Künstler | Courtney Barnett | |
Album | Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit | |
Label | Marathon Artists | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was passiert, wenn man in den ersten Tagen seines Lebens bloß Salzsäure statt Muttermilch zu sich nimmt. Aber im besten Fall kommt 26 Jahre später so etwas dabei heraus wie Courtney Barnett.
Die Australierin kann so sagenhaft rau, gemein und hinterfotzig sein, dass man ihr Debütalbum oft nur mit offenem Mund hören kann. Vieles auf Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit (schon jetzt der Albumtitel des Jahres) klingt, als hätte Sheryl Crow ein paar Hells Angels zum Frühstück verspeist.
Schon nach einer Sekunde ist im Opener Elevator Operator alles da: Stimme, Riff, Beat. Mit einem Wort: Präsenz. Auch danach ist dies eine Platte, die keine Gefangenen macht. Mutige und meist ungemein humorvolle Texte treffen auf einen sehr unmittelbarer Sound, vorgetragen von einer Künstlerin, die ihr Herz offen legt. Nobody Really Cares If You Don’t Go To The Party ist vor allem dank des stürmischen Bass’ sehr feurig. Debbie Downer setzt auf einen hüpfenden Beat und eine sonnige Orgel, aber man sollte sich nicht täuschen lassen und das für leichtgewichtig halten. Dead Fox glänzt mit einem wild assoziierten Text von famoser Boshaftigkeit.
Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit, aufgenommen innerhalb von zehn Tagen in ihrer Heimatstadt Melbourne, wird den Erwartungen mehr als gerecht, die Courtney Barnett zuvor mit The Double EP: A Sea Of Split Peas geweckt hatte. Schon lange hat man kein Rock-Album mehr gehört, in dem so viel Persönlichkeit steckt. Die Vorbilder für den Sound der Platte sind natürlich trotzdem erkennbar.
Das brandgefährliche Pedestrian At Best ist ein Song wie ein gefräßiges Biest; rotzig wie Courtney Love, aber mit tausendmal mehr Stil. Wenn Mia Wallace aus Pulp Fiction eine Band hätte, würde sie sicher Songs schreiben wie Small Poppies, das neben einem Surfgitarrensolo mit einer schläfrigen Trägheit fasziniert, die sehr sexy ist. Der entspannte Shuffle von Depreston würde auch gut zu Charlotte Hatherley passen, Aqua Profunda! könnte ein verschollener Song von Elastica sein. An Illustration of Loneliness (Sleepless In New York) klingt, als sattelten die Yeah Yeah Yeahs die Pferde für einen Ausritt am Nachmittag.
Extrem kurzweilig und sehr gut wäre dieses Album in jedem Fall geworden. Besonders wird es, weil Courtney Barnett sich auch ein paar nachdenkliche Passagen gönnt. Das geheimnisvolle, an PJ Harvey erinnernde Kim’s Caravan ist so ein Fall, auch der akustische Boxing Day Blues ganz am Schluss von Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit fällt in diese Kategorie. Da zeigt sie sich durchaus verletzlich und verleiht den anderen Songs eine zusätzliche Qualität, denn sie beweist damit auch: Coolness ist hier kein Schutzschild und erst recht keine Pose, sondern Naturell.
Auch deshalb ist dies eine wunderbare, kraftvolle, wahrhaftige Rock’N’Roll-Platte. Das Unprätentiöse, das im Albumtitel steckt, ist dabei nur eine von vielen Stärken, aber bei weitem nicht die geringste: Courtney Barnett weiß um den Reiz von Primitivität. Aber sie benutzt für ihre Musik nicht das, was an Primitivität, was daran plump und widerlich ist. Sondern nur das, was wertvoll und effektiv ist.