornsby (der 1986 einen Riesenhit mit The Way It Is hatte) steuert das Klavier zu Never Get Your Right bei. Der Song ist erst reduziert, dann ambitioniert – und beides funktioniert. Angel Deradoorian (ehemals Dirty Projectors) singt bei mehreren Songs im Hintergrund, Danielle Haim spielt das Schlagzeug im überzeugenden Lonely Town. Und dann ist da noch I Can Change, bei dem Neil Tennant mitsingt: Es wäre auch ein großer Wurf ohne das Smalltown Boy-Sample, das nach einer Minute einsetzt und dann nach und nach den Song übernimmt, aber so wird es zum besten Lied dieser Platte.
Auch The Way It’s Always Been beeindruckt mit einer Gospel-Atmosphäre, die mit fast ausschließlich synthetischen Mitteln evoziert wird. Dass ausgerechnet der Song, der am meisten an die Killers erinnert (das verkrampfte Untangled Love, bei dem auch Bandkollege Ronnie Vannucci mitwirkt), zum schwächsten Moment des Albums wird, darf Brandon Flowers als positives Indiz für sein Solowerk werten.
Natürlich gibt es auch hier die eine oder andere fragwürdige Textzeile. Manch einer wird die Elvis-Posen auf dem Cover und im Booklet schamlos finden. Es gibt auch etliche Passagen, in denen man sich fragt, ob das alles bei einer etwas weniger Popstar-geeigneten Stimme nicht doch peinlich wäre. Aber die Akribie, mit der sich Brandon Flowers die Sounds seiner Vorbilder aneignet, die Fantasie, die er in die durchaus innovativen Melodien auf dieser Platte steckt, und vor allem die Vorbehaltlosigkeit, mit der er sich in dieses Ding namens Pop stürzt, sind durchaus ansteckend. Und das ist dann wohl genau der von ihm gewünschte Effekt.
Der Albumplayer zu The Desired Effect.
https://www.youtube.com/watch?v=I0ivqEFaCX8