Christian Steiffen – „Ferien vom Rock’N’Roll“

Künstler Christian Steiffen

Christian Steiffen Ferien vom Rock'N'Roll Albumcover
Eigenlob ist das wichtigste Thema auf „Ferien vom Rock’N’Roll“.
Album Ferien vom Rock’N’Roll
Label Warner
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Der Antwortsong gehört (neben der Tatsache, dass Dave Gahan als charasmatischer Sänger gilt) zu den lustigsten Erscheinungen der Popmusik. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht Sweet Home Alabama. Neil Young (der übrigens Kanadier ist) ließ 1972 in seinem Lied Alabama den südstaatlichsten aller Südstaaten nicht gut wegkommen. „Alabama, you got the weight on your shoulders / That’s breaking your back / your Cadillac has got a wheel in the ditch / and a wheel on the track“, sang er beispielsweise im Refrain. Das konnten Lynyrd Skynyrd (die übrigens aus Florida kommen) nicht auf sich sitzen lassen und schrieben zwei Jahre später die Hymne, die ihr größter Hit bleiben sollte. „Where skies are so blue“, ist vielleicht die bekannteste Zeile, aber auch „Well I hope Neil Young will remember / a southern man don’t need him around anyhow“, erklingt kurz vor dem ersten Refrain von Sweet Home Alabama.

So etwas wie ein Antwortsong steht am Beginn des zweiten Albums von Christian Steiffen. Ein Glück heißt das Lied, und man könnte es als die Replik von Du entschuldige, i kenn di betrachten, dem 1981er Hit von Peter Cornelius. Auch hier geht es um Mann und Frau, zwischen denen vielleicht mal etwas hätte laufen können und die sich nun nach Jahren wieder begegnen. Es gibt mit stampfenden Drums, einer satten Eishockeystadion-Orgel und Saxofonsoli auch einen Sound, der durchaus zum Austropop des Jahres 1981 passen würde. Aber von Nostalgie ist bei Ein Glück keine Spur. „Ich hatte längst vergessen, wer du bist / und ich habe dich im Leben nicht vermisst“, singt Christian Steiffen, um dann im Refrain noch eins draufzusetzen: „Ein Glück, dass wir nie was miteinander hatten.“

Die Masche ist tpypisch für Ferien vom Rock’N’Roll (und prägte auch schon sein vor zwei Jahren erschienenes Debüt Arbeiter der Liebe): Es gibt Lieder, die man bei der kleinsten Unachtsamkeit für Werke von Peter Maffay, Roland Kaiser oder Wolfgang Petry halten könnte. Oft gibt es Schunkeltempo, Frauenchöre, Keyboard-Fanfaren, Bongos und einen Alleinunterhalter-Bass. Aber dann wird ein einziges Wort ergänzt oder ein einziges Personalpronomen geändert – und die gesamte Schlageridylle bricht zusammen. Das macht diese Musik beim ersten Hören so spannend, dass einem gleich mehrfach die Kinnlade herunterklappen kann. Und das sorgt dafür, dass sie auch bei den weiteren Durchläufen extrem unterhaltsam und schlau bleibt.

Du und ich (ein Duett mit Eva Schneidereit) wird ein grausam unromantisches Lied über das, jawohl, Resteficken. „Heute Nacht wollen wir uns lieben / denn in der Not frisst der Teufel fliegen / doch du und ich / das geht eigentlich nicht“, singt Christian Steiffen im Refrain, bevor der Mezzosopran der Opernsängerin dann völlig durchdreht. In Du hasst die Menschen einfach gern tirilieren die Panflöten, umgarnt von einem tropischen Gute-Laune-Sound, doch der Text ist eine gnadenlose Abrechnung und die entschlossene Weigerung, Sympathie vorzugaukeln für jemanden, der „das Arschloch Number One“ ist. Nur mit ihr allein wartet mit einer tiefenentspannten und angejazzten Musik auf, die perfekt zu Chris Rea anno 1987 passen würde. „Ich glaub‘, ich bin verliebt / schade, dass es so etwas heute überhaupt noch gibt“, lautet hier die lyrische Ohrfeige gegen das Ideal der Monogamie.

Wenn man den grandiosen Pressetext zu diesem Album liest, könnte man der Meinung sein, Christian Steiffen stecke mehr Kreativität in seine Vermarktung (zitiert sei der ebenso wunderbare wie zutreffende Schlusssatz „Diese Platte ist wirklich zu viel des Guten!“) als in seine Lieder. Doch davon kann keine Rede sein. Dass Ferien vom Rock’N’Roll erstaunlich gut funktioniert und eine hochgradige Eignung für Saufgelage bekommt, liegt nämlich auch daran, dass die Musik, beigesteuert in erster Linie von Dr. Martin Haseland und dem Haseland Orchester, so stilecht ist. Christian Steiffen singt dazu, als sei er immer kurz davor, in einen Howard-Carpendale-Akzent zu verfallen – diese Kombination ist ästhetisch so stabil, dass man eigentlich gar nicht verraten möchte, dass dieser Mann mit bürgerlichem Namen Hardy Schwetter heißt, in Osnabrück lebt und vor seiner Inkarnation als Christian Steiffen jahrelang Frontmann einer Elvis-Tribute-Band war.

Heile-Welt-Musik trifft Arschloch-Texte, dieses so einfach wirkende Prinzip liefert höchst erstaunliche Ergebnisse. In Ich weiß, was ich weiß erklärt sich Christian Steiffen mal eben für unfehlbar, in Ferien vom Rock’n’Roll gibt es noch mehr Selbstbeweihräucherung. Die Selbstverliebtheit, die letztlich immer regiert, wenn sich ein Sänger auf eine Bühne stellt, verliert hier ihre Tarnung und wird einfach explizit gemacht. So lässt sich selbst aus einem Korb noch eine Stärkung fürs Ego machen (Viel zu heiß), so ist ein post-koitales „Mein Schatz, ich wollte dir nur mal eben sagen: Ich war wunderbar“ angebracht (Wunderbar) oder es wirkt kein bisschen schlimm mehr, wenn der minderwertige Rest der Menschheit ausgerottet wird (Viva la Evolution). Die Geste der Blumensträuße, die man in der ZDF-Hitparade früher oder dem Fernsehgarten heute gerne den Sängern auf die Bühne brachte, wird hier in die Aussage übersetzt, die wirklich dahinter steckt. Kein verlogenes: Nimm meine Blumen! Sondern ein ehrliches: Nimm mich!

Zwei Lieder ragen heraus: Ein Lied wie Die dicksten Eier der Welt könnte man sich nicht einmal von Rodrigo Gonzalez vorstellen in seiner arschcoolen Arroganz, die auf einem Fundament hauchdünner Selbstironie gebaut ist. Und das unerreicht blasphemische Die faule Sau (damit ist Gott gemeint) ist ein Lied, für das man vor nicht allzu langer Zeit noch gesteinigt worden wäre. Auch sie beweisen: Wo Alexander Marcus nur die Ästhetik von Schlager persifliert (falls seine Musik überhaupt als Persiflage gedacht ist), nimmt Christian Steiffen gleich das ganze Weltbild des Schlagers aufs Korn. Er schlägt es grün und blau, tritt ihm dann noch mal in die Eier und klaut ihm schließlich die Klamotten.

Christian Steiffen lädt ein zum Testhören des Albums.

Homepage von Christian Steiffen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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