Künstler | Bünger | |
Album | Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit | |
Label | Chefrecords Ratekau | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
„Ich muss das nicht machen.“ „Ich weiß selbst am besten, dass ich zu alt dafür bin.“ „Ich habe so viel erlebt, da kann mir keiner mehr was.“ Für eine späte Solokarriere sind solche Aussagen nicht die schlechteste Voraussetzung. Sie stammen nicht von Sven Bünger. Aber sie könnten von ihm sein. Der Titel der ersten Platte, die er 2013 unter eigenem Namen herausbrachte (Besser scheitern) zeigt das. Und auch die Attitüde des Nachfolgers Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit, der heute veröffentlicht wird, ist ein Beleg dafür.
Der Mann hat Johannes Oerding, Madsen oder unlängst Jeden Tag Silvester produziert, die Band Soulounge gegründet und sich immer wieder als Förderer spannender Talente und geschätzter Netzwerker bewährt. Als Solokünstler inszeniert er sich als rauer Grandseigneur mit einem sehr amerikanischen Sound. Seine Bereitschaft zu Eingängigkeit leidet darunter keineswegs. „Zum Glück habe ich als Produzent ein kommerzielles Empfinden und auch Spaß daran. Aber es macht mir auch Spaß, diese Reflektiertheit aufzugeben“, sagt Sven Bünger.
Dieser Kontext ist hier nicht von der Musik zu trennen, ohne die Bilder, das Image und die Erfahrung von Bünger könnte er sogar in manchen Momenten der Platte wie ein wehleidiges Nordlicht in der Midlife Crisis wirken. Dass dies zu keinem Zeitpunkt der Fall ist, liegt nicht nur an seiner kernigen Stimme, sondern eben auch am Wissen um die Biographie des Künstlers.
Seine liebste Rolle ist die des souveränen Lebemanns, der seine Schwächen kennt und dadurch nur umso stärker wirkt. Der Auftakt Tut mir leid legt gleich einmal fest, dass Ratschläge von Müttern in der Regel nur zu einem Zwecke dienlich sind: Man hat dann noch mehr, was man in den Wind schlagen kann. Ich brauch nichts, als Schlusspunkt des Albums gesetzt, erweist sich als tolle Unabhängigkeitserklärung. „Ich brauche nichts / außer mich“, heißt die Erkenntnis, die Musik dazu ist treffenderweise bis aufs Nötigste reduziert.
Nein heißt Nein wird sehr originell durch eine ganz einfache Idee, nämlich die Umkehrung der Geschlechterrollen: Es ist hier die Frau, die optischen Reizen verfällt, auf Teufel komm raus aufreißen will und dabei alle Register zieht. Der Mann (natürlich: Bünger) hingegen war nicht einmal auf einen Flirt aus und beteuert nun, dass er den noch so hartnäckigen Avancen auf keinen Fall nachgeben wird. In der Falle könnte auch „Hedonismus-Bossa“ heißen (und gut ins Repertoire der Liga der gewöhnlichen Gentlemen passen). „Alle lieben dich und deine Feierkunst / wir scheißen auf die Zukunft, die haben wir längst verhunzt“, singt Bünger darin die schönste Zeile des Albums, begleitet vom klasse Hintergrundgesang, den Cindy Hense beisteuert.
Dass diese Position nie großkotzig, sondern glaubwürdig klingt, liegt zum einen an Produzent Tobias Levin (Blumfeld, Tocotronic, Kante, Gisbert zu Knyphausen), der für Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit ein ebenso stimmiges wie facettenreiches Klangbild gefunden hat. „Tobias hat es geschafft, mit uns zusammen jedem Song etwas Besonderes zu geben, weitab jeglicher Klischees. Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit“, lobt Bünger den Kollegen. Zum anderen liegt es daran, dass der Sänger immer wieder auch sehr sensible, sogar gesellschaftskritische Töne anschlägt.
Finde den Fehler, Ann-Kathrin handelt von Pseudo-Hippies, deren Ratschläge zur Weltverbesserung vor allem zwei Eigenschaften haben: Sie werden besonders häufig im bekifften Zustand (und entsprechend wenig hellsichtig) und ausschließlich im Konjunktiv geäußert. Bünger nimmt damit den Punkt aufs Korn, der so verlogen ist, wenn man „das System“ kritisiert: Das System sind alle anderen, man selbst kann bequem mit seinen Lebenslügen und Inkonsequenzen weitermachen.
In Maschinen hinterfragt er unseren Technologie-Fetisch und schafft es, dabei nicht wie ein Ewiggestriger zu klingen, denn seine Kritik richtet sich gar nicht gegen die Maschinen per se, sondern gegen unseren unreflektierten Umgang mit ihnen. In Endzeitprophet (mit Ingo Kohlmann) zeigt er die Coolness mit Hang zum Zynismus, die Intelligenz und das Engagement, die den Charakter des gesamten Albums prägen. Die Botschaft heißt: Nur weil so viele schon fälschlicherweise vor der Apokalypse gewarnt haben, heißt das nicht, dass sie nicht doch noch kommt („Der letzte Endzeitprophet war nicht schlecht / der letzte hatte Recht“) – und ein schwerer Blues ist natürlich die richtige Entsprechung davon.
Ein Höhepunkt ist Verschwende, in dem Bünger sehr erwachsen und mit großer Ernsthaftigkeit daherkommt, sodass man ernsthaft an Bezugspunkte wie Bob Dylan und Tom Waits denken kann. Das ist kein Liebeskummerlied, sondern schon einen Schritt weiter: „Für dich / verschwende ich mich nicht“, lautet der Schwur. Dass eine ziemlich spektakuläre Coverversion wie Da Da Da (er packt eine erstaunliche Menge Glut, Sex und Südstaaten in das Original von Trio) im Gesamtkontext von Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit fast gar nicht mehr ins Gewicht fällt, ist nicht das schlechteste Urteil für diese sehr gute, sehr charaktervolle Platte.