Künstler | Clipping | |
Album | CLPPNG | |
Label | Sub Pop | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Im Booklet von CLPPNG, dem zweiten Album von Clipping, sind die Bandmitglieder Daveed Diggs, Jonathan Snipes und William Hutson zu sehen, in schwarz-weiß-Bildern, die aussehen, als bestünden sie aus den Scherben eines zerbrochenen Spiegels. Das ist bei einem derart reflektierten Act wie dem 2009 gegründeten Trio aus Los Angeles selbstverständlich ein Symbol für die Arbeits- und Denkweise der Künstler: Clipping hauen alles in Stücke und setzen es auf höchst kunstvolle Weise wieder zusammen. Sie toben sich hier in einer ganz eigenen, extrem aufregenden Klangsprache aus und legen damit einen ziemlich heißen Anwärter für das Rap-Album des Jahres vor.
Die Ergebnisse sind nicht nur atemberaubend, sondern provozieren (welche Musik kann das anno 2014 schon noch von sich behaupten?) eine geradezu körperliche Reaktion. Das kann durchaus auch Hass sein oder Schmerz. Das Intro ist unterlegt von einem Ton, der allen Noch-Nicht-Hörgeschädigten anschaulich erklärt, wie ein Tinnitus funktioniert. Die Single Body & Blood vereint eine apokalyptische Bass Drum mit dem Sound einer Bohrmaschine und der Aufforderung zum Mord. In Summertime wird eine Polizeisirene verfremdet und in extreme Höhen gepitcht. In Get Up (mit Mariel Jacoda) erklingt knapp drei Minuten der fieseste Wecker der Welt, der sich dann in eine Orgel verwandelt, als man ihn kaum noch aushalten kann.
Dass Clipping eigentlich als Remix-Projekt der beiden Produzenten Snipes und Hutson gedacht war, bevor dann im Jahr 2010 Rapper Daveed Diggs dazukam, hört man der Musik des Trios immer noch an. Dass hier Industrial ein ebenso wichtiger Einfluss ist wie, jawohl, Musique concrète ist ebenso unüberhörbar. CLPPNG ist zehnmal so durchgeknallt wie Outkast und lässt mit seinem gelegentlichen Humor auch an Run The Jewels denken. Aber all diese Mittel werden nicht destruktiv oder ironisch eingesetzt, sondern sind einfach das Ergebnis eines größeren Horizonts, einer meisterhaften Handhabung der Vielfalt der Methoden, einer nicht zu stillenden Lust auf Sounds.
Ein Track wie die Single Work Work (mit Cocc Pistol Cree) klingt auf diesem Album fast konventionell – bei 99 Prozent aller anderen Rap-Acts wäre das im höchsten Maße experimentell. In Dominoes wirkt die Musik fast wie willkürlich angeordnete Töne, als hätte ein Zufallsgenerator für jede zweite Viertelnote irgendeinen Sound ausgewählt. Or Die hat einen Beat, der erst durch den Fleischwolf, dann durch die Schrottpresse, dann durch sämtliche bekannte Computerviren der Welt gejagt wurde. Dream wird beinahe ein Schlaflied, mit Totenglocke, Vogelzwitschern und nur den Spurenelementen eines Beats. Wenn in Tonight dann plötzlich eine (ansonsten im HipHop omnipräsente) Auto-Tune-Passage auftaucht, ist das kaum zu fassen im Kontext dieses Albums, das in anderen Momenten sogar gelegentlich in die Nähe von E-Musik rückt.
Der Unterschied zu konventionellem HipHop ist bei Clipping: Sie verlassen sich nicht auf die Bequemlichkeit von Wiederholungen und Loops. Jede Note, jeder Beat fühlt sich bei ihnen an wie ein Unikat. Sie haben nicht nur vier Ideen pro Song, sondern vier Ideen pro Takt. Und sie zeigen, bei allem Willen zur Avantgarde, dass sie auch die Basics des Genres jederzeit im Griff haben: Im schon erwähnten Intro rappt Diggs beinahe akrobatisch, auch in Taking Off ist er halsbrecherisch schnell, als wolle er von den frei assoziierenden Saxofonen fliehen, die ihn umgeben. Der Monster-Bass in Story 2 scheint an ADHS zu leiden, Inside Out ist ein famoses Abenteuer.
Ends ist ein passender Schlusspunkt: Der Backing-Track klingt, als wollte er ständig loslegen (und ziemlich verheißungsvoll werden), werde aber von der eigenen Coolness und Intelligenz zurückgehalten. Dann glaubt man, die CD würde hängen – und muss schon die Zeitanzeige im Display im Auge behalten, um festzustellen, dass alles einwandfrei funktioniert und das eben genau so klingen soll, bis schließlich noch viereinhalb Minuten Noise folgen.
“Clipping makes party music for the club you wish you hadn’t gone to, the car you don’t remember getting in, and the streets you don’t feel safe on; are phantom broadcasts bleeding into Power 106 as you drive out of range; are twenty different rappers looking into one broken mirror, talking to themselves all at once; are classic west coast rap music out of the tradition where sounding different wasn’t cause for fear”, hieß es im Pressetext für das 2013 erschienene Debütalbum Midcity. All das ist nach wie vor gültig, und Clipping haben diese Effeke für ihr zweites Album noch verfeinert und ihre Wirkung ausgeweitet. CLPPNG ist ein ganz großer Wurf und zeigt: Rap ist längst noch nicht am Ende seiner Entwicklung angekommen.
Clipping spielen Work Work live in Sacramento.
httpv://www.youtube.com/watch?v=6wX7vngQX2A