Künstler | Clipping | |
Album | Splendor & Misery | |
Label | Sub Pop | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Dass Clipping kein HipHop-Act wie jeder andere sind, war schon kurz nach der Gründung des Trios in Los Angeles klar. Ihren Sound haben sie selbst einmal umschrieben als “party music for the club you wish you hadn’t gone to, the car you don’t remember getting in, and the streets you don’t feel safe on”. Im Titel des umwerfenden ersten Albums CLPPNG (2014) fehlte das I, weil Clipping sich zum Gesetz gemacht haben, keine Texte aus der Ich-Perspektive zu schreiben. Für Shooter, einen Track auf der Wriggle EP, ihrer bisher letzten Veröffentlichung, schossen sie 15 verschiedene Waffen ab und machten aus deren Klang den Beat.
Was Jonathan Snipes, William Hutson und Daveed Diggs nun mit Splendor & Misery vorlegen, ist auch bei solchen Vorzeichen trotzdem noch enorm erstaunlich. Ihr zweiter Longplayer ist ein Konzeptalbum. Im Zentrum steht der einzige Überlebende eines Sklavenaufstands, der nun auf einem Weltraumfrachter durchs All reist und dabei bemerkt, dass sich der Bordcomputer in ihn verliebt hat. Das ist ein bisschen mehr Originalität und Anspruch als beim üblichen P-Diddy-Album, nicht wahr?
Grandios ist dabei vor allem, wie sehr sich diese Kreativität auch auf die Musik auswirkt. Dass Jonathan Snipes und William Hutson ursprünglich ein Remix-Projekt im Sinn hatten und dann bei Clipping eine Weile mit geklauten Stimmen bekannter Rapper gearbeitet haben, bevor Daveed Diggs im Jahr 2010 zu ihnen stieß, wird hier sehr deutlich: Am Anfang dieser Tracks steht nie der Text oder gar die Aussage „Ich bin der Größte“, wie es sonst Standard in diesem Genre ist. Stattdessen wird hier zunächst eine möglichst abenteuerliche Soundwelt geschaffen: Splendor & Misery klingt manchmal wie ein Hörspiel, mal wie eine Filmmusik, mal wie ein Science-Fiction-Roman, der sich zwischen zwei Lautsprechern ausbreitet.
Die ersten drei Tracks bilden dabei so etwas wie eine Exposition: Nach dem Acappella-Intro Long Way Away folgt ein High-Speed-Rap von Diggs in The Breach, auch im dritten Stück All Black erklingt erst nach zwei Minuten etwas, das man ernsthaft als Beat betrachten kann.
Später gibt es Rauschen als Störgeräusch (Interlude 1), Industrial-Anleihen (True Believer) oder einen Track, der beinahe so wirkt, als probiere jemand im Hintergrund willkürlich Geräusche in einer Sounddatenbank aus (Baby Don’t Sleep). Im Prinzip der einzige Song, den man einem Genre wie (äußerst intelligentem) HipHop zuordnen könnte, ohne mit der Wimper zu zucken, ist Air ’Em Out.
Splendor & Misery bietet Freestyle und zeigt an anderer Stelle, wie man mit ganz wenigen (wenn auch nicht dezenten) Mitteln sowohl Aggressivität als auch Tiefgang erzeugen kann. Gleich zweimal ertönen längere Gospel-Passagen, womit Clipping sehr clever auf einen Traditionsstrang aus schwarzer Tradition, schwarzer Sehnsucht und schwarzem Selbstbewusstsein verweisen und dabei im Falle von Story 5 tatsächlich ergreifend werden. Ganz am Schluss des Albums klingt A Better Place mit seiner ebenso störrischen wie verlockenden Orgel wie eine vergessene Rave-Hymne – wenn das noch ein bisschen Bums bekäme, hätte es auch ins Spätwerk von The Streets gepasst.
Es dürfte in diesem Jahr wenige Alben (im Rap und darüber hinaus) gegeben haben, die mehr Horizont, Bekenntnis zur Erneuerung und Wille zum kompromisslosen künstlerischen Ausdruck beweisen als Splendor & Misery. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Mitglieder von Clipping sind auch jenseits ihrer Band äußerst umtriebig: William Hutson hat einen Doktortitel in Theaterwissenschaften und Performance-Studies (seine Dissertation hatte experimentelle Musik zum Thema), Jonathan Snipes hat zuletzt die Soundtracks für mehrere Filme geschrieben. Was sie auf ihrem zweiten Album anstellen, ist kein bisschen weniger engagiert oder relevant als der Kram von Kendrick Lamar, aber musikalisch fünfmal so aufregend. Vor allem aber ist es: verspielt, schlau und einmalig.