Künstler | Chrissie Hynde | |
Album | Stockholm | |
Label | Caroline | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Jetzt also doch. Nach mehr als 30 Jahren im Rockgeschäft hat Chrissie Hynde mit Stockholm ihre erste Soloplatte gemacht. Ausgerechnet sie, der man oft genug vorgeworfen hat, ihre Band The Pretenders sei bloß eine Tarnung, ein Vehikel für ihr Ego. „Ich musste immer betonen, dass die Pretenders ein Bandprojekt sind. Ich spiele gerne in einer Band. Normalerweise schreibe ich meine Songs und bringe sie dann der Band, und durch ihre Persönlichkeiten klingen meine Songs viel besser, als wenn es nur ich wäre, ich und eine Gitarre“, sagt sie nach wie vor.
Trotzdem hat vor ein paar Jahren, nach dem letzten Pretenders-Album Break Up The Concrete (2008) ein Umdenken eingesetzt. „Ich war mit meiner Musik an einem gefährlichen Punkt angekommen. Ich brauchte eine Lösung, um mich, meinen Namen als Musikerin, mit neuem Leben zu füllen“, sagt die Sängerin über diese Phase. Die Lösung fand sie in Schweden bei Björn Yttling (Peter, Björn & John; zudem als Produzent etwa für Lykke Li höchst erfolgreich).
Aus einer zufälligen Begegnung wurde eine erste Session und schnell spürte Chrissie Hynde dabei, dass sie hier neue Inspiration gefunden hatte. „Ich versuchte, den Brunnen voll auszuschöpfen, ich wollte mich zurücklehnen und etwas Neues ausprobieren. Björn spielte mir etwas vor, ich sagte: ‚Komm in einer halben Stunde wieder’, er verschwand, um an eigenen Sachen zu arbeiten. Ich setzte mich hin, hörte mir das an und versuchte, einen Song zu schreiben, der dazu passte. Es hat Spaß gemacht, so zu komponieren und war für mich eine völlig neue Herangehensweise“, umschreibt sie die gemeinsame Arbeit in den Ingrid Studios in der schwedischen Hauptstadt.
Bald war dann auch klar, dass die Ergebnisse der Kooperation nicht für die Pretenders infrage kamen oder ein neues Bandprojekt ins Leben rufen, sondern in ein Soloalbum münden würden. „Ich habe immer gesagt, dass ich keine Solokünstlerin sein will. Ich brauche das nicht, dass mein Name irgendwo in Großbuchstaben prangt. Ich habe diverse Pretenders-Alben mit völlig unterschiedlicher Besetzung und verschiedenen Produzenten gemacht. Dieses Mal habe ich sogar Songs in Kooperation geschrieben“, sagt Chrissie Hynde zu ihrem Sinneswandel, „aber es ist klar, dass der gemeinsame Nenner meine Wenigkeit ist.“
Die Vorab-Single Dark Sunglasses zeigt gut, wie Stockholm funktioniert: Es gibt eine reizende Gitarrenfigur, eine Kuhglocke und einen stilvollen Refrain, über allem thront diese unnachahmliche Stimme. “I wanted to make a power pop album you could dance to – Abba meets John Lennon”, umschreibt Chrissie Hynde ihr Ziel, und mit diesem Track ist sie da schon ziemlich nah dran.
Stockholm bietet noch mehr Entdeckungen und auch deutlich mehr Facetten. Das stimmige Down The Wrong Way wartet mit einem Gastauftritt von Neil Young auf (laut seinem Manager ist es das erste Mal überhaupt, dass sich der Kanadier zu einem Overdub bewegen ließ). Das reduzierte House Of Cards bietet einen ganz dumpfen, spannenden Gitarrensound, auch In A Miracle nimmt sich zurück und lässt an die Cardigans in der Long Gone Before Daylight-Phase denken. Adding The Blue ist ein wunderbar wehmütiger Schlusspunkt.
Das Problem von Stockholm ist allerdings: Trotz der interessanten Entstehungsgeschichte, trotz der offensichtlich sehr angenehmen Arbeitsatmosphäre, trotz des Paradigmenwechsels, der aus Chrissie Hynde doch noch eine Solokünstlerin gemacht hat, bietet die Platte letztlich ganz viel Durchschnittsware. Der Opener You Or No One ist ein netter Popsong im Sinne von Texas oder Roxette, aber beim besten Willen nicht das auffällige Signal, mit dem ein Mitglied der Rock’N’Roll Hall Of Fame das nächste Kapitel seiner Karriere einläutet.
Das akustische Tourniquet (Cynthia Ann) klingt schön, aber fesselt nicht, Sweet Nuthin will ein großer Wurf sein, bleibt aber halbgar. A Plan Too Far ist nur deshalb der Rede wert, weil John McEnroe darauf an der Gitarre zu hören ist. You’re The One bringt die Misere dieses Albums auf den Punkt: Es ist kein Mist und enthält auch ein paar gute Ideen. Aber für einen funktionierenden Rocksong fehlt die Power und für einen guten Popsong die bestechende Melodie. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Kombination aus der meisterhaften Pop-Tüftelei Björn Yttlings und der erdigen Glaubwürdigkeit von Chrissie Hynde den beiden zwar viel Spaß gemacht hat – aber nicht funktioniert.
Chrissie Hynde spielt Dark Sunglasses live bei Jimmy Fallon.
httpv://www.youtube.com/watch?v=Qo-M48rEDEs